Vor hundert Jahren war die Grosswetterlage „Südwest, in Mitteleuropa überwiegend antizyklonal“ noch ein äusserst seltenes Phänomen, heute ist sie etwa dreimal so häufig und nimmt in der Rangliste den 8. Platz ein. Ein Porträt.
Beschreibung
Zwischen einer Hochdruckzone über Südeuropa und Westrussland sowie einem Tiefdrucksystem über dem mittleren Nordatlantik und dem westlichen Nordmeer erstreckt sich eine von Südwesten nach Nordosten gerichtete Frontalzone, die vom Seegebiet südwestlich Irlands bis ins Baltikum reicht. Die nordostwärts ziehenden Randtiefs streifen nur das westeuropäische Küstengebiet, während der größte Teil Mitteleuropas unter antizyklonalem Einfluss steht.
Zuordnung
Grosswettertyp (GWT): Südwest
Zirkulationsform (ZF): gemischt
Klimaregime: NAO+ (positive nordatlantische Oszillation)
Verwandte GWL: in antizyklonaler Richtung Hoch Mitteleuropa HM, in zyklonaler Richtung Südwest zyklonal SWZ
Statistik
häufigstes Auftreten im Zeitraum 2001-2023: Oktober 7.01 %
häufigstes Auftreten im Zeitraum 1881-2008: Oktober 3.63 %
seltenstes Auftreten im Zeitraum 2001-2023: Juli 1.82 %
seltenstes Auftreten im Zeitraum 1881-2008: Juli 1.21 %
Häufigkeit Gesamtjahr im Zeitraum 2001-2023: 4.42 %, Veränderung gegenüber 1881-2008: +2.03 Prozentpunkte
Rang Häufigkeit aller GWL: 1881-2008 Rang 16, 2001-2023 Rang 8 (Rangverschiebung: +8)
längste ununterbrochene GWL SWA: 12 Tage vom 6. bis 17. Oktober 1995
häufigste Nachfolge-GWL 1881-1997: 1.: West zyklonal WZ 21.5 % / 2.: Hoch Mitteleuropa HM 15.4 % / 3.: Hochdruckbrücke Mitteleuropa BM 9.0 %
häufigste Nachfolge-GWL 1971-2022: 1.: West zyklonal WZ 17.8 % / 2.: Hochdruckbrücke Mitteleuropa BM 11.0 % / 3.: West antizyklonal WA 10.3 %
seltenste Nachfolge-GWL 1881-1997: Tief Mitteleuropa TM, div. Nordlagen (NA/NZ/HB), Nordost zyklonal NEZ, Ostlagen (HNFA/HNFZ) je 0.0 %
folgt auf GWL 1971-2022: 1.: West zyklonal WZ 17.3 % / 2.: West antizyklonal WA 13.7 % / 3.: Hochdruckbrücke Mitteleuropa BM 13.0 %
Südwest antizyklonal ist mit Ausnahme von Februar und April im ganzen Jahr auf dem Vormarsch, am deutlichsten zugenommen hat sie vom Spätsommer bis in den Januar, aber auch im Juni. Sie gleicht somit zu einem grossen Teil die Verluste von Hoch Mitteleuropa aus, insbesondere was den Charaktertyp des spätsommerlichen und frühherbstlichen Hochdruckwetters (Altweibersommer) betrifft. Im südlichen Mitteleuropa sind die Unterschiede zwischen diesen beiden GWL kaum auszumachen, in Norddeutschland und Westeuropa hingegen ist SWA störungsanfälliger.
Bei der tagesgenauen Auflösung zeigt sich, dass sich die Zunahme im Januar zu einem wesentlichen Teil auf die Tage um den 11. Januar herum konzentriert und jetzt die Spitze im Jahresverlauf bildet. SWA trägt offenbar auch einen guten Teil dazu bei, dass der Juni zu einem vollwertigen Sommermonat geworden ist – speziell zur Zeit der früheren Schafskälte ist SWA jetzt stark vertreten. Im Herbst ist die Verteilung gleichmässiger geworden, auffällig ist aber eine Zunahme in der zweiten Novemberhälfte.
Der Höhenflug von Südwest antizyklonal hat so richtig in den 1980er Jahren begonnen, zuvor lag das durchschnittliche Vorkommen pro Jahr sehr lange zwischen 5 und 10 Tagen. Allerdings gibt es immer noch schwächere Phasen wie Anfang der 90er und Ende der 00er Jahre. Südwest antizyklonal verdrängt dabei am stärksten die früher zweithäufigste GWL Hoch Mitteleuropa, aber auch West antizyklonal. Der Grund ist im zunehmend stärker mäandrierenden Jetstream zu finden, wobei die Hauptursache dafür mutmasslich im abnehmenden Temperaturgradienten zwischen den gemässigten Breiten und der Arktis liegt.
Witterung
Meist sonnig und trocken, in den nordwestlichen Regionen Mitteleuropas mehr Wolken und gelegentlich Niederschläge.
Zu allen Jahreszeiten: wärmer als normal, Niederschlag unternormal.
Typische Beispiele
Winter (Klick ins Bild öffnet grössere Ansicht):
Der starke, über den Azoren relativ südlich positionierte Jetstream auf dem Nordatlantik biegt vor den Küsten Westeuropas nach Nordosten ab und zieht über die Nordsee nach Südskandinavien. Dabei wird Norddeutschland immer wieder von Fronten gestreift, weiter südöstlich bleibt es hingegen trocken. Durch die Druckdifferenz zwischen 950 hPa des Kerntiefs südöstlich von Island und 1030 hPa über den Alpen herrscht auch am Boden zügiger Südwestwind. Dank der Durchmischung der bodennahen Luftschichten haben es Inversionen schwer, bzw. lösen sich tagsüber recht gut auf, was diese Lage vom Hoch Mitteleuropa unterscheidet. Zusammen mit ordentlicher Besonnung ist SWA im Winter immer wieder mal für rekordwarme Phasen gut.
Sommer:
Der sommerlich schwach ausgeprägte Jetstream mäandert von Grönland nach Irland und biegt dort wieder nach Nordosten ab in Richtung Norwegen. Mitteleuropa steht unter dem Einfluss eines Bodenhochs mit Kerndruck von über 1020 hPa, das Kerntief über dem Nordmeer kommt nur knapp unter 1000 hPa. Diese geringen Druckunterschiede bescheren nur der Nordseeküste etwas Südwestwind, in den übrigen Gebieten Mitteleuropas ist es nahezu windstill bzw. herrschen orographische Lokalwinde vor. Über den Bergen bilden sich einzelne Hitzegewitter, unterstützt durch ein schwaches Höhentief über den Ostalpen.
Markante Wettererscheinungen, Unwetterpotenzial
Im Sommer können antizyklonale Südwestlagen für Hitzewellen verantwortlich sein, vor allem wenn sie länger als nur wenige Tage andauern. Eingelagerte Kurzwellentröge oder schwache Höhentiefs können dabei vor allem über dem Relief für lokale, daber durchaus heftige Gewitter sorgen. Meist ist die zugeführte Luftmasse aber zu trocken und die Labilität zu gering für verbreitete Gewitteraktivität. Im Winterhalbjahr ist SWA dank der Durchmischung der bodennahen Luftschichten für aussergewöhnlich hohe Temperaturen verantwortlich, was sich besonders durch milde Nächte trotz geringer Bewölkung manifestiert. So war SWA mit insgesamt 14 Tagen massgeblich am rekordwarmen Dezember 2015 beteiligt (+5.6 Grad zur Klimanorm 1961-90 im deutschen Gebietsmittel, lokal bis zu +7.2 Grad). Nullgradgrenzen von über 3000 m sind bei SWA auch im tiefsten Winter keine Seltenheit.
Auswirkungen auf den Vogelzug
Im Spätsommer, wenn vor allem die Langstreckenzieher unterwegs sind, wird SWA unterdurchschnittlich genutzt – wahrscheinlich wegen des Gegenwindes, aber vermutlich auch wegen mangelnder Motivation, einem Schlechtwettergebiet ausweichen zu müssen. Das ändert sich im Herbst: Kurzstreckenzieher nutzen diese Grosswetterlage überdurchschnittlich und ziehen eher bodennah, zwar bei etwas Gegenwind, aber bei häufig guter Sicht. Auffällig ist vor allem die starke Nutzung von SWA durch den Kernbeisser Mitte Oktober. Interessant ist auch der Umstand, dass der Rotmilan SWA beim Herbstzug überdurchschnittlich nutzt, während diese Lage von anderen Greifvögeln nur wenig genutzt wird – eine schlüssige Erklärung für dieses Phänomen fehlt noch. Wie die Statistiken über das erste gehäufte Auftreten von Zugvögeln im Frühjahr zeigen, ist eine (im Frühling leider seltene) SWA ein veritabler Türöffner für viele Arten, die im westlichen Afrika oder auf der Iberischen Halbinsel überwintern. SWA kann zudem mitten im Winter Kraniche von Frankreich zurück nach Norddeutschland bringen.
Grundlagen:
Katalog der Großwetterlagen Europas (1881-2009) nach Paul Hess und Helmut Brezowsky
Statistik der Grosswetterlagen aufgeschlüsselt nach Monat und Gesamtjahr im Zeitraum 2001-2020
Wulf Gatter: Vogelzug und Vogelbestände in Mitteleuropa, erschienen im Aula-Verlag, 2000
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