So langsam gewöhnt man sich daran, dass das Wetter völlig auf dem Kopf steht. Nach dem total vermurksten April erlebten wir auch im Mai einen Temperaturverlauf, der dem steigenden Sonnenstand entgegen verlief: Der wärmste Tag des Monats war vielerorts in Alpennähe der 1. (z.B. Konstanz mit 26.5 °C), der kälteste der 31. Mai mit Schneefall teils knapp unter 1500 m. Nicht, dass die Temperatur über den Monat gesehen linear nach unten verlief, aber bemerkenswert ist ein solcher Zufall allemal. Sonniger als im Schnitt war der Mai nur in der Nordhälfte Deutschlands, weiter südlich teils deutlich zu trüb. Und trotzdem brachte dieser Monat im Norden das Kunststück zustande, bei etwa drei Grad positiver Abweichung zu 1991-2020 gleichzeitig nasser als normal zu werden – im Süden und Westen (v.a. im Saarland und Teilen Bayerns) fiel mancherorts mehr als die dreifache Niederschlagsmenge.
Die fotometeo.ch/orniwetter.info-Langfristprognose für den Mai, erstellt am 01.05.2024, lautete wie folgt:
Die Probleme der Langfristmodelle mit den chaotischen Verhältnissen im Frühling (zusätzlich verstärkt durch die immer noch aussergewöhnliche Situation bei den Wassertemperaturen im Atlantik) manifestiert sich in völlig gegensätzlichen Rechnungen des europäischen und amerikanischen Modells bis kurz vor Redaktionsschluss. Erst die letzten beiden Läufe von CFS näherten sich dem ECMWF an, was die Auswahl des für unsere Prognose relevanten Laufs etwas erleichtert. Zumindest für die erste Monatshälfte herrscht nun so etwas wie Konsens zwischen den Modellen, für die zweite Hälfte müssen wir uns wohl oder übel wieder mal überraschen lassen.
Um den 9./10. Mai herum soll sich über den Britischen Inseln und dem Nordmeer ein blockierendes Hoch aufbauen, das aber nicht nur zu dieser Jahreszeit gerne nach Nordskandinavien wegflutscht und von zwei Seiten gleichzeitig von Tiefs und Kaltlufttropfen unterlaufen werden kann, nämlich aus Nordwesten und Osten. Genau diese Situation zeigt der von uns gewählte Modellauf mit einer starken Hochdruckanomalie über Nordskandinavien und dem Eismeer (das zwar inzwischen keines mehr ist). Negative Anomalien werden von der Südspitze Grönlands über Island hinweg bis Nordwesteuropa gerechnet sowie über Westrussland. Über Südeuropa sind die Abweichungen derart gering, dass kein eindeutiges Muster entsteht. Ein bunter Wechsel aus Nordwest-, Nord- und Ostlagen dürfte die Folge sein, vielleicht mal unterbrochen durch eine Hochdrucklage ohne längeren Bestand. Zudem muss man nach wie vor mit der Austrogung des Nordatlantiktiefs in Richtung Iberische Halbinsel rechnen, auf deren Vorderseite für einige Tage eine starke Südströmung entstehen kann; diese Wetterlage mit Föhn und Sahrastaub ist uns ja mittlerweile bestens vertraut. Hinter die Signale, dass in der zweiten Monatshälfte vermehrt auch Westlangen ins Spiel kommen könnten, setzen wir vorerst mal ein Fragezeichen, auszuschliessen ist es jedoch nicht, sollte das Islandtief dominanter werden als derzeit gerechnet.
Daraus folgt, dass bei der Temperatur ausgerechnet über Mitteleuropa die grösste Unsicherheit besteht. Zwar wird im Mittel eine Abweichung von +1 Grad zur Normperiode 1991-2020 gerechnet, wir werden allerdings wie schon oben erwähnt von zwei Kältequellen im Nordwesten und Osten in die Zange genommen. Da braucht es jeweils nicht viel, um in relativ kurzer Zeit ein völlig neues Muster entstehen zu lassen, wir haben es in den letzten zwei Wochen vorgeführt bekommen. Relativ sicher ist nach derzeitigem Stand einzig eine extrem grosse Abweichung von teils über 6 Grad im Hohen Norden. Dies mindert zwar die Gefahr von extrem scharfen Kälteeinbrüchen direkt aus Norden nach Mitteleuropa, aber nicht jene auf Umwegen über den Westen oder Osten.
Beim Niederschlag scheint es für einmal keine riesigen Anomalien in West- und Mitteleuropa zu geben, sie schwanken um +/- 30 % vom langjährigen Mittel und die Verteilung dürfte eher zufällig von Schauer- und Gewittertreffern abhängen. Durch die Vielzahl möglicher unterschiedlicher Anströmungen zeichnet sich auch kein Lee- und Luv-Muster an den Gebirgen ab.
Vergleich der Prognose (oben) mit der Analyse (unten) der Abweichungen des Geopotenzials in rund 5500 m Höhe gegenüber dem langjährigen Mittel:
Im Mai eine meridionale Zirkulation vorherzusagen, ist keine Kunst, ist der Frühling doch die Hochsaison dieser Konstellation. Das Resultat wäre trotzdem zufriedenstellend, wenn sich die Position des blockierenden Hochs auch an die Prognose gehalten hätte, denn der Abweichungsbetrag wiederum war gut getroffen. Das grösste Problem stellte das abgeschnürte Tief über Westeuropa dar, das in der zweiten Monatshälfte nicht mehr von der Stelle weichen wollte und massgeblich für das extrem nasse Wetter auch in weiten Teilen Mitteleuropas verantwortlich war – und zwar sowohl nördlich wie südlich der Alpen. Alle anderen Tiefdruckgebiete wurden im gewählten Lauf recht präzise vorausberechnet.
Die Abweichung der Monatsmitteltemperatur in rund 1500 m Höhe zur Klimanormperiode 1991-2020 (oben Prognose, unten Analyse):
Der “Hitzepol” wanderte entsprechend dem Hochdruckblock gegenüber der Prognose deutlich nach Süden. Wir haben den notwendigen Schritt vollzogen und die Skala der Analysekarten von fünf auf sechs Grad Abweichung erhöht – mal schauen wie lange dies ausreichen wird, die aktuelle Klimanormperiode wird ja erst nach 2030 angepasst… Nicht nur die Gebiete mit positiver, auch jene mit negativer Abweichung über Grönland und Russland zeigen, wie extrem eingefahren die Wetterlage war. In Mitteleuropa ist das Gefälle zwischen Norden und Süden ebenfalls scharf: Der Norden bilanziert etwa drei Grad zu warm, die Niederungen am nördlichen Alpenrand liegen etwa um ein halbes Grad über 1991-2020, die Hochlagen der Alpen ziemlich genau im langjährigen Schnitt und die Alpensüdseite ein halbes Grad darunter.
Abweichung des Monatsniederschlags gegenüber der Klimanorm 1991-2020 (oben Prognose, unten Analyse):
Hier liegt das grösste Versagen der Prognose vor: Ganz West- und Mitteleuropa wurde geradezu versenkt. Der neutrale Fleck in Bayern ist natürlich totaler Mumpitz und man muss sich schon langsam fragen, was die Behörde der Supermacht ennet dem Teich für Daten verwendet, nachdem schon die Abweichungskarte für die 2m-Temperaturen unbrauchbar geworden sind. Zum Glück haben wir die Karten der Landeswetterdienste mit korrekten, fein aufgelösten Daten: Schweiz, Österreich, Deutschland.
Äusserst kurios mutet auch die Statistik zu den Grosswettertypen und die Verteilung der Witterungstypen an:
Gerade mal fünf trockene Tage wies dieser Mai auf, zum einen der bereits erwähnte warme 1. Mai und dann noch das Auffahrts-/Himmelfahrtswochenende – die normal arbeitende Bevölkerung hatte also am wenigsten Grund zu Klage 😉 . Der einzige zu kalte Tag war eben der letzte des Monats. Alle zwölf Tage des GWT Ost gehen auf das Konto von Südostlagen, die Hochdrucklage war mit Brücke Mitteleuropa (BM) auch nicht wirklich sauber, hat aber all jene belohnt, die sich nicht in den Süden begeben mochten. Mit insgesamt 24 Tagen zyklonaler Lage setzte der Mai nahtlos den bisherigen Charakter dieses Jahres fort und es wird spannend, wann dieser Bann endlich gebrochen wird.
Die Langfristprognose für den Juni findet man auf unserer Partnerseite orniwetter.info, sie wird zu Beginn des nächsten Monats in diesem Blog verifiziert.
Diese Seite ist bewusst werbefrei gehalten, um die Unabhängigkeit des Informationsgehaltes zu gewährleisten und nicht von den Inhalten abzulenken. Der kostenlose Zugang zu Informationen ohne boulevardeske Verzerrungen beim Thema Wetter und Klima ist uns sehr wichtig. Mit einer freiwilligen Spende unterstützen Sie die Arbeit von fotometeo.ch in einem schwierigen Marktumfeld und sichern das Fortbestehen des Blogs. Vielen Dank!
Noch besser, weil für die Empfängerin spesenfrei, sind direkte Einzahlungen auf eines der angegebenen Konten unter den Kontaktdaten.
Spendenbarometer (fotometeo und orniwetter zusammen, Erklärung siehe hier):
Microwave am 11. Juni 2024 um 08:26 Uhr
Hoi Fabienne,
Ich habe gesehen, dass du unterzwischen etwas gemacht hast gegen den ständigen mühsamen Linkverfall beim Bund/MeteoSchweiz, z.B. bei den Niederschlagskarten. Danke vielmal, und wie immer, danke für deine Aufarbeitungen!
Grüsse, Microwave