Ursprünglich eine klassische Lage der Übergangsjahreszeiten und verantwortlich für Föhnstürme in den Alpen, tritt die GWL Trog Westeuropa nun zunehmend auch im Sommer auf und verursacht heftige Unwetter mit Grosshagel und sogar Tornados. Ein Porträt.
Beschreibung
In Trogform erstreckt sich tiefer Luftdruck sowohl am Boden als auch in der Höhe vom Nordmeer über den westeuropäischen Küstenbereich bis zur Iberischen Halbinsel. Flankiert wird dieser Trog von hohem Luftdruck über dem mittleren Atlantik und Westrussland. Die Frontalzone verläuft vom mittleren Atlantik nach Spanien und von dort in Richtung Nordost über das westliche Mitteleuropa nach Skandinavien. In ihr wandern Randtiefs meist westlich der Alpen entlang über Mitteleuropa hinweg.
Zuordnung
Grosswettertyp (GWT): Süd
Zirkulationsform (ZF): meridional
Klimaregime: meist ATR (atlantischer Rücken), manchmal auch NAO+ (positive nordatlantische Oszillation), wenn das Azorenhoch nicht allzu weit nach Norden ausgreift, oder Block, wenn das blockierende Hoch über Osteuropa dominanter ist als jenes auf dem Atlantik (v.a. im Spätsommer und Herbst)
Verwandte GWL: in zyklonaler Richtung: Süd zyklonal SZ, Südwest zyklonal SWZ; in antizyklonaler Richtung: Süd antizyklonal SA, Südwest antizyklonal SWA
Statistik
häufigstes Auftreten im Zeitraum 2001-2023: Juni 11.74 %
häufigstes Auftreten im Zeitraum 1881-2008: Mai 5.29 %, April 4.95 %
seltenstes Auftreten im Zeitraum 2001-2023: März 2.66 %
seltenstes Auftreten im Zeitraum 1881-2008: Januar 0.96 %
Häufigkeit Gesamtjahr im Zeitraum 2001-2023: 6.90 %, Veränderung gegenüber 1881-2008: +3.48 Prozentpunkte
Rang Häufigkeit aller GWL: 1881-2008 Rang 9, 2001-2023 Rang 4 (Rangverschiebung: +5)
längste ununterbrochene GWL TRW: 13 Tage vom 3. bis 15. September 1975
häufigste Nachfolge-GWL 1881-1997: 1.: West zyklonal WZ 13.9 % / 2.: Hochdruckbrücke Mitteleuropa BM 11.1 % / 3.: Trog Mitteleuropa TRM 9.5 %
häufigste Nachfolge-GWL 1971-2022: 1.: Hochdruckbrücke Mitteleuropa BM 18.6 % / 2.: Trog Mitteleuropa TRM 17.0 % / 3.: West zyklonal WZ 11.7 %
seltenste Nachfolge-GWL im Zeitraum 1881-1997: Hoch Fennoskandien zyklonal HFZ und Süd zyklonal SZ je 0.5 %
folgt auf GWL 1971-2022: 1.: West zyklonal WZ 14.1 % / 2.: Hochdruckbrücke Mitteleuropa BM 12.5 % / 3.: Hoch Mitteleuropa HM und West antizyklonal WA je 6.9 %
Die GWL Trog Westeuropa hat in allen Monaten zugenommen, am deutlichsten von Mai bis Juli und im November. Bei gleichzeitig abnehmenden Westlagen ist dies eine Folge häufiger mäandrierender Jetstreams. Mit einer exakten Verdoppelung im Jahresmittel ist sie jene GWL, die von den heute häufiger vorkommenden relativ am zweitstärksten zugelegt hat.
Die Zunahme in allen Monaten mit Ausnahme des Märzen, wo es nur eine Verschiebung von der Mitte hin zum Anfang und zum Ende des Monats gab, wird auch hier deutlich. Die Wetterlage ist aber nicht homogen verteilt, so bleiben auch jetzt noch Lücken bestehen, so eben Mitte März und vor allem in der ersten Dezemberhälfte. Der frühere Peak im Jahresverlauf von Mitte Mai hat sich etwas abgeschwächt, dafür ist jener zum Monatswechsel April/Mai weiter angewachsen. Sehr auffällig sind auch die neuen Häufungen Ende Juni bis Anfang Juli sowie von Ende Oktober bis Mitte November. Zudem leistet in jedem 10. Jahr TRW seinen Beitrag zum Weihnachtstauwetter.
Von null bis 52 Tagen im Jahr ist die Schwankungsbreite des Auftretens von Trog Westeuropa recht gross. Die Zunahme ist allerdings kontinuierlich und weniger wellenförmig als bei anderen häufigen Wetterlagen: So gab es nach 1985 kein Jahr mehr ohne TRW und sogar keins mit weniger als zehn Tagen. Inzwischen gelten Jahre mit nur 13 Tagen wie 2020 und 2011 als Ausreisser nach unten, der Erwartungswert für die nächsten Jahre liegt bei 25-30 Tagen pro Jahr.
Witterung
Generell feucht-warm, je weiter nach Osten, umso trockener. Oft liegt eine scharfe Luftmassengrenze über dem westlichen Mitteleuropa, was besonders in den Sommermonaten zu heftigen Unwettern führt. In den anderen Jahreszeiten herrscht über den Alpen eine Südföhnlage, die dort auf der Nordseite für Trockenheit sorgt, im Süden aber ergiebige Stauniederschläge bringen kann. Progressiert der Trog nach Osten, wird daraus die GWL Trog Mitteleuropa. Dann stellt sich jeweils für die Klassifizierung die Frage, wann TRW endet und TRM beginnt. Eine hilfreiche Faustregel kann sein, dass TRW endet, wenn die Trogachse den östlichen 10. Längengrad erreicht. Geschieht dies langsam oder gar mit einer stationären Gegenstromlage, sind die lokalen Auswirkungen von TRW und TRM oft gar nicht so verschieden, obwohl die eine Lage zum Grosswetteryp Süd, die andere zum GWT Nord gehört. Die folgenden Angaben beziehen sich daher auf die Tage, an denen der Trog noch deutlich im Westen liegt.
Frühling: wärmer als normal. Niederschlag übernormal (Ausnahme: Föhngebiete am Alpennordrand).
Sommer: wärmer als normal ausser im westlichen Mitteleuropa, dort oft Übergang zu kühler Witterung. Niederschlag im Westen übernormal, sonst unstrukturiert durch lokale Gewitter.
Herbst: wärmer als normal. Niederschlag normal bis übernormal (Ausnahme: Föhngebiete am Alpennordrand).
Winter: wärmer als normal. Niederschlag unternormal ausser im westlichen Mitteleuropa.
Typische Beispiele
Spätherbst (Klick ins Bild öffnet grössere Ansicht):
Klassische Südföhnlage im November. Ein perfekt ausgeformter Trog umfasst den gesamten östlichen Nordatlantik und Westeuropa, umschlossen von einem starken Jetstream. Das Zentrum des Bodentiefs liegt über dem Ärmelkanal, an seiner Ostseite ist der Warmsektor weit geöffnet. Die Druckdifferenz zwischen Lugano und Zürich liegt bei 15 hPa, am Urnersee werden Böen bis 140 km/h gemessen, im appenzellischen Brülisau 172 km/h. Die Temperatur erreicht in den Föhntälern 20-22 Grad. Auf der Alpensüdseite fallen enorme Regenmengen (314 mm innerhalb 120 Stunden in Camedo, Tessin).
Sommer:
Dieser Fall zeigt eine in den letzten Jahren im Sommer immer häufiger auftretende Lage. Das Klimaregime ist ATR (atlantischer Rücken, mit nur schwachem Islandtief). Der Trog umfasst die gesamte Iberische Halbinsel und zapft heisse Luftmassen aus Nordafrika an, die über das Mittelmeer bis über die Alpen hinweg und in der Folge bis ans Nordkap geführt wird (in Severodvinsk am Weissen Meer werden knapp 32 Grad gemessen). Ab dem 18. Juni werden aus ganz Mitteleuropa täglich mehrere heftige Unwetter gemeldet, darunter Sturzfluten, dutzende Kilometer lange Grosshagel-Schneisen und als Schlussbouquet am 24. Juni ein verheerender Tornado in Südmähren.
Markante Wettererscheinungen, Unwetterpotenzial
Trog Westeuropa ist zusammen mit Hochdruckbrücke Mitteleuropa (welche häufig auf TRW folgt) im Sommer die unwetterträchtigste Lage in Mitteleuropa. Nicht nur die extrem energiereiche, da heisse und gleichzeitig feuchte Luftmasse ist dafür verantwortlich, sondern auch die starke vertikale Windscherung unter der strammen Südwest- bis Südströmung in der Höhe. Gewitter werden so extrem langlebig und der Hagel kann lange zirkulieren und anwachsen, bevor ihn die Aufwinde nicht mehr tragen können. Dabei ist der unmittelbare nördliche Alpenrand durch Föhneffekte geschützt, die heftigsten Gewitter entstehen aus den Voralpen heraus oder über den Mittelgebirgen und ziehen in nord-nordöstlicher Richtung. Auch langlebige Cluster (MCS), die mitunter von Zentral- oder Südfrankreich bis nach Norddeutschland ziehen, gehören zum Repertoire sommerlicher TRW-Lagen. Stark betroffen ist häufig auch der Alpensüdhang, an dem Gewittercluster zusätzlichen Auftrieb erhalten. Ebenfalls nicht zu vernachlässigen ist die Hitzebelastung mit hohen Taupunkten (Tropennächte), die häufig mit dieser Wetterlage einhergeht. Vor allem im Spätherbst und im Frühling (April-Mai), seltener im Winter, ist TRW für Föhnstürme auf der Alpennordseite verantwortlich, während starke Niederschläge über mehrere Tage auf der Alpensüdseite, manchmal auch in den Westalpen Hochwasser oder in höheren Lagen enormen Neuschneezuwachs und grosse Lawinengefahr bringen.
Auswirkungen auf den Vogelzug
Generell findet aufgrund des Gegenwinds bei Trog Westeuropa nur schwacher, bodennaher Herbstzug statt. Allerdings nutzen einige späte Kurzstreckenzieher und als Ausnahme der früheren Langstreckenzieher der Brachpieper schöne Tage v.a. zu Beginn einer TRW-Phase (Föhn), wenn die Regenfront noch westlich der Alpen liegt. Der Frühjahrszug ist weniger gut erforscht, es ist aber vorstellbar, dass zu Beginn von TRW-Lagen der Südwind für die Querung der Alpen genutzt wird, bevor Staubewölkung und Niederschlag auf der Alpensüdseite einsetzen. Zumindest deutet die Ankunft des hauptsächlich nachts ziehenden Kuckucks in Mitteleuropa während trockener TRW-Phasen Anfang April darauf hin.
Grundlagen:
Katalog der Großwetterlagen Europas (1881-2009) nach Paul Hess und Helmut Brezowsky
Statistik der Grosswetterlagen aufgeschlüsselt nach Monat und Gesamtjahr im Zeitraum 2001-2020
Wulf Gatter: Vogelzug und Vogelbestände in Mitteleuropa, erschienen im Aula-Verlag, 2000
Das Projekt “Grosswetterlagen” wurde ermöglicht durch grosszügige Spenden von Privatpersonen während der Einnahmen-Ausfälle durch das übliche Wetterberatungs-Geschäft für kulturelle und sportliche Anlässe als Folge der Corona-Pandemie. Diese Zuwendungen ermöglichten die zeitaufwändige Datenerfassung und das Verfassen der Grafiken und Texte – eine sinnvolle Beschäftigung während der unfreiwillig zur Verfügung stehenden Freizeit. Falls auch Sie dieses Projekt unterstützen möchten, können Sie dies mit einem frei wählbaren Betrag durch die unten stehenden Möglichkeiten tun. Vielen Dank!
Falls Sie kein PayPal-Konto besitzen, können Sie direkt auf eines der angegebenen Konten unter den Kontaktdaten einzahlen.
Microwave am 8. August 2022 um 20:25 Uhr
Jaajaa, für Gewitterfreunde “TRW, öpis grössers git s nööd!”. Aber (die Steine bei) “TB” war(en) auch nicht ganz “klein”, siehe z.B. 6/28/2021. Und auch von der Maturarbeit über Schwergewitter habe ich noch behalten dass “TB” nicht ganz ungefährlich ist. Leider habe ich aber das Porträt von dieser Lage nicht gefunden, habe ich da schlecht gesucht? Wenn es noch nicht existieren würde wäre ev. auch ein Vergleich interessant mit “TRW”..? Beste Grüsse – Microwave
Fabienne Muriset am 8. August 2022 um 22:18 Uhr
Hoi Microwave
Ich habe gute Nachrichten für dich: TB liegt auf Rang 19 und ist somit das nächste GWL-Porträt, das veröffentlicht wird. Es ist schon fast fertig und erscheint noch in dieser Woche.
Grüsslis
Fabienne