In einigen Jahren wird man beim Blick auf die monatlichen Werte des Jahres 2022 feststellen, dass der September “ganz normal” war. Mancherorts etwas gar nass vielleicht, aber durchschnittlich temperiert und sonnig. Dass diese Normalität durch zwei völlig unterschiedlich extreme Monatshälften zustande kam, werden bis dahin die meisten vergessen haben. Schliesslich ist einem auch ganz durchschnittlich wohl, wenn man mit den Füssen im Eiswasser steht und den Kopf in den Backofen steckt. Und es hat sich wieder mal gezeigt: Traue keinem September, bevor er zu Ende ist.
Die fotometeo.ch/orniwetter.info-Langfristprognose für den September, erstellt am 31. August, lautete wie folgt:
Der ausgewählte Lauf zeigt zwei stark negative Geopotenzial-Anomalien: Eine über dem Ostatlantik mit Zentrum südlich von Irland, und eine über Westrussland. Sie wird unterbrochen durch eine Brücke, welche eine schwach positive Anomalie über dem Mittelmeer mit einer extrem starken Anomalie verbindet, welche sich zonal über den gesamten Hohen Norden erstreckt. Es ist dies eine ausgeprägte negative Nordatlantische Oszillation (NAO-) oder auch High-over-Low-Lage genannt. Dabei befindet sich der Polarfrontjet auf einer extrem nördlichen Achse Nordgrönland-Spitzbergen. Was das Wetter im Alpenraum vor allem prägen wird, ist der ebenfalls extrem nördlich positionierte Subtropenjet. Das erste Monatsdrittel wird geprägt sein von Süd-, Südost- oder Ostlagen, wobei die detaillierte Grosswetterlagen-Klassifikation davon abhängig ist, wo genau das sich ewig im Kreis drehende Tief nahe der Britischen Inseln genau positioniert sein wird. Mit dem Auffüllen oder einer Ostwärtsverlagerung des Tiefs kommt es um den 10. herum wahrscheinlich vorübergehend zu einer Westlage (die durchaus eine südliche sein könnte) und somit der ersten längeren nass-kühlen und windigen Phase seit langem. Die zweite Monatshälfte wird von den Langfristmodellen tendenziell dem Typ Altweibersommer zugerechnet. Inwieweit sich das bestätigt oder einfach eine klassische Langfrist-Statistik im Modell abbildet, wird sich weisen müssen. In die Westdrift aufgenommene Ex-Hurrikane machen die Prognose zu dieser Jahreszeit immer sehr unsicher.
Während der Raum Grönland-Island unter fast permanentem Hochdruckeinfluss einen warmen September zu erwarten hat, wird es in Nordosteuropa schon fast winterlich. Das Britentief schaufelt kühle Luftmassen aus Norden Richtung Portugal, während auf der Vorderseite warme Mittelmeerluft nach Mitteleuropa strömt. Hier ist mit positiven Abweichungen zur neuen Klimanorm 1991-2020 von einem bis zwei Grad zu rechnen, in den Föhngebieten auf der Alpennordseite kann es auch mehr sein. Auf der südstaubedingt weniger sonnigen Alpensüdseite dürfte ein ungefähr durchschnittlich temperierter Monat herauskommen.
Das Tief im ersten Monatsdrittel bringt weiten Teilen Westeuropas überdurchschnittliche Regenmengen, vor allem in den West- und Südalpen. Da werden vermutlich auch noch Reste von tropischen Systemen für Feuchteeintrag sorgen. Nur leicht nasser als normal sieht es in der Nordhälfte Deutschlands aus, was bei weitem nicht für eine Beendigung der dortigen Dürre reicht, aber immerhin eine Entlastung bringen dürfte. Nordeuropa erlebt unter dem Dauerhoch wahrscheinlich einen weitgehend trockenen Monat. Dies gilt ebenso für weite Teile Südeuropas, wobei hier zufällige Gewittertreffer für lokal zu nasse Verhältnisse sorgen können, die kaum genau dort auftreten werden wo es die Karte zeigt.
Vergleich der Prognose (oben) mit der Analyse (unten) der Abweichungen des Drucks in ca. 5500 m Höhe gegenüber dem langjährigen Mittel:
Die nahezu perfekt getroffene meridionale Zirkulationsform weist im Detail nur einen Mangel auf: Das zu Monatsbeginn dominierende Tief über Irland wurde durch ein Hoch an deselben Stelle in der zweiten Monatshälfte vollständig weggemittelt, wodurch in der Analyse nur noch der östliche Tiefkern zu sehen ist, wobei dieser schlussendlich etwas westlicher zu liegen kam als prognostiziert. Insgesamt aber eine gute Leistung des Modells angesichts der immer sehr unsicheren Ausgangslage im September. Festhalten muss man aber auch, dass insbesondere das EZ-Langfristmodell noch Ende August für die zweite Septemberhälfte mit seiner Altweibersommer-Prognose komplett daneben lag. Diese als Statistik-Gurke zu erahnen, war also kein schlechtes Bauchgefühl, dass es allerdings gleich so ins andere Extrem umschlägt, war dann doch etwas überraschend. Die Korrektur erfolgte vom Modell erst halbherzig mit dem Lauf vom 8. September und dann richtig am 12. September, als der Absturz schon mit einem Fuss auf der Matte stand.
Die Abweichung der Monatsmitteltemperatur ca. 1500 Meter über Boden zur Klimanormperiode 1991-2020 (oben Prognose, unten Analyse):
Analog zur Druckverteilung ist auch der Kältepol über Osteuropa etwas nach Westen gerutscht und hat gerade noch Mitteleuropa erwischt. Der zweite Kältepol über Südwesteuropa wurde ebenfalls fast vollständig weggemittelt, was eben passiert, wenn zwei völlig unterschiedliche Monatshälften sich in der Statstik aufheben. Nahezu perfekt getroffen wurden die Abweichungen im Mittelmeerraum sowie über Grönland, wo die Skala wieder mal gesprengt wurde.
Die gemessenen Abweichungen zur Klimanormperiode 1991-2020 der Monatsmitteltemperatur 2 Meter über Boden:
Nach längerer Zeit finden wir wieder mal ein grösseres Gebiet mit negativer Temperaturabweichung in Europa, wobei sich das im Vergleich zur Fläche mit deutlich überdurchschnittlichen Temperaturen rasch relativiert. Was uns einmal mehr zur nicht mehr ganz neuen Erkenntis führt, dass zu kalte Witterung eben nach wie vor möglich ist, das nur noch kleine vorhandene Kältereservoir aber nur noch zufällig relativ eingegrenzte Regionen erreicht. Die extreme Wärme in Grönland hatte Folgen: Noch nie seit Messbeginn vor 44 Jahren hat der grönländische Eisschild im September noch mal so viel an Masse eingebüsst.
Abweichung des Monatsniederschlags gegenüber der Klimanorm 1991-2020 (oben Prognose, unten Analyse):
Auch die Niederschlagsprognose wurde – mit ein paar regionalen Ausnahmen – gut getroffen. Noch deutlich akzentuierter als prognostiziert wurde der Niederschlagsüberschuss von Mittelitalien über Kroatien bis in die Ukraine – eine Gegend, die im Sommer besonders unter Dürre gelitten hat. Dass die zeitliche Verteilung wie so oft mal wieder völlig ungünstig war, zeigen die enormen Schäden, die vor allem von der italienischen Adriaküste gemeldet wurden. Ob die flacheren Gebiete in Osteuropa die Regenmengen relativ gut bewältigt haben oder die Unkenntis über etwaige Schäden dem Desinteresse deutschsprachiger Medien für diese Region geschuldet ist, muss an dieser Stelle offen bleiben. Für die detaillierte Analyse regionaler Unterschiede verweisen wir wie üblich auf die Karten der Landeswetterdienste: Schweiz, Österreich, Deutschland.
Meridionaler geprägt kann ein Monat kaum sein, erst am allerletzten Tag setzte eine Westlage ein:
Anders als noch in den Sommermonaten wurde die grosse Niederschlagsmenge diesmal auf 21 Tage verteilt. Auch das Verhältnis von 11 kühlen zu 7 warmen Tagen ist in heutiger Zeit ungewöhnlich. Sehr speziell ist hingegen die totale Dominanz von meridionalen Lagen, wobei sich Nord, Süd und Ost ihre Anteile ziemlich gerecht aufgeteilt haben. Die beiden unbestimmten Tage am 2. und 3. September liessen sich am ehesten noch dem GWT Süd zuordnen (Tief Britische Inseln, aber eben zu kurz um die Kriterien einer dreitägigen GWL zu erfüllen).
Die Langfristprognose für den Oktober findet man auf unserer Partnerseite orniwetter.info, sie wird zu Beginn des nächsten Monats in diesem Blog verifiziert.
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