Eine klare Gewinnerin der letzten 20 Jahre ist die Grosswetterlage Trog Mitteleuropa. Vor allem im Winter und im Sommer hat sie stark zugelegt, zu einem wesentlichen Teil auf Kosten von Westlagen. Sie trägt mit ihrem kühlen Witterungscharakter dazu bei, dass sich die allgemeine Erwärmung in Mitteleuropa nicht noch stärker manifestiert. Ein Porträt.
Beschreibung
Ein Trog über Nord- und Mitteleuropa wird flankiert von höherem Luftdruck über dem östlichen Nordatlantik und Westrussland. In einer von den Britischen Inseln über Frankreich und das südliche Mitteleuropa, häufig auch über Italien verlaufenden und von dort nach Nordosten umbiegenden Frontalzone ziehen Randtiefs (Vb-Lage). Diese gewinnen nach vorübergehender Abschwächung über dem Mittelmeer wieder an Intensität und wirken sich dadurch stärker über dem östlichen Mitteleuropa aus.
Zuordnung
Grosswettertyp (GWT): Nord
Zirkulationsform (ZF): meridional
Klimaregime: meist ATR (atlantischer Rücken) oder Block, seltener NAO+ (positive nordatlantische Oszillation), wenn das Azorenhoch nicht allzu weit nach Norden ausgreift
Verwandte GWL: Nordwest zyklonal NWZ, Nord zyklonal NZ
Statistik
häufigstes Auftreten im Zeitraum 2001-2023: Dezember 11.64 %
häufigstes Auftreten im Zeitraum 1881-2008: April 6.02 %, November 5.81 %
seltenstes Auftreten im Zeitraum 2001-2023: Oktober 2.38 %
seltenstes Auftreten im Zeitraum 1881-2008: August 3.35 %
Häufigkeit Gesamtjahr im Zeitraum 2001-2023: 7.80 %, Veränderung gegenüber 1881-2008: +3.33 Prozentpunkte
Rang Häufigkeit aller GWL: 1881-2008 Rang 6, 2001-2023 Rang 3 (Rangverschiebung: +3)
längste ununterbrochene GWL TRM: 16 Tage vom 1. bis 16. Juni 1995 (interessantes Detail: Von 2008 bis 2015 traten 6 TRM-Perioden auf, die 10 bis 14 Tage dauerten)
häufigste Nachfolge-GWL 1881-1997: 1.: West zyklonal WZ 16.2 % / 2.: Hochdruckbrücke Mitteleuropa BM 8.0 % / 3.: West antizyklonal WA 7.2 %
häufigste Nachfolge-GWL 1971-2022: 1.: West zyklonal WZ und Hochdruckbrücke Mitteleuropa BM je 15.7 % / 3.: West antizyklonal WA 5.2 %
seltenste Nachfolge-GWL im Zeitraum 1881-1997: Süd antizyklonal SA 0.0 %
folgt auf GWL 1971-2022: 1.: West zyklonal WZ 21.3 % / 2.: Trog Westeuropa TRW 18.3 % / 3.: Hochdruckbrücke Mitteleuropa BM 8.3 %
Die GWL Trog Mitteleuropa hat mit Ausnahme des Oktobers in allen Monaten zugenommen, am deutlichsten im Dezember und Januar, aber auch Juli bis September und im Mai. Bei gleichzeitig abnehmenden Westlagen ist dies eine Folge häufiger mäandrierender Jetstreams. Warum sich ausgerechnet der Oktober diesem Trend entzieht, ist vorerst ein Rätsel. Hätte dies etwas mit der Temperaturverteilung von Land und Wasser zu tun, müssten die anderen Herbstmonate zumindest ähnliche Werte aufweisen. Vielleicht stolpern wir ja bei den Auswertungen anderer GWL noch über einen möglichen Zusammenhang. Dass sich das häufigste Auftreten vom November in den Dezember verschoben hat, ist ein weiterer Hinweis darauf, dass sich die Umstellung von herbstlich-meridionaler auf winterlich-zonale Zirkulation zunehmend verspätet (siehe auch Trend von West zyklonal).
Verdoppelt sich die Häufigkeit einer Wetterlage von einer Klimanormperiode zur nächsten, so könnte man vielleicht davon ausgehen, dass die Verteilung homogener wird. Doch das ist mitnichten der Fall: Der Oktober wird mit Ausnahme eines neuen Peaks zur Monatsmitte weiterhin ausgespart, ebenso Mitte März und die Zeit um den Dreikönigstag. Das häufige Auftreten um den 25. August herum und somit das Einleiten einer ersten herbstlichen Phase hat sich zudem auf den Monatswechsel zum September verschoben. Auffällig ist ebenfalls, dass die deutliche Zunahme im Januar fast ausschliesslich auf die zweite Monatshälfte fällt.
Von null bis 68 Tagen im Jahr ist die Schwankungsbreite des Auftretens von Trog Mitteleuropa recht gross. Auffällig ist das gehäufte Auftreten ab 2004, während der Trend zum Schluss wieder deutlich nach unten zeigt. Diese wechselnden Phasen von gehäuftem und seltenerem Auftreten gab es aber schon immer, daher ist hier der langfristige Trend zur Zunahme, der die Schwankungen überlagert, nicht zu vernachlässigen. Im vorherigen Jahrhundert pendelte das langjährige Mittel konstant um 15 Tage pro Jahr, wir haben es also seit der Jahrtausendwende mit einer Verdoppelung zu tun. Auch hier wird spannend zu beobachten sein, wie sich die Entwicklung fortsetzt.
Witterung
Generell unbeständig und kühl. Die Variabilität ist in den verschiedenen Regionen Mitteleuropas sehr gross, je nach Achsenlage des Troges, seiner Ausdehnung nach Süden und Stärke seiner Randtiefs. Im Extremfall kann Wien noch bei 35 Grad schmoren, während Zürich unter Dauerregen nicht mal 15 Grad erreicht. Die Entladungen unter einer solchen Luftmassengrenze sind dann wenig überraschend recht heftig. Trog Mitteleuropa geht häufig mit Hochdruckbrücke Mitteleuropa einher, bzw. endet mit einer solchen. Zuvor kann es mehrmals zu vergeblichen Versuchen kommen, eine Hochdruckbrücke am Boden unter dem Trog hindurch zu etablieren, womit innerhalb einer längeren Periode mit TRM freundlichere Zwischenhoch-Tage auftreten können.
Frühling: kälter als normal, Niederschlag übernormal.
Sommer und Herbst: kälter als normal. Niederschlag vor allem im Osten deutlich übernormal (Vb-Lage), im Westen normal.
Winter: Westeuropa kälter als normal, mittleres und östliches Mitteleuropa wärmer als normal; Niederschlag übernormal.
Typische Beispiele
Winter (Klick ins Bild öffnet grössere Ansicht):
Die TRM-Lage vom 5. bis 11 Dezember 2021 zeigt auf, dass diese GWL zwar zum Grosswettertyp Nord gehört, aber sehr oft eher einer Nordwestlage gleicht. Das Klimaregime ist NAO+ (Islandtief und Azorenhoch normal ausgeprägt) mit einer strammen Nordwestströmung auf dem Nordatlantik, die aber über Westeuropa noch stärker nach Süden umgelenkt wird. Der Trog reicht bis nach Nordafrika hinein, was im Winter häufig vorkommt. Der äusserste Osten des deutschen Sprachraums liegt unter einer südlichen Höhenströmung, am Boden hat sich aber bereits Polarluft durchgesetzt (sogenannte Gegenstromlage). Im Winter ist Trog Mitteleuropa der beste Schneebringer für die ost-mitteleuropäischen Tieflagen, da in der Höhe genügend Feuchtigkeit aus dem Mittelmeerraum herangeführt wird, was die Lage von den zwar kälteren, aber meist auch trockeneren Nord- bis Ostlagen unterscheidet. So wurden in Wien (Hohe Warte) am Morgen des 10.12.2021 15 cm Schnee gemessen, die grösste Menge seit 2010.
Sommer:
Dieser Fall zeigt eine in den letzten Jahren im Sommer immer häufiger auftretende Lage. Das Klimaregime ist ATR (atlantischer Rücken, das Islandtief ist kaum vorhanden), der Trog greift über dem Mittelmeer aussergewöhnlich für die Jahreszeit weit nach Süden aus und sorgt auch in Norditalien für schwere Unwetter. An der Temperaturkarte erkennt man, dass das Tief über Skandinavien die heisse Kontinentalluft anzapft und diese an der Westflanke des Troges wieder nach Süden lenkt, wo sie unter die Höhenkaltluft des Troges gelangt – eine äusserst explosive Mischung. Über Süddeutschland und den Alpen sieht man den Versuch einer Brückenbildung zwischen dem Azoren- und dem Russlandhoch, die jedoch scheitert: Die Lage dauert insgesamt elf Tage und sorgt für zahlreiche Unwetter in den verschiedensten Regionen.
Markante Wettererscheinungen, Unwetterpotenzial
Trog Mitteleuropa sorgt in allen Jahreszeiten vor allem im Alpenraum aufgrund der sich häufig einstellenden Gegenstromlage (feucht-warme Mittelmeerluft gleitet auf die nördlich der Alpen lagernde Kaltluft auf) für ergiebige Niederschläge. Besonders im Sommer und Frühherbst, wenn das Mittelmeer die höchste Temperatur im Jahresverlauf aufweist, nehmen die Randtiefs viel Energie auf und entladen sie auf ihrer Vb-Zugbahn nach Norden über dem östlichen Mitteleuropa. TRM ist an vielen Hochwasserlagen in Mitteleuropa zumindest beteiligt, gar hauptursächlich an jener im August 2002 (Elbe- und Kamp-Hochwasser), aber auch am Donau-, Moldau- und Oderhochwasser im Juni 2009 und am Oderhochwasser Mitte Mai 2010. Im Winter bringt TRM oft grosse Schneemengen in den Alpen, wobei es aufgrund der Gegenstromlage häufig keine grossen Unterschiede zwischen Nord- und Südseite gibt. Klassisch ist die GWL TRM im Frühling für Schneebruch- und Frostschäden verantwortlich, zuletzt ganz extrem in weiten Teilen Europas vom 23. April bis 1. Mai 2016.
Auswirkungen auf den Vogelzug
Wohl hauptsächlich aufgrund ihrer grossflächigen Niederschläge ist Trog Mitteleuropa die Zugstau-Lage schlechthin, und zwar sowohl nördlich wie südlich der Alpen. Allenfalls findet schwacher Zug von Kleinvögeln sehr bodennah statt. Dennoch kann es innerhalb einer längeren TRM-Periode zu einzelnen starken Zugtagen kommen, nämlich dann, wenn ein Zwischenhoch für eine vorübergehende Wetterberuhigung sorgt.
Grundlagen:
Katalog der Großwetterlagen Europas (1881-2009) nach Paul Hess und Helmut Brezowsky
Statistik der Grosswetterlagen aufgeschlüsselt nach Monat und Gesamtjahr im Zeitraum 2001-2020
Wulf Gatter: Vogelzug und Vogelbestände in Mitteleuropa, erschienen im Aula-Verlag, 2000
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