Unter den bisherigen “Exoten” gehört die Südostlage, in Mitteleuropa überwiegend zyklonal, zu den ganz grossen Gewinnern der letzten 20 Jahre. Kein Wunder, ist sie doch mit der ebenfalls in starkem Aufschwung begriffenen GWL Trog Westeuropa nahe verwandt. Einzig die Neigung der Trogachse unterscheidet die beiden Grosswetterlagen, wettermässig sind sie sich in Mitteleuropa und vor allem in der Schweiz ebenbürtig und somit für einiges Ungemach verantwortlich.
Beschreibung
Über Südrussland und der Ukraine liegt ein blockierendes Hoch, das sich mit einem Ausläufer bis zum Nordmeer erstreckt. An seiner Westflanke liegt ein ausgeprägter Tiefausläufer, der vom Ostatlantik südostwärts über Westeuropa hinweg bis zum westlichen Mittelmeer reicht, wo sich oft ein eigenes Höhentief befindet. Die atlantische Frontalzone ist vom mittleren Nordatlantik über Südwesteuropa zum Mittelmeer gerichtet. Von dort verläuft sie über Mitteleuropa hinweg zum Nordmeer.
Zuordnung
Grosswettertyp (GWT): Ost
Zirkulationsform (ZF): meridional
Klimaregime: Block
Verwandte GWL: in antizyklonaler Richtung Südost antizyklonal SEA; in zyklonaler Richtung Trog Westeuropa TRW, Süd zyklonal SZ
Statistik
häufigstes Auftreten im Zeitraum 2001-2023: Mai 3.37 %, Juni 3.19 %
häufigstes Auftreten im Zeitraum 1881-2008: Februar 3.29 %
seltenstes Auftreten im Zeitraum 2001-2023: Juli 0.00 %
seltenstes Auftreten im Zeitraum 1881-2008: Juli 0.00 %
Häufigkeit Gesamtjahr im Zeitraum 2001-2023: 1.87 %, Veränderung gegenüber 1881-2008: +0.41 Prozentpunkte
Rang Häufigkeit aller GWL: 1881-2008 Rang 24, 2001-2023 Rang 19 (Rangverschiebung: +5)
längste ununterbrochene GWL SEZ: 15 Tage vom 17. Februar bis 2. März 1972
häufigste Nachfolge-GWL 1881-1997: 1.: West zyklonal WZ 11.5 % / 2.: Hochdruckbrücke Mitteleuropa BM 10.7 % / 3.: Hoch Fennoskandien zyklonal HFZ 8.5 %
häufigste Nachfolge-GWL 1971-2022: 1.: West zyklonal WZ 12.3 % / 2.: Hochdruckbrücke Mitteleuropa BM und Hoch Nordmeer-Fennoskandien zyklonal HNFZ je 10.8 %
seltenste Nachfolge-GWL 1881-1997: 1.: Nordwest antizyklonal NWA, Nord antizyklonal NA und Nord zyklonal NZ je 0.0 %
folgt auf GWL 1971-2022: 1.: Süd antizyklonal SA 10.8 % / 2.: Trog Westeuropa TRW und Hochdruckbrücke Mitteleuropa BM je 9.2 %
War die zyklonale Südostlage in der Vergangenheit vor allem ein Phänomen des Winters und des Frühjahrs, ist sie inzwischen bis in den Frühsommer präsent und nimmt auch im Herbst etwas zu. Nach wie vor ausgespart wird der Hochsommer. Besonders auffällig ist die Zunahme von April bis Juni. Die Abnahme im Dezember und Februar fällt etwas aus dem Rahmen, allerdings ist bei Wetterlagen dieser geringen Häufigkeit in einem 23-jährigen Zeitraum auch etwas Zufall mit im Spiel.
Auch in der tagesgenauen Auflösung wird die Verschiebung vom Winter in den Frühling und in den Frühsommer augenfällig: Die neuen Peaks liegen um den 25. April und Ende Mai. Interessant ist auch die Neubesetzung im September, auch der bisherige Einzelfall im August ist mit 2015 neueren Datums.
Eine ähnlich hohe Häufigkeit wie in den letzten 20 Jahren hatte SEZ bereits in den 20er und 30er-Jahren des letzten Jahrhunderts, es gab aber auch immer wieder Phasen, wo diese Wetterlage so gut wie gar nicht vorkam, wie z.B. um 1990 herum. Es ist daher schwierig zu sagen, ob der neueste Höhenflug nachhaltig sein wird. Man kann es vermuten, weil er mit der Zunahme der nahe verwandten GWL Trog Westeuropa einhergeht und diese Häufung durchaus mit der häufigeren Mäandrierung des Jetstreams und als Folge davon häufigerer Austrogung erklärbar ist.
Witterung
Im südwestlichen Mitteleuropa meist nass mit Neigung zu lokalen Überflutungen, ebenso auf der Alpensüdseite (Staulage). Nach Osten und Norden hin trockener und meist warm ausser im Winterhalbjahr (Inversionslage), in den nördlichen Alpentälern föhnig.
Frühling: kälter als normal; Niederschlag im Westen übernormal, sonst Tendenz zu unternormal
Sommer: im Westen Tendenz zu kälter als normal, sonst wärmer als normal; Niederschlag räumlich nicht deutlich strukturiert, aber mit starken Gewittern im Westen
Herbst: kälter als normal mit Ausnahme der Föhngebiete nördlich der Alpen; Niederschlag ausser Westeuropa unternormal
Winter: ausser Westeuropa Tendenz zu kälter als normal; Niederschlag nördlich der Alpen räumlich nicht strukturiert, auf der Alpensüdseite übernormal
Typische Beispiele
Spätherbst (Klick ins Bild öffnet grössere Ansicht):
Ein kräftiges blockierendes Hoch über Nord- und Osteuropa zwingt den Jetstream zu einer scharfen Ausbuchtung nach Süden, wobei er über dem zentralen Mittelmeer wieder nach Nordwesten umbiegt und direkt über die Alpen zieht. Dabei führt nicht nur die Hebung der warm-feuchten Luftmassen an den Alpen, sondern auch die Divergenz der Luftströmung in der Höhe zu gewaltiger Kondensation. Auf der Alpensüdseite entleeren sich enorme Wassermassen, die Tessiner Seen verzeichnen Rekordstände. Auf der Alpennordseite hingegen kommt es immer wieder zu starkem Föhn.
Frühsommer:
Die Druckverteilung ist typisch für diese Jahreszeit flach, dennoch stellt sich zwischen einem Hoch über Nordosteuropa und dem kleinen Tief vor Galizien eine sehr warme und extrem feuchte Südostströmung ein. Dabei bildet sich auch nördlich der Alpen ein Hitzetief, das die konvektive Umlagerung zusätzlich unterstützt. Es kommt täglich zu kräftigen Gewittern mit aussergewöhnlicher Zugbahn aus den Voralpen und Mittelgebirgen hinaus in Gebiete, die sonst von Gewittern gerne ausgespart werden oder sie normalerweise fast nur aus südwestlicher Richtung erhalten (z.B. Berner Mittelland, Zürcher Unterland und Thurgau, Oberrheinische Tiefebene).
Markante Wettererscheinungen, Unwetterpotenzial
Vor allem im Herbst, wenn das Mittelmeer noch sehr warm ist und Höhenkaltluft darüber zieht, ist die zyklonale Südostlage für die Alpensüdseite ein Garant für lang anhaltende und intensive, gewittrige Regenfälle. Nicht selten schwappt dann der Starkregen auch über den Alpenhauptkamm ins Wallis und in die Gotthardregion über, im Winter ist bei solchen Lagen im Goms mit grösseren Neuschneemengen zu rechnen. Bläst der Föhn mit Sturmstärke durchs Walliser Rhonetal und weit auf den Genfersee hinaus, ist meist eine zyklonale Südostlage dafür verantwortlich.
Auswirkungen auf den Vogelzug
Die GWL SEZ wird am Herbstzug eher unterdurchschnittlich genutzt. Ausnahme sind Heidelerche und Misteldrossel, welche bei dieser Wetterlage überdurchschnittlich häufig am Zug beobachtet werden. Vor allem die Heidelerche ist ein ausgesprochener Schlechtwetterzieher mit Flughöhen meist unter 50 Meter über Boden und zieht ausschliesslich am Tag. Seitenwind und Niederschlag bzw. schlechte Sicht scheinen sie offenbar nicht gross zu stören.
Grundlagen:
Katalog der Großwetterlagen Europas (1881-2009) nach Paul Hess und Helmut Brezowsky
Statistik der Grosswetterlagen aufgeschlüsselt nach Monat und Gesamtjahr im Zeitraum 2001-2020
Wulf Gatter: Vogelzug und Vogelbestände in Mitteleuropa, erschienen im Aula-Verlag, 2000
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