Mit den Unwettern des Sommers 2024 im Wallis mit dem verheerenden Rhone-Hochwasser und enormen Schäden in den meisten Seitentälern vor allem im Süden des Kantons ist das Politikum 3. Rhonekorrektion wieder in die Schlagzeilen geraten. Vor kurzem durfte ich die Fachleute der unabhängigen Beratungsstelle, die dieses Projekt begleitet, mit Statistiken zur Entwicklung der Grosswetterlagen mit hohem Unwetterpotenzial für das Oberwallis beliefern. Hier soll auszugsweise das Ergebnis dieser Arbeit der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden.

Teil des Projekts sind auch geplante Flussaufweitung, Dammverstärkung und Sohlenabsenkung über 8 km Länge in Visp zur Sicherung der Bau- und Industriezonen
Auswirkungen von Starkniederschlägen sind vom Energiegehalt der Luftmasse (Feuchtigkeit, Wärme), von der Dauer und der Anströmungsrichtung sowie den damit zusammenhängenden orographischen Staueffekten abhängig. Will man die Entwicklung schadensträchtiger Ereignisse und den Trend für die Zukunft aufzeigen, sind Auswertungen zur Häufigkeit bestimmter Grosswetterlagen hilfreich. Von einer Grosswetterlage wird auf Grund der BAURschen Definition gefordert, dass ihre charakteristische Strömungsanordnung mehrere Tage im Wesentlichen gleich bleibt. Im Allgemeinen wird eine Mindestdauer von drei Tagen gefordert (1). Als Merkmale bestimmter festgelegter Grosswetterlagen werden einerseits die geographische Lage der Steuerungszentren, zum anderen die Lage der Erstreckung von Frontalzonen herangezogen. Neben einer Unterteilung nach der geographischen Lage der Druckzentren und Frontalzonen wird der Witterungscharakter über Mitteleuropa, überwiegend zyklonal oder antizyklonal, festgestellt.
Für grössere Schäden an Natur und Infrastruktur im Oberwallis sind zu drei Vierteln Wetterlagen mit der Anströmungsrichtung Südwest bis Südost verantwortlich (Details siehe Tabelle Anhang 1)
Sie führen atlantische bis mediterrane Luftmassen zu den Alpen, wo sie angehoben werden und auskondensieren, es entstehen sogenannte Stauniederschläge. Welche Täler und Einzugsgebiete am stärksten betroffen sind, hängt von der genauen Anströmungsrichtung ab. Hier wird der mittlere Strömungsweg der Luftmassen der ursächlichen, nahe verwandten Grosswetterlagen gezeigt:
Beschreibung der schadensträchtigsten Grosswetterlagen (GWL) im Oberwallis
Trog Westeuropa TRW
GWL-Porträt: https://www.fotometeo.ch/grosswetterlagen-portraet-trog-westeuropa-trw/
Hauptsächlich betroffene Regionen und Einzugsgebiete: Simplon, Binntal, Obergoms, Mattertal, Val d’Anniviers
Tritt vorzugsweise im Sommer auf mit extrem starker Zunahme im Juni und Juli, der Trend zeigt auch eine Zunahme im Spätherbst und Winter:
TRW ist jene GWL, bei der Luftmassen aus am weitesten südlich gelegenen Gebieten involviert werden können. In den letzten Jahren wurden erstmals sogar tropische Luftmassen aus Westafrika und dem Gebiet rund um die Kapverden angezapft, dies weil die innertropische Konvergenzzone (ITC) im Sommer mit der Klimaerwärmung weiter nach Norden vorrücken kann. Rückseitig des Troges fliessen atlantische Luftmassen aus gemässigten Breiten nach Süden: Es entsteht eine markante Luftmassengrenze zur vorderseitigen Warmluft, die oft mit Saharastaub angereichert ist. Bleibt diese Luftmassengrenze für längere Zeit über den Westalpen stehen, entladen sich in Südstaulagen unwetterartige Niederschläge, oft gewittrig verstärkt. Mit dem Anstieg der Wassertemperatur im Mittelmeer und somit zunehmender Labilisierung der Troposphäre ist damit zu rechnen, dass TRW-Lagen auch im Frühling und Winter vermehrt Starkniederschläge mit relativ hoher Schneefallgrenze und somit starkem Abfluss bringen.
Süd zyklonal SZ
GWL-Porträt: https://www.fotometeo.ch/grosswetterlagen-portraet-sued-zyklonal-sz/
Hauptsächlich betroffene Regionen und Einzugsgebiete: Simplon, Binntal, Obergoms
Tritt vorzugsweise in den Herbstmonaten auf, am häufigsten im November. Neuerdings vereinzelte Fälle im Sommer:
Involviert sind hauptsächlich atlantische Luftmassen, die auf dem Weg über dem herbstlich warmen westlichen Mittelmeer zusätzliche Energie gewinnen. Zyklonale Südlagen sind zudem für die heftigsten Föhnstürme in den Alpen berüchtigt.
Südost zyklonal SEZ
GWL-Porträt: https://www.fotometeo.ch/grosswetterlagen-portraet-suedost-zyklonal-sez/
Hauptsächlich betroffene Regionen und Einzugsgebiete: Matter- und Saastal, Simplon, Binntal, Goms
Tritt am häufigsten im Frühling auf, einhergehend mit starker Schneeschmelze. Bedeutende Zunahme auch im Herbst, wenngleich auf tieferem Ausgangsniveau:
Ähnlich wie beim Trog Westeuropa können Luftmassen weit südlicher Herkunft involviert werden. Häufig wird Staub aus der westlichen Sahara zu den Alpen geführt, der zusätzliche Kondensationskeime bereithält, an die über dem Weg über das zentrale Mittelmeer aufgenommene Feuchtigkeit andocken kann. Ablagerungen von Saharastaub auf alpinen Schneedecken sorgen für eine rötliche bis bräunliche Verfärbung und vermindern somit die Albedo, was zu stärkerer sommerlicher Schneeschmelze und Massenverlust der Gletscher führt.
Tief Britische Inseln TB
GWL-Porträt: https://www.fotometeo.ch/grosswetterlagen-portraet-tief-britische-inseln-tb/
Hauptsächlich betroffene Regionen und Einzugsgebiete: Simplon, Binntal
Tritt am häufigsten im Sommer und Herbst auf mit auffälligster Zunahme im Juli:
Durch die relativ nördliche Lage des Tiefs legen die feuchten Luftmassen atlantischen Ursprungs meist nur eine kurze Strecke über das Mittelmeer zurück. Je länger die Lage andauert, umso mehr fliessen kühlere Luftmassen nach. Oft verharrt jedoch die Luftmassengrenze und der damit verbundene Frontregen längere Zeit stationär über den Westalpen.
Südwest zyklonal SWZ
GWL-Porträt: https://www.fotometeo.ch/grosswetterlagen-portraet-suedwest-zyklonal-swz/
Hauptsächlich betroffene Regionen und Einzugsgebiete: Obergoms
Tritt vorzugsweise im Sommer und Spätherbst auf. Besonders auffällig ist die extreme Zunahme im August:
Bei dieser Wetterlage werden hauptsächlich Luftmassen aus dem subtropischen Atlantik auf direktem Weg über die Iberische Halbinsel zu den Alpen geführt, oft aus der Karibik. In neuester Zeit gelangen auf diesem Weg auch Reste tropischer Luftmassen mit enormen Werten niederschlagbaren Wassers in der Luftsäule im Gefolge alternder Hurricanes bis nach Westeuropa. Nebst dem hohen Wassergehalt der Luftmassen trägt auch eine sehr hohe Schneefallgrenze zum Schadenspotenzial bei. Zusätzliche Gefahr geht von der häufigen Persistenz dieser Wetterlage aus: Oft schleifen Fronten tagelang über dem selben Gebiet.
winkelförmige Westlage WW
GWL-Porträt: https://www.fotometeo.ch/grosswetterlagen-portraet-winkelfoermige-westlage-ww/
Hauptsächlich betroffene Regionen und Einzugsgebiete: Binntal, theoretisch alle Südtäler
Ursprünglich eine typische Spätherbst- und Winterwetterlage, tritt sie neuerdings auch gehäuft im Hochsommer auf:
Die Auswirkungen auf den Alpenraum hängen sehr stark von der genauen Position des Winkels ab, also der Punkt, an dem die Westströmung in eine Südströmung umknickt. Zudem muss die Frontalzone südlich der Pyrenäen verlaufen, damit mediterraner Einfluss generiert werden kann. Dies ist nur in Ausnahmefällen gegeben, daher die geringe Fallzahl (erstmals Ende Juni 2024). Das Potenzial ist in solchen Fällen aber ähnlich der zyklonalen Süd- und Südostlagen.
Alle zyklonalen Wetterlagen mit südlicher Anströmung gegen die Alpen zusammengefasst weisen folgende Entwicklung auf:
Der Langzeittrend ist über das Gesamtjahr verteilt leicht steigend, von durchschnittlich 70 Tagen pro Jahr Anfang der 1990er Jahre auf über 80 Tage in neuester Zeit. Wesentlich entscheidender ist jedoch der Anstieg in jenen Monaten, in denen das Mittelmeer die höchste Wassertemperatur aufweist, also im Sommer und Herbst:
Hier zeigt sich eine markante Zunahme der Häufigkeit von Juni bis August in den letzten 17 Jahren. Im Herbst erfolgte die Zunahme bereits in der Periode 1991-2007, seither stagnieren diese Wetterlagen auf hohem Niveau. Im Auge behalten muss man auch die stetige Zunahme im Winter und Frühling, bergen diese Wetterlagen doch auch zu diesen Jahreszeiten mit stark steigender Schneefallgrenze die Gefahr von Starkniederschlägen, welche zusätzliches Schmelzwasser aus mittleren Lagen bringen können. Starkniederschläge sind somit nicht nur aufgrund der steigenden Luft- und Meerestemperaturen wahrscheinlicher, sondern auch durch sich verändernde Strömungsmuster im atlantisch-europäischen Raum. Wetterlagen des Grosswettertyps Südwest und Süd sowie Südostlagen weisen in letzter Zeit einen starken Trend zur Zunahme auf, insbesondere in den Sommer- und Herbstmonaten.
Anhang 1: Liste schadenträchtiger Wetterlagen im Zusammenhang mit Extremniederschlägen im Oberwallis seit 1977
Quellennachweis:
(1) Werner und Gerstengarbe 2009, PIK-Report 119 https://www.pik-potsdam.de/en/output/publications/pikreports/.files/pr119.pdf
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