Starke Tiefdrucktätigkeit mit strammer Westdrift auf dem Nordtatlantik und trotzdem eine Blockadesituation, sodass das östliche Mitteleuropa unter einer Südströmung verharrt: Die winkelförmige Westlage ist ein Spezialfall und klassisch im Winter anzutreffen. Neuerdings tritt sie aber auch gerne im Hochsommer auf. Ein Porträt.
Beschreibung
Ausgeprägte, meist zwischen 50° und 60° N verlaufende atlantische Frontalzone, die über Mitteleuropa an der Westflanke eines blockierenden russischen Hochs scharf nach Norden umbiegt. Die atlantischen Störungen überqueren das westliche Europa und werden spätestens über Polen stationär. Das östliche Mitteleuropa liegt dabei im Einflussbereich des kontinentalen Hochs.
Zuordnung
Grosswettertyp (GWT): West
Zirkulationsform (ZF): zonal
Klimaregime: NAO+ (positive nordatlantische Oszillation), zu Beginn und am Ende von WW manchmal auch Block, bei Pattsituation möglicherweise auch “no regime”
Verwandte GWL: in antizyklonaler Richtung Hoch Fennoskandien antizyklonal HFA und Südost antizyklonal SEA; in zyklonaler Richtung Südost zyklonal SEZ
Statistik
häufigstes Auftreten im Zeitraum 2001-2023: Februar 6.01 %, Dezember 5.75 %
häufigstes Auftreten im Zeitraum 1881-2008: November 4.30 %
seltenstes Auftreten im Zeitraum 2001-2023: Oktober 0.70 %
seltenstes Auftreten im Zeitraum 1881-2008: Mai 0.96 %
Häufigkeit Gesamtjahr im Zeitraum 2001-2023: 2.87 %, Veränderung gegenüber 1881-2008: +0.49 Prozentpunkte
Rang Häufigkeit aller GWL: 1881-2008 Rang 17, 2001-2023 Rang 12 (Rangverschiebung: +5)
längste ununterbrochene GWL WW: 13 Tage vom 21. Januar bis 2. Februar 1988
häufigste Nachfolge-GWL 1881-1997: 1.: West zyklonal WZ 17.1 % / 2.: Hochdruckbrücke Mitteleuropa BM 11.7 % / 3.: Hoch Mitteleuropa HM: 8.5 %
häufigste Nachfolge-GWL 1971-2022: 1.: West zyklonal WZ 18.6 % / 2.: Trog Westeuropa TRW 9.3 % / 3: Südwest antizyklonal SWA und Südwest zyklonal SWZ je 8.2 %
seltenste Nachfolge-GWL 1881-1997: Nord antizyklonal NA, Hoch Britische Inseln HB, Hoch Nordmeer zyklonal HNZ und Südost antizyklonal SEA je 0.0 %
folgt auf GWL 1971-2022: 1.: Hochdruckbrücke Mitteleuropa BM 13.5 % / 2.: Trog Westeuropa TRW 9.4 % / 3.: Hoch Mitteleuropa HM und Trog Mitteleuropa TRM je 8.3 %
Ursprünglich war die winkelförmige Westlage fast auf die Monate November bis Januar beschränkt, nun tritt sie auch gehäuft im Juli auf. Wie bei den anderen typischen GWL winterlicher Zirkulation ist eine Verschiebung zu beobachten: Starke Abnahme im November, anschliessend starke Zunahme bis in den Februar, was mutmasslich mit dem späteren Zufrieren der Arktis zusammenhängt. In den restlichen Monaten sind die Veränderungen marginal.
Die Verschiebungen innerhalb der zweiten Winterhälfte sind gering und bei diesem seltenen Auftreten eher zufällig. Auffällig ist die Zunahme im Hochsommer, die sich auf den Monatswechsel Juni/Juli und auf Ende Juli zu konzentrieren scheint. Im Herbst ist eine kontinuierliche Verschiebung zu beobachten. Aus dem Oktober und November ist die winkelförmige Westlage fast vollständig verschwunden: Die Markierungen Mitte November stammen aus den 90er-Jahren, nach 2000 tritt sie nur noch ganz zum Ende des Novembers und deutlich häufiger im Dezember auf.
Seit Beginn der Statistiken über GWL im Jahr 1881 war die winkelförmige Westlage recht stabil mit einer durchschnittlichen Häufigkeit von rund 10 Tagen pro Jahr, dann gab es eine Schwäche in den 1980er und 90er Jahren. Auffällig und hauptverantwortlich für den starken langfristigen Trend in der Grafik ist die markente Zunahme seit 2013. Das passt (zufällig oder nicht?) sehr gut mit dem starken Anstieg der globalen Erwärmung in jüngster Zeit zusammen. Die weitere Entwicklung wird zeigen, ob die Vermutung stimmt, dass das spätere Zufrieren der Arktis im Herbst/Winter diese Wetterlage fördert. Auch der Anstieg im Hochsommer könnte mit der Verschiebung der subtropischen Hochdruckzone über der eurasischen Kontinentalmasse nach Norden zusammenhängen.
Witterung
Regional und jahreszeitlich stark unterschiedliche Auswirkungen. Im Westen tendenziell nass-kühl, nach Osten hin trockener und im Sommer wärmer (Frontenfriedhof Mitteleuropa) mit Föhnphasen vor allem in den östlichen Alpen.
Frühling: Tagesmaximum der Lufttemperatur unternormal, Tagesminimum normal bis übernormal; Niederschlag übernormal (ausser südöstlichem Mitteleuropa).
Sommer: Tagesminimum der Lufttemperatur leicht übernormal, Tagesmittel und -maximum im westlichen Europa unternormal; Niederschlag übernormal.
Herbst und Winter: Wärmer als normal; Niederschlag übernormal.
Typische Beispiele
Winter (Klick ins Bild öffnet grössere Ansicht):
Zwischen einem starken Azorenhoch und reger Tiefdrucktätigkeit über dem Nordatlantik herrscht eine stürmische Weströmung bis nach Frankreich hinein. Ein blockierendes Hoch über Westrussland durch sämtliche Höhen zwingt den Jetstream, sich über Mitteleuropa aufzusplitten: Ein Teil biegt scharf nach Norden um, ein Teil zieht Richtung östliches Mittelmeer, wo abgetropfte Tiefs das blockierende Hoch südlich umlaufen. Die atlantischen Fronten kommen über Mitteleuropa nicht mehr voran und lösen sich an Ort und Stelle auf (Frontenfriedhof). Das führt zu trübem Wetter mit schwachen Niederschlägen, teils als Regen, teils als Schnee bis in tiefe Lagen, mit föhnigen Phasen am Alpennordrand.
Sommer:
Der Jetstream ist sommerlich schwach und die Druckdifferenzen sind weit weniger stark ausgeprägt als im Winter, dennoch herrscht eine zügige Westströmung vom Nordatlantik bis zu den Alpen. Das blockierende Hoch mit Zentrum über der Ukraine ist am Boden mit nur wenig über 1015 hPa schwach ausgeprägt, über Osteuropa herrscht eine Hitzewelle. Verantwortlich ist das hohe Geopotenzial des sich bis zur Küste der Barentssee aufgewölbten Subtropenhochs, ein in den letzten Jahren im Sommer zunehmend häufiger zu beobachtendes Phänomen.
Markante Wettererscheinungen, Unwetterpotenzial
Je nach Stärke der Tiefs über Westeuropa können in den Alpen im Winterhalbjahr bei Winkelwestlagen Föhnstürme auftreten. Das Aufgleiten milder Atlantikluft über kalte Kontinentalluft birgt Potenzial für gefrierenden Regen. Im Sommer sind die Bedingungen für die Entstehung von Schwergewittern bei WW ähnlich wie bei einer zyklonalen Südwestlage: Energiereiche Luftmasse auf der Vorderseite, starke Windscherung durch Höhenwind (hier eher aus West) und zusätzliche Hebung mit der Kaltfront. Entsprechend birgt die winkelförmige Westlage das Potenzial für Grosshagel, wie das Beispiel vom 28.07.2020 in der Nordostschweiz zeigt.
Auswirkungen auf den Vogelzug
Die im Frühling und Herbst nur selten auftretende Winkelwestlage eignet sich schlecht für die Erforschung des Vogelzugs. Beim Herbstzug wurde während den wenigen Fällen unterdurchschnittlicher Zug festgestellt. Im Frühling dürfte die Vorderseite von WW bei Föhn für die Querung der Ostalpen genutzt werden.
Grundlagen:
Katalog der Großwetterlagen Europas (1881-2009) nach Paul Hess und Helmut Brezowsky
Statistik der Grosswetterlagen aufgeschlüsselt nach Monat und Gesamtjahr im Zeitraum 2001-2020
Wulf Gatter: Vogelzug und Vogelbestände in Mitteleuropa, erschienen im Aula-Verlag, 2000
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