Was sich lange abgezeichnet hatte, ist eingetroffen: Der Juni hat die üblichen Verhältnisse in Europa auf den Kopf gestellt. Ein sehr sonniger und heisser Monat in Nordeuropa steht einem sehr trüben und nassen, teilweise unterkühlten Juni im Alpenraum und in Teilen Südeuropas gegenüber. Dabei sind die Unterschiede nur schon in Mitteleuropa bemerkenswert: Während es in Alpennähe stellenweise Unwetter mit Überflutungen und Hochwasser gab, setzte sich die Trockenheit des Frühlings insbesondere im Norden und Osten Deutschlands fort. Verantwortlich dafür war eine völlig blockierte Zirkulation – der Trend der letzten Jahre zur Häufung persistenter Wetterlagen hat sich in diesem Monat einmal mehr bestätigt.
Die fotometeo.ch/orniwetter.info-Langfristprognose für den Juni, erstellt am 31. Mai, lautete wie folgt:
Das Langfristmodell CFS war sich in den letzten Tagen so einig wie noch nie, was eine recht hohe Zuverlässigkeit der Prognose – zumindest was die grossräumige Zirkulation betrifft – erwarten lässt. Allerdings steckt der Teufel meist im Detail, und da gibt es noch genügend eingebaute Fallen. Denn bei der meridionalen Zirkulationsform ist es leider so, dass bereits geringfügige Verschiebungen der Druckgebiete regional zu grossen Unterschieden führen. Wie meistens ist also die nachfolgende Prognose nicht als lokale Vorhersage, sondern als allgemeiner Trend zu verstehen.
Die allgemeine Richtung der Modellläufe bei der Druckverteilung ist klar: Eine starke positive Anomalie erstreckt sich vom zentralen Nordatlantik bis nach Skandinavien, wobei das Zentrum südwestlich von Island klar die Führung übernimmt und jenes über dem östlichen Nordeuropa deutlich schwächelt. Wir deuten dies so, dass sich der Hochdruckschwerpunkt allmählich von West- und Nordeuropa der letzten Wochen weiter nach Westen auf den Atlantik verschiebt. Dies öffnet Tür und Tor für Tröge und Abtropfprozesse zunächst über Mittel-, später auch Westeuropa. Und genau hier liegt das Problem: Je nachdem, wo genau sich so ein abgetropftes Tief für längere Zeit einnistet, kommt Mitteleuropa entweder mittendrin zu liegen oder eher am östlichen Rand. Entweder sitzen wir wochenlang richtig in der Tinte mit permanent kühlen und mässig feuchten nordatlantischen Luftmassen, oder aber wir bekommen aus südlicher bis östlicher Richtung schwülwarme und zu Unwettern neigende Luftmassen geliefert – wobei durchaus das Eine das Andere ablösen kann. So oder so: Das meist stabile Hochdruckwetter des vergangenen Frühlings scheint endgültig der Vergangenheit anzugehören.
Auf die Temperaturverteilung hat das beschriebene Zirkulationsmuster folgende Auswirkungen: Unter dem Hochdruckgürtel von Südgrönland bis nach Skandinavien erwärmt sich die Luft auf überdurchschnittliche Werte, was am Boden zu einer Abweichung von +2 bis +4 Grad zur langjährigen Norm führt. Mit dem zunehmenden Tiefdruck über Südeuropa und den Alpen fällt hier der Sonnenschein-Bonus der letzten Wochen weg, das heisst: Die Luftmassen aus nördlicher Richtung bleiben so kühl, wie sie geliefert werden, oder kühlen durch häufige Niederschläge sogar weiter aus. Es ist also durchaus damit zu rechnen, dass in diesen Regionen der Juni nach langer Zeit wieder mal deutlich zu kühl verläuft.
Weite Teile Südwest-, Mittel- und Osteuropas müssen (oder dürfen, je nach Präferenz) mit einem leicht bis deutlich zu nassen Juni rechnen. Die in der Karte gezeigten lokalen Unterschiede je nach Lage zu den Gebirgen sollte man aus den oben beschriebenen Gründen der Unvorhersagbarkeit der Tiefdruckaktivität und -verlagerung nicht zu ernst nehmen. Es ist durchaus möglich, dass es in den Alpen und an deren Abflüssen zu Hochwasser kommt, während die flacheren Gebiete nur spärlich bewässert werden. Oder es kommt – wie es für die Grosswetterlage “Tief Mitteleuropa” typisch ist – wie zuletzt im Juni 2016 zu lokal begrenzten Starkregenereignissen, während es andernorts fast trocken bleibt. Am deutlichsten wird die nasse Zone auf der Iberischen Halbinsel gerechnet, hierin sind sich die Läufe des Modells durchgehend einig. Die Wahrscheinlichkeit, dass es zu Überflutungen kommt, ist dort also am höchsten.
Vergleich der Prognose (oben) mit der Analyse (unten) der Abweichungen des Geopotenzials in rund 5500 m gegenüber dem langjährigen Mittel:
Dieses extrem meridionale Zirkulationsmuster zu erkennen, war für das Langfristmodell offenbar kein Problem. Wie im Prognosetext angesprochen, liegen die Verschiebungen im Detail: Entgegen den Erwartungen blieb der Hochdruck über Skandinavien dem nach Nordwesten verschobenen Azorenhoch ebenbürtig. Bei der Tiefdruckanomalie bildete sich ein stärkeres Zentrum über Westeuropa aus, was der Strömungskomponente über Mitteleuropa häufiger einen südlichen Einschlag gab als erwartet. Die Folgen davon waren noch feuchtere Luftmassen im Alpenraum, hingegen wärmere in Nordostdeutschland.
Die Abweichung der Monatsmitteltemperatur in rund 1500 m Höhe zur Klimanormperiode 1981-2010 (oben Prognose, unten Analyse):
Mit der Bilanz der Luftmassenprognose darf man ebenfalls zufrieden sein, mal abgesehen davon, dass es (als Folge durch den stärkeren Hochdruckeinfluss) in Skandinavien und Osteuropa noch wärmer wurde als berechnet. Richtig schlecht war die Prognose einzig in Grönland. Am Boden ergeben sich wie so oft aber regionale Differenzen zur Höhentemperaturkarte:
Am auffälligsten ist – und daren haben wir uns bereits seit längerer Zeit gewöhnt – die Differenz zwischen Höhen- und Bodentemperatur über dem Nordatlantik. Bedingt durch das unterkühlte Wasser kann sich die Höhenwärme dort nicht bis zur Oberfläche durchsetzen. Immerhin ist die deutliche negative Anomalie der letzten Monate (bis auf Island) weitgehend verschwunden, was auch prompt Auswirkungen auf das Zirkulationsmuster hat – wir werden das Resultat mit hoher Wahrscheinlichkeit in der Juli-Bilanz zu sehen bekommen. Etwas irritierend ist die gezeigte negative Abweichung in der Nordostschweiz, die es in den Analysen von MeteoSchweiz so nicht gibt: Der Juni lag hier ziemlich genau im langjährigen Mittel.
Irritationen gibt es wie so oft auch in der groben Auflösung der Niederschlagsbilanz:
Die verbreitet hohen Niederschlagsmengen waren gut prognostiziert worden, sind aber vielerorts noch höher ausgefallen als erwartet. Die Zufuhr feuchterer Luftmassen aus dem Mittelmeerraum hat wesentlich dazu beigetragen. Allerdings ist die Karte gerade in Mitteleuropa falsch: Zu trocken war es nicht etwa im bayerisch-tirolischen Alpenraum, sondern eher im Rheinland und vielerorts in Nord- und Ostdeutschland. Für die detaillierte Bilanz diesbezüglich verweisen wir wie immer auf die viel genaueren Karten der Landeswetterdienste: (Schweiz, Deutschland, Österreich). Sehr speziell ist auch das viel zu nasse Gebiet in Norwegen, notabene mitten im Hochdruckgebiet. Offenbar hat dort die häufige Südostströmung am Gebirge zu Staueffekten geführt.
Schräge Analysen sind wir uns aus den letzten Monaten ja inzwischen gewohnt, aber das hier ist doch noch mal eine Kuriosität für sich: Obwohl Luftmassen aus Ost bis Süd dominierten (der GWT Ost wird durch 11 Tage Südostlage besetzt), stehen gerade mal 7 trockene 23 nassen Tagen gegenüber. Föhneffekte bleiben eben bei sehr hochreichend feuchten Luftmassen weitgehend aus: Die Feuchte wird so einfach über die Alpen hinweg nach Norden verfrachtet, wo sie auf kälteren Luftmassen des Tiefs im Westen aufgleitet und erst recht Niederschläge produziert. Die deutlich von der Norm abweichenden Tage bei der Temperatur halten sich die Waage, was die Bilanz eines durchschnittlich temperierten Monats im Alpenraum unterstreicht.
Die Langfristprognose für den Juli findet man auf unserer Partnerseite orniwetter.info, sie wird zu Beginn des nächsten Monats in diesem Blog verifiziert.
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Microwave am 4. Juli 2020 um 09:48 Uhr
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Das ist ja mal ein fettes Ding! Habe ich so bewusst gar noch
nie überlegt!
Kann ich denn über Kartenmaterial herausfinden ob eine
Luftmasse hochreichend feucht sein wird?
Bis jetzt kenne ich nur die Karte von der 700 hPa Feuchte, und
das sind grad mal 3000 m.
Und für den Istzustand bis Kurzfrist würde ich ein Emagramm
oder Previ Temp nehmen… aber Kurzfrist bis Mittelfrist..?
Grüsse – Microwave
Microwave am 4. Juli 2020 um 09:50 Uhr
Sorry für Doppelpost, aber meine Quotation hat nicht
funktioniert.
Ich bezog mich auf deinen Satz:
“Föhneffekte bleiben eben bei sehr hochreichend feuchten
Luftmassen weitgehend aus:”
Grüsse – Microwave