Nach unserer weitgehend zufriedenstellenden Winterprognose wollen wir in Sachen Jahreszeitprognose dranbleiben und versuchen, die aktuell herrschenden Bedingungen auf der Nordhemisphäre zu sammeln und deren Auswirkungen auf unser Frühlingswetter abzuleiten. Dabei muss man vorausschicken, dass aufgrund der veränderten Zirkulation (im Frühling sind die Einflüsse des Atlantiks und somit die Westwinde am schwächsten) der Frühling generell die Jahreszeit mit den unsichersten Prognosen im Jahresverlauf darstellt. Das zeigt sich jeweils auch bei unseren Monatsprognosen: in keiner Jahreszeit treten grössere Abweichungen auf, und nicht zu unrecht eilt dem April der Ruf der Launenhaftigkeit voraus, was im selben Mass insbesondere für den Mai gilt. Die folgenden Überlegungen sollen daher keinen Anspruch auf genaue zeitliche Abläufe der Witterung erheben, sondern die Grundlagen für mögliche Trends aufzeigen.

Gemittelte Temperaturprognose für die Monate März, April und Mai des amerikanischen Langfristmodells CFS (Abweichung zur Klimanormperiode 1981-2010)
1. Die aktuelle globale Temperaturverteilung
Ein erster Hinweis auf die bevorstehende Witterungsperiode gibt die aktuelle Verteilung von warmen und kalten Luftmassen insbesondere auf der Nordhemisphäre. Zu diesem Zweck ziehen wir die Karte mit der gemittelten Temperaturabweichung vom langjährigen Mittel (1981-2010) der letzten Woche zu Rate (22.-28.02.2016):

Quelle: karstenhaustein.com
Als erstes fällt die extreme Ausdehnung sehr milder Areale insbesondere auf der nördlichen Halbkugel ins Auge. In der Arktis sind die Temperaturen durchwegs weit über der jahreszeitlichen Norm, im Bereich Spitzbergen sprengt sie sogar die Skala von 20 Grad positiver Abweichung. Auf die Ursache werden wir später noch genauer eingehen. Kalte Areale liegen jeweils auf den Ostseiten der grossen Landmassen (Ostkanada und Ostsibirien). Nach wie vor zu erkennen ist die seit über einem Jahr vorhandene Kaltwasseranomalie des zentralen Nordatlantiks, die sich auf die unterste Luftschicht überträgt.
Diese Ausgangslage verrät uns bereits jetzt, was uns bei den verschiedenen Grosswetterlagen während der nächsten Monate erwartet: Luftmassen aus südlicher bis östlicher Richtung werden massiv wärmer sein als für die Jahreszeit üblich. Auch die in jedem Frühjahr auftretenden Kaltlufteinbrüche aus Norden werden mit hoher Wahrscheinlichkeit recht zahm ausfallen, da dort die Luft viel wärmer ist als üblich. Einzig aus westlicher bis nordwestlicher Richtung sind Luftmassen zu erwarten, die eine der Jahreszeit angemessene oder leicht unterdurchschnittliche Temperatur aufweisen. Dies geschieht insbesondere dann, wenn der ostkanadische Kaltluftpool auf den Atlantik ausbricht und dort die Tiefdruckproduktion ankurbelt. Bis diese polare Luftmasse Europa erreicht, wird sie üblicherweise vom Atlantik noch ordentlich aufgewärmt. Da der Nordatlantik aber derzeit unterdurchschnittliche Wassertemperaturen aufweist, ist dieser Effekt etwas schwächer als in anderen Jahren.
2. Arktische Eisausdehnung
Die folgende Grafik zeigt die aktuelle Ausdehnung des arktischen Meereises im Vergleich zum Schnitt der vergangenen Jahre und Jahrzehnte:

Quelle: Arctic Data Archive System, National Institute of Polar Research, Japan
Meist wird ungefähr Mitte März die maximale Ausdehnung der arktischen Eisfläche erreicht. Der Vergleich zeigt, dass wir aktuell die kleinste Ausdehnung der Eisfläche zu dieser Jahreszeit haben. Dabei fehlt insbesondere im Europäischen Nordmeer und in der Barentssee eine beträchtliche Fläche. Üblicherweise ist um diese Jahreszeit das Meer zwischen Spitzbergen und Nowaja Semlja eisbedeckt, in diesem Jahr bleibt es eisfrei. Dies hat auch massive Auswirkungen auf die Luft darüber, so erklärt sich die Abweichung der Lufttemperatur von mehr als 20 Grad gegenüber der Klimanorm in diesem Gebiet. Mit dem Ende der Polarnacht wird die Sonne dort rasch das Wasser erwärmen können, da die Albedo durch Eis und Schnee wegfällt. Die daraus resultierende Kettenreaktion mit rascherem Schmelzen der Eismasse weiter nördlich dürfte noch nie dagewesene Auswirkungen haben: Die meist weniger als zwei Meter dicke Eisschicht zwischen Spitzbergen und dem Nordpol könnte in diesem Jahr wegschmelzen und der Nordpol somit im Sommer erstmalig eisfrei werden.
3. Schneebedeckung in Eurasien
Die folgende Grafik zeigt die aktuelle Ausdehnung der Schneefläche in Eurasien im Vergleich zu den letzten Jahren:

Quelle: NOAA STAR Center for Satellite Applications and Research
Auch hier sehen wir einen Negativrekord. Die Auswirkungen einer geringen Schneefläche ist dieselbe wie beim Meereis der Polargebiete, nur noch viel effektiver: Schneefreie Landmassen erwärmen sich und die Luft darüber viel schneller als bei Schneebedeckung. In vielen Regionen wird somit die Energie der Sonne, die im Frühling üblicherweise für den Schmelzprozess verwendet wird, direkt in die Erwärmung der Luft eingehen. Das erklärt die bereits jetzt massiv wärmeren Gebiete von Osteuropa bis Westsibirien. Zur Veranschaulichung nachfolgend noch die Karte der aktuellen Eis- und Schneebedeckung der Nordhemisphäre:
Man sieht ein weitgehend schneefreies Mittel- und Osteuropa, und auch im Baltikum ist die Schneedecke für Ende Februar sehr dünn. Einzig Skandinavien und die höheren Lagen der Alpen weisen jahreszeitübliche Werte auf. Somit ist die während der langen Nächte im März noch funktionierende örtliche Kaltluftproduktion über Schneeflächen auf wenige Regionen beschränkt.
4. Mögliche Zirkulationsformen
Die gemittelte Niederschlagsprognose des CFS-Langfristmodells über alle drei Frühlingsmonate zeigt einen deutlichen Trend zu häufig nasser Witterung, was einen starken Einfluss atlantischer Luftmassen vermuten lässt:
Ein solches Muster der Niederschlagsverteilung lässt erwarten, dass im Frühling die Grosswettertypen West und Nordwest dominieren werden. Nun haben wir im ersten Abschnitt festgestellt, dass gerade aus diesem Sektor die für die Jahreszeit zu kühlen Luftmassen zu erwarten sind. Die im Titelbild gezeigten Temperaturabweichungen lassen dann auch für West- und Mitteleuropa durchschnittliche, eventuell leicht unterdurchschnittliche Temperaturen erwarten, während der weiter vom Atlantik entfernte Osten überdurchschnittliche Werte aufzeigt. Skandinavien wiederum liegt stark im Einfluss der deutlich zu warmen Arktis. In den letzten Tagen tauchten beim Langfristmodell CFS immer häufiger deutlich unterkühlte Läufe auf, die einen sehr garstigen Frühling in West- und Mitteleuropa erwarten lassen. Man muss jedoch bedenken, dass die aktuellen Werte noch nie erreichte Extreme aufweisen und jedes Modell, das auch Erfahrungswerte aus der Vergangenheit mit einbezieht, mit einer solchen Situation überfordert ist. So besagt zum Beispiel die Theorie, dass eine warme Arktis die Temperaturgegensätze zu den gemässigten Breiten reduziert und dies die Westwindzirkulation schwächt. Es gilt daher beim Erstellen der Langfristprognosen in diesem Frühling also immer im Hinterkopf zu behalten, dass die von den Modellen gezeigten Szenarien möglicherweise in die Irre führen. Die monatlichen Langfristprognosen werden in der nächsten Zeit, möglicherweise während des ganzen Jahres somit eine besondere Herausforderung darstellen.
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