Zu den in den letzten Jahren stark zunehmenden Grosswetterlagen gehört auch das Tief Britische Inseln. Sie ist ebenso Produkt eines schwächelnden und mäandrierenden Jetstreams wie ihre nahen Verwandten Trog Westeuropa und Südost zyklonal und im Sommer berüchtigt für überaus heftige Gewitter mit grossem Hagel auf der Vorderseite einer scharfen Luftmassengrenze.
Beschreibung
Ein umfangreiches Zentraltief liegt mit seinem Kern im Gebiet der Britischen Inseln und steuert Randtiefs kreisförmig vom mittleren Atlantik über die Biskaya, Frankreich und das westliche Mitteleuropa nach Norden. Bisweilen wandern Randtiefs an der Nordflanke des Tiefs nach Westen.
Zuordnung
Grosswettertyp (GWT): Süd
Zirkulationsform (ZF): meridional
Klimaregime: meist Block, bei starkem Hoch über dem Nordmeer-Island und etwas nach Süden verschobenem Tief auch NAO- (negative nordatlantische Ozillation)
Verwandte GWL: in antizyklonaler Richtung Süd antizyklonal SA; in zyklonaler Richtung Süd zyklonal SZ
Statistik
häufigstes Auftreten im Zeitraum 2001-2023: Juli 5.89 %
häufigstes Auftreten im Zeitraum 1881-2008: Mai 4.01 %
seltenstes Auftreten im Zeitraum 2001-2023: Januar und August je 0.00 %
seltenstes Auftreten im Zeitraum 1881-2008: Januar 0.98 %
Häufigkeit Gesamtjahr im Zeitraum 2001-2023: 2.06 %, Veränderung gegenüber 1881-2008: -0.15 Prozentpunkte
Rang Häufigkeit aller GWL: 1881-2008 Rang 18, 2001-2023 Rang 17 (Rangverschiebung: +1)
längste ununterbrochene GWL TB: 12 Tage vom 21. Dezember 1899 bis 4. Januar 1900
häufigste Nachfolge-GWL 1881-1997: 1.: West zyklonal WZ 20.6 % / 2.: Unbestimmt 8.6 % / 3.: Trog Westeuropa, Trog Mitteleuropa und Tief Mitteleuropa je 6.9 %
häufigste Nachfolge-GWL 1971-2022: 1.: West zyklonal WZ 17.4 % / 2.: Trog Westeuropa TRW 11.6 % / 3.: Trog Mitteleuropa TRM 10.5 %
seltenste Nachfolge-GWL 1881-1997: 1.: Hoch Britische Inseln HB und Nordost antizyklonal NEA je 0.0 %
folgt auf GWL 1971-2022: 1.: West zyklonal WZ und Trog Westeuropa TRW je 11.6 % / 3.: Hochdruckbrücke Mitteleuropa BM 9.3%
Als “Unfall” in einer zyklonalen Westlage, wenn diese vor Westeuropa schwach austrogt, war das Tief Britische Inseln bisher im ganzen Jahr präsent, wenn auch etwas gehäufter im Frühling und Spätsommer. Das hat sich in den letzten 20 Jahren geändert: Aus dem Winter ist sie fast vollständig verschwunden, hat aber vor allem in den Sommermonaten Juni und Juli markant zugenommen, ganz besonders in den Jahren 2019, 2021 und 2022 mit enormen Hagelschäden in der Schweiz.
Die tagesgenaue Auflösung der Verteilung zeigt eine Verschiebung um ungefähr zehn Tage im Frühling. Besonders auffällig ist das neu gehäufte Auftreten um den 6./7. Juli herum sowie vom 7. bis 16. September. Wirklich belastbar sind diese teils relativ jungen Entwicklungen bei einer seltenen Wetterlage allerdings nicht.
Das Tief Britische Inseln weist seit Beginn der Statistik 1881 ein recht konstantes Vorkommen von 7-10 Tagen im langjährigen Mittel auf. Die auffälligen Lücken um 1990 und 2005 herum zogen das Mittel in den letzten 30 Jahren etwas nach unten, nun scheint aber wieder eine aktivere Phase zu laufen. Wie nachhaltig diese ist, bleibt abzuwarten.
Witterung
Im westlichen Mitteleuropa meist nass mit Neigung zu lokalen Überflutungen, ebenso auf der Alpensüdseite (Staulage). Nach Osten hin trockener und meist warm, in den nördlichen Alpentälern föhnig. Oft tagelang scharfe und nahezu stationäre Luftmassengrenze mitten durch Mitteleuropa mit kühl-nassem Westen und warmem bis im Sommer heissem Osten, dort entweder föhnig (Winterhalbjahr) oder gewittrig (Sommerhalbjahr) mit hohem Unwetterpotenzial.
Frühling: wärmer als normal; Niederschlag übernormal bis auf östliches Mitteleuropa
Sommer: wärmer als normal, im Westen unternormal (mit Ausnahme des Tagesminimums); Niederschlag übernormal bis auf östliches Mitteleuropa
Herbst: wärmer als normal; Niederschlag normal bis übernormal mit Ausnahme der Föhngebiete
Winter: wärmer als normal; Niederschlag übernormal bis auf östliches und südöstliches Mitteleuropa (Föhngebiete)
Typische Beispiele
Frühling (Klick ins Bild öffnet grössere Ansicht):
Über dem Nordatlantik fährt der Jetstream Achterbahn, holt über Grönland einmal tief Luft und kommt über Irland direkt aus Nord und biegt über Nordspanien wieder nach Norden um. Dabei wird zunächst sehr warme Luft über die Alpen bis nach Südskandinavien advehiert, in Süddeutschland und in der Nordschweiz werden Temperaturen bis 22 Grad erreicht. Die Polarluft erreicht einen Tag später die Schweiz, die Schneefallgrenze sinkt bis in die Niederungen, das TMax in Basel liegt gerade noch bei 3 Grad. In der Gotthardregion fallen Neuschneemengen von 80-160 cm. In der Nacht zum 5. April klart es auf und die Temperaturen sinken im westlichen Schweizer Mittelland auf -3 bis -5 Grad, die soeben frisch geöffneten Kirschblüten sind dahin. Diese Wetterlage ist ein Lehrbuchbeispiel für meridionale Wetterlagen im April, bei der sich frühsommerliche und winterliche Verhältnisse die Klinke in die Hand geben.
Sommer:
Auch wenn die Druckgegensätze deutlich geringer sind als im Frühling, sind doch das Drehzentrum über den Britischen Inseln und das blockierende Hoch über Osteuropa perfekte Gegenspieler, die heisse Luftmassen aus dem Mittelmeerraum bis weit nach Nordeuropa verfrachten. Auf der Rückseite des Tiefs fliesst hingegen Polarluft bis nach Nordspanien. An der scharfen Luftmassengrenze über der Schweiz bilden sich heftige Gewitter mit Starkregen und Hagel. Diese Lage ist der Toröffner für die fatale Abfolge von sehr nassen Wetterlagen bis Mitte Juli, welche verheerende Hochwasser in weiten Teilen Mitteleupas bringen.
Markante Wettererscheinungen, Unwetterpotenzial
Zu allen Jahreszeiten ist das Tief Britische Inseln für nahezu stationäre Luftmassengrenzen über dem westlichen Mitteleropa bzw. dem Alpenraum verantwortlich. Meist bildet sich dabei eine Gegenstromlage, bei der sehr warme und feuchte Luftmassen in der Höhe über die aus Westen eingeflossene Kaltluft am Boden aufgleitet, noch verstärkt durch die Hebung der Alpen. Dadurch werden nicht nur auf der Alpensüdseite, sondern auch im Norden sehr ergiebige Niederschläge ausgelöst. Im Winterhalbjahr fallen diese meist rasch als Schnee bis in tiefe Lagen. Im Sommer sorgt die starke Geschwindigkeits- und Richtungsscherung der unterschiedlichen Windströmungen vorderseitig der Luftmassengrenze für langlebige Gewitter mit Potenzial für sehr grossen Hagel, wie das Beispiel vom 28.07.2021 gezeigt hat. Mit der Ostverlagerung des Tiefs werden erst später auch die östlichen Regionen Mitteleuropas in Mitleidenschaft gezogen, dann wird die Lage aber meist schon als Trog Mitteleuropa (TRM) oder Tief Mitteleuropa (TM) klassifiziert.
Auswirkungen auf den Vogelzug
Da Mauersegler in der zweiten Julihälfte bis Anfang August meist eine markante Gewitterfront als Startzeitpunkt für ihren Herbstzug nutzen, ist die GWL Tief Britische Inseln für Spitzenzugtage dieser Art bekannt. Die Front treibt dann oft riesige Schwärme vor sich her, am Tag danach ist der Himmel wie leergefegt und die zuvor von den Rufen der Mauersegler erfüllten Abende wirken totenstill. Ebenfalls auffällig, wenn auch weniger extrem ist bei solchen Wetterlagen der Zug von Rauch- und Mehlschwalbe im Frühherbst. Später wird diese Wetterlage kaum noch genutzt, bringt sie doch nebst Regen und schlechten Sichtverhältnissen nur starken Gegenwind. Beim Frühjahrszug könnte die Vorderseite einer sich aufbauenden TB-Lage die Alpenquerung erleichtern, die Datenlage hierzu ist allerdings dünn.
Grundlagen:
Katalog der Großwetterlagen Europas (1881-2009) nach Paul Hess und Helmut Brezowsky
Statistik der Grosswetterlagen aufgeschlüsselt nach Monat und Gesamtjahr im Zeitraum 2001-2020
Wulf Gatter: Vogelzug und Vogelbestände in Mitteleuropa, erschienen im Aula-Verlag, 2000
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Microwave am 12. August 2022 um 13:28 Uhr
Danke für dieses Porträt. Hmmm, da stellt sich jetzt die Frage: Was ist gefährlicher? TB oder TRW? Kann man wohl nicht generell festlegen, anfällig für rotierende Konvektion sind ja beide… Interessante Feststellung am Rande: Lüstigerweise sind grad um das Datum umher in der Schweiz offenbar keine Ereignisse bekannt. Obwohl es auf der Druckkarte doch recht gefährlich aussieht, auch bei uns =) . Vielleicht ist in der Höhe noch die Gefahr bestehen geblieben am 06., aber unten ist schon die Kaltfront durchgezogen früher irgendwann mal. Grüsse – Microwave