Westlagen sind in den gemässigten Breiten – also auch in Mitteleuropa – quasi der „Normalzustand“. Die „Westlage, in Mitteleuropa überwiegend zyklonal“, ist die bei uns am häufigsten auftretende Grosswetterlage, wenn auch nicht zu allen Jahreszeiten. Ein Porträt.

Zyklonale Westlage der extremsten Ausprägung: Orkantief “Sabine” beherrscht den gesamten Nordatlantik und fast ganz Europa (Orientierungshilfe: roter Punkt = Basel)
Beschreibung
Eine Abfolge von Tiefdruckgebieten mit eingelagerten Zwischenhochs wandert in einer in normaler Lage befindlichen Frontalzone zwischen 50 und 60 Grad Nord von der Irischen See über die Britischen Inseln, die Nord- und Ostsee hinweg nach Osteuropa und biegt dort in der Regel nach Nordosten ab. Das steuernde Zentraltief liegt meist nördlich von 60 °N: Über Nordeuropa, dem europäischen Nordmeer und Island herrscht somit tiefer Luftdruck. Das Azorenhoch befindet sich in normaler Lage und reicht meist mit einem Ausläufer bis nach Südfrankreich oder sogar in den Alpenraum, vor allem im Sommer.
Zuordnung
Grosswettertyp (GWT): West
Zirkulationsform (ZF): zonal
Klimaregime: fast ausschliesslich NAO+ (positive nordatlantische Oszillation)
Verwandte GWL: in zyklonaler Richtung südliche Westlage WS, in antizyklonaler Richtung West antizyklonal WA
Statistik
häufigstes Auftreten im Zeitraum 2001-2024 (nach FM): Januar 16.80 %
häufigstes Auftreten im Zeitraum 1881-2008 (nach DWD): August 20.16 %, Dezember 19.35 %, Juli 19.20 %
seltenstes Auftreten im Zeitraum 2001-2024 (nach FM): April 3.61 %
seltenstes Auftreten im Zeitraum 1881-2008 (nach DWD): April 11.07 %, Mai 11.09 %
Häufigkeit Gesamtjahr im Zeitraum 2001-2024: 11.58 %, Veränderung gegenüber 1881-2008: -4.12 Prozentpunkte
Rang Häufigkeit aller GWL: 1881-2008 Rang 1, 2001-2024 Rang 1 (Rangverschiebung: 0)
längste ununterbrochene GWL WZ: 34 Tage vom 9. Februar bis 13. März 2020
häufigste Nachfolge-GWL 1881-1997 (nach DWD): 1.: Hoch Mitteleuropa HM 12.3 % / 2.: West antizyklonal WA 10.5 % / 3.: Trog Mitteleuropa TRM 8.8 %
seltenste Nachfolge-GWL im Zeitraum 1881-1997: Hoch Nordmeer-Fennoskandien (GWT Ost) HNFA und HNFZ je 0.0 %
Die zyklonale Westlage hat ihr statistisch häufigstes Auftreten im Winter und im Hochsommer. In den letzten 24 Jahren hat sie in fast allen Monaten abgenommen, allerdings nur geringfügig im Februar und März, und im Januar konnte sie sogar leicht zulegen. Bei gleichzeitig starker Abnahme im November kann man zum Schluss kommen, dass sich die typischen winterlichen Westlagen um etwa zwei Wochen nach hinten verschoben haben: Mutmasslich eine Folge der immer länger eisfreien europäischen Arktis im Herbst und somit später auftretenden starken Temperaturgegensätzen, die für die Entwicklung kräftiger Tiefdruckgebiete in diesen Breiten Voraussetzung sind. Es wird spannend zu beobachten sein, ob und wie sich dieser Trend mit weiter schrumpfender Eisfläche in der Arktis fortsetzen wird.
Die Schwankungen im Auftreten von West zyklonal sind von Jahr zu Jahr gross, die Werte liegen zwischen 18 Tagen im Jahr 2014 und 78 Tagen im Jahr 2020. In der langfristigen Entwicklung ist jedoch ein stetiger Trend zur Abnahme zu verzeichnen. Waren in den 1990er-Jahren im Schnitt noch 50 Tage pro Jahr von West zyklonal geprägt, sind es seit den 2010er-Jahren meist nur noch um 40 Tage. Ein paar starke Jahre zuletzt haben den Negativtrend gestoppt, ob nachhaltig, wird sich in den nächsten Jahren zeigen müssen. Das in früheren Statistiken gezeigte extrem starke Auftreten in den 1990er Jahren (max. 101 Tage im Jahr 1994) war auf eine im zeitlichen Verlauf unterschiedliche Methodik bei der GWL-Bestimmung des DWD zurückzuführen. Mit der eigenen Klassifikation anhand durchgängig konsistenter Methodik konnte dieses Artefakt beseitigt werden.
Witterung
Allgemeine Charakteristik: wechselhaftes und windiges Wetter, rasche Abfolge von Warm- und Kaltfronten oder Okklusionen mit Zwischenhochs (kühle Rückseiten) und oft geöffneten Warmsektoren vor allem im südlichen Mitteleuropa (kurze Föhnphasen in den Alpen möglich).
Frühling: Tagesminima der Temperatur meist übernormal (aber kalte Nächte auf den Rückseiten bzw. unter den Zwischenhochs), Tagesmaxima normal, Tagesmittel tendenziell leicht übernormal. Niederschlag übernormal.
Sommer: meist kühler als normal (Ausnahme: Warmsektoren im Süden); überdurchschnittliche Anzahl an Niederschlagstagen, Niederschlagsmenge im Alpenraum und Westen unternormal, sonst übernormal.
Herbst und Winter: meist wärmer als normal (Ausnahme: Rückseiten bzw. Zwischenhochs bringen kalte Nächte), Niederschlag übernormal.
Typische Beispiele
Winter (Klick ins Bild öffnet grössere Ansicht):Klassisches Weihnachtstauwetter (das in letzter Zeit immer häufiger von einer Südwestlage übernommen wird). Relativ glatte von West nach Ost verlaufende Frontalzone mit meist direkt vom Nordatlantik auf Mitteleuropa gerichtetem Jetstream. Grosse Druckdifferenz zwischen nördlichem und südlichem Mitteleuropa (Nord-/Ostsee-Alpen 30 hPa oder mehr). Lebhafter bis stürmischer Westwind in fast ganz Mitteleuropa. Schneefallgrenze schwankt zwischen den Niederungen und 1500 m, kann in ausgeprägten Warmsektoren im Alpenraum aber auch höher steigen. Windexponierte Lagen im Flachland weisen oft nächtliche Tiefstwerte um +10 Grad auf.
Sommer:Typisch mitteleuropäisches Sommerwetter: Warme, bzw. normal temperierte und kühle Phasen wechseln sich in rascher Folge ab, Kaltfronten sind meist von Gewittern begleitet. Oft glatter Jetstream über dem Nordatlantik, der in Mittel- oder Osteuropa nach Nordosten abbiegt. Mässiges Druckgefälle zwischen nördlichem und südlichem Mitteleuropa (Nord-/Ostsee-Alpen meist 10-15 hPa). Windig, aber selten stürmisch (abgesehen von Fallböen in Gewitternähe). Im Alpenraum kommen oft nur Fronten in abgeschwächter Form an. Warmfronten sind fast inexistent oder kaum aktiv, Kaltfronten bringen nur ein paar Schauer oder Gewitter. Wetteraktivität ist im nördlichen Mitteleuropa deutlich ausgeprägter. Deutlich von der Norm abweichende Tage in heisser bzw. schwüler Richtung treten meist nur als Einzelexemplare auf.
Markante Wettererscheinungen, Unwetterpotenzial
Die meisten schweren Winterstürme in Mitteleuropa treten mit der GWL West zyklonal auf. Die bekanntesten Beispiele sind die Sturmserien im Februar 2020 (Petra, Sabine, Tomris, Zehra, Bianca) und Ende Februar 1990 (Vivian, Wiebke), Januar 2018 (Burglind, Friederike), sowie Sturmtief Joachim am 15.-16.12.2011 und natürlich Kyrill am 18.-19.01.2007. Falls jemand in dieser Aufzählung den Lothar an Weihnachten 1999 vermisst: Das war eine südliche Westlage WS.
Auswirkungen auf den Vogelzug
Aufgrund der starken Unbeständigkeit während einer zyklonalen Westlage schwankt auch der Vogelzug von Tag zu Tag erheblich. Bei länger andauernden Niederschlägen und starkem Wind kommt der Vogelzug fast gänzlich zum Erliegen, es bildet sich ein so genannter Zugstau. Dieser löst sich auf, sobald sich die Bedingungen bessern, weshalb die GWL West zyklonal die meisten Spitzenzugtage hervorbringt. Diese sind im Herbstzug für Südostzieher gleich hinter der Kaltfront bei auf Nordwest drehendem Wind und abnehmender Schauertätigkeit zu finden. Südwestzieher warten hingegen das Abflauen des Windes im Zwischenhoch ab. Im orniwetter-Wetterlagenkalender erkennen Sie solche Tage am besten an gelb oder hellblau markierten Tagen mit dem Kürzel „WZ“ inmitten oder gegen Ende einer WZ-Phase. Die feucht markierten Tage erhöhen die Wahrscheinlichkeit für Zugstau.
Grundlagen:
Katalog der Großwetterlagen Europas (1881-2009) nach Paul Hess und Helmut Brezowsky
Statistik der Grosswetterlagen aufgeschlüsselt nach Monat und Gesamtjahr im Zeitraum 2001-2024
Wulf Gatter: Vogelzug und Vogelbestände in Mitteleuropa, erschienen im Aula-Verlag, 2000
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