Wenn die Polarfront und der Jetstream eine sehr südliche Position einnehmen, resultiert daraus eine südliche Westlage. Sie gilt als typische Winter-Wetterlage, und wenn wir von einem Märzwinter sprechen, ist nicht selten die südliche Westlage daran Schuld. Tritt sie ausnahmsweise im Sommerhalbjahr auf, dann ist in der nordhemisphärischen Zirkulation irgendwas schief gelaufen, und wir sprechen wie 2021 zu Recht von einem Gruselsommer.
Beschreibung
Randtiefs wandern in einer weit nach Süden verschobenen Frontalzone vom Seegebiet südwestlich Irlands über die Biskaya, Frankreich, mittleres Deutschland, teils südlich des 50. Breitengrades, nach Osteuropa und biegen dort nordwärts um. Der zyklonale Einfluss erstreckt sich dabei häufig bis zum nordwestlichen Teil des Mittelmeeres. Der Kern des zentralen Bodentiefs liegt meist südlich von 60° N, sodass der nördliche Nordatlantik und Teile des Nordmeeres vielfach unter dem Einfluss eines kalten Polarhochs mit östlicher Strömung stehen. Ein Ausläufer des südlich der Inselgruppe liegenden Azorenhochs reicht meist nur bis Nordwest- und Nordafrika, die Isobare 1015 hPa verläuft dabei südlich der Pyrenäen und des Ligurischen Meeres.
Zuordnung
Grosswettertyp (GWT): West
Zirkulationsform (ZF): zonal
Klimaregime: meist NAO- (negative nordatlantische Oszillation)
Verwandte GWL: in antizyklonaler Richtung West zyklonal WZ; in zyklonaler Richtung Hoch Nordmeer-Fennoskandien zyklonal HNFZ, Hoch Fennoskandien zyklonal HFZ
Statistik
häufigstes Auftreten im Zeitraum 2001-2023: März 6.17 %
häufigstes Auftreten im Zeitraum 1881-2008: Dezember 6.33 %
seltenstes Auftreten im Zeitraum 2001-2023: September 0.00 %
seltenstes Auftreten im Zeitraum 1881-2008: September 0.91 %
Häufigkeit Gesamtjahr im Zeitraum 2001-2023: 2.29 %, Veränderung gegenüber 1881-2008: -0.76 Prozentpunkte
Rang Häufigkeit aller GWL: 1881-2008 Rang 12, 2001-2023 Rang 15 (Rangverschiebung: -3)
längste ununterbrochene GWL WS: 21 Tage vom 15. Januar bis 4. Februar 1936
häufigste Nachfolge-GWL 1881-1997: 1.: West zyklonal WZ 20.7 % / 2.: Südwest zyklonal SWZ 7.8 % / 3.: Trog Westeuropa TRW 6.6 %
häufigste Nachfolge-GWL 1971-2022: 1.: West zyklonal WZ 13.3 % / 2.: Trog Westeuropa TRW 12.0 % / 3.: Südwest zyklonal SWZ 9.6 %
seltenste Nachfolge-GWL 1881-1997: 1.: Nordwest antizyklonal NWA 0.0 % / 2: Hoch Nordmeer-Fennoskandien antizykl. HNFA 0.4 % / 3.: Hoch Nordmeer zykl. HNZ 0.8 %
folgt auf GWL 1971-2022: 1.: West zyklonal 25.3 % / 2.: Trog Westeuropa TRW 9.6 % / Südwest zyklonal SWZ 7.2 %
Die Winter-GWL schlechthin verschiebt sich – ebenso wie West zyklonal – vom Spätherbst und frühen Winter zunehmend in die zweite Winterhälfte und in den März. Die seltenen Auftritte der südlichen Westlage im Sommerhalbjahr hinterlassen aber bleibende Eindrücke. Wer sich an einen echten Schmuddel-Sommer erinnert, findet im Archiv nicht selten genau diese Grosswetterlage.
Im Detail mit der tagesgenauen Auflösung zeigt sich, dass zwischen den Perioden 1961-90 und 1991-2020 eine Verschiebung von Mitte Februar zu Anfang März und innerhalb des Dezembers vom Anfang zum Ende des Monats stattgefunden hat. Ebenfalls noch auffällig ist die Verschiebung von Mitte Oktober zu Anfang November. Die Häufung Ende Dezember bewirkt, dass im Alpenraum (zusammen mit anderen feucht-milden Wetterlagen wie SWZ und WZ) ein Weihnachtstauwetter sehr wahrscheinlich ist, während im Norden Mitteleuropas zur selben Zeit nördlich der Luftmassengrenze weisse Weihnachten etwas zugenommen haben.
Vor ungefähr 100 Jahren traten südliche Westlagen noch an durchschnittlich 18 Tagen pro Jahr auf, danach sank deren Häufigkeit mit Ausnahme einer leichten Erholung zur Mitte des letzten Jahrhunderts stetig und bewegt sich seither relativ konstant deutlich unterhalb von zehn Tagen pro Jahr. Jahre mit 20 Tagen oder mehr WS sind äusserst selten geworden, das Rekordjahr 1982 mit 52 Tagen ist ein krasser Einzelfall.
Witterung
Generell trüb und nass mit Neigung zu hohen Niederschlagsmengen entlang der Luftmassengrenze, mit Ausnahme des Winters zu kühl für die Jahreszeit.
Frühling und Sommer: kälter als normal; Niederschlag übernormal
Herbst: Tageshöchsttemperatur tiefer als normal mit Ausnahme der alpennahen Stationen, Tiefsttemperatur höher als normal; Niederschlag übernormal
Winter: wärmer als normal mit Ausnahme des nördlichen Mitteleuropa; Niederschlag übernormal
Typische Beispiele
Winter (Klick ins Bild öffnet grössere Ansicht):
Der Polarfrontjet liegt über dem Atlantik sehr weit südlich und zieht über die Azoren hinweg auf die Iberische Halbinsel, ein Fragment hat sich über Osteuropa abgespaltet. Die Karten zeigen die Situation mit einem Zwischenhoch über dem nördlichen Mitteleuropa und einer scharfen Luftmassengrenze knapp südlich davon. In Ostdeutschland kommt es bei nächtlichem Aufklaren zu Tiefsttemperaturen von bis zu -19 °C. An den Tagen zuvor hat es an dieser Luftmassengrenze über der Mitte und dem Norden Deutschlands ergiebige Schneefälle gegeben, während in den Alpen Regen bis auf über 2000 m fiel. So nah können bei dieser Wetterlage Weisse Weihnachten und Weihnachtstauwetter beieinander liegen.
Sommer:
Auch hier schwenkt der Jetstream über dem Atlantik bis zu den Azoren runter, wobei es sich hier um eine Fusion von Polarfrontjet und Subtropenjet handelt: Die beiden sind vor der Ostküste Nordamerikas noch als zwei getrennte Jets erkennbar. Über Europa sehr weit südlicher Polarfrontjet und sehr weit nördlicher Subtropenjet vereint ergibt die äusserst seltene Situation, dass tropische und polare Luftmassen direkt aufeinandertreffen. Die Wetterscheide bilden die Gebirgszüge von Pyrenäen und Alpen mit nass-kaltem Dauerregen nördlich davon und heftigen Gewittern im Süden.
Markante Wettererscheinungen, Unwetterpotenzial
Als typische Winter-Wetterlage sorgt die südliche Westlage häufig für eine markante Luftmassengrenze irgendwo über Mitteleuropa, die sich mitunter über Tage hinweg mehr oder weniger stationär hält oder nur leicht nord-südlich pendelt. Somit können tagelange Regenfälle (südlich der Luftmassengrenze) für Hochwasser sorgen, vor allem dann wenn eine sehr hohe Schneefallgrenze noch zusätzliches Schmelzwasser mitbringt. Nördlich der Luftmassengrenze oder direkt darunter können Dauerschneefälle für Chaos sorgen. Manchmal steht eine scharfe Grenze zwischen Schneefall und Regen stundenlang über einer Region, was innerhalb von wenigen Kilometern zu einem völlig anderen Erscheinungsbild führt. In der südlich gelagerten Frontalzone unter dem Jetstream kann es bedingt durch die markanten Temperaturunterschiede auf engem Raum zu extrem raschen Randtiefbildungen kommen, sogenannten Schnellläufern. Das berühmteste Beispiel ist der Orkan Lothar am 26.12.1999. Im März leiten südliche Westlagen gerne eine längere spätwinterliche Phase ein (2013, 2018) mit teils ergiebigen Schneefällen bis in die Niederungen und nachfolgend strengem Frost, meist als Folge eines Übergangs in eine Ostlage. Die seltenen Fälle im Sommer versauen einem im besten Fall den Urlaub, im schlechteren Fall kommt es lokal bis regional zu Überflutungen und Hochwasser.
Auswirkungen auf den Vogelzug
Die GWL WS wird – vielleicht etwas überraschend – auf dem Herbstzug über ihr Angebot häufig genutzt, insbesondere von Drosseln und Finken, aber auch Saatkrähen. Da diese Arten eher spät im Herbst ziehen, nutzen sie wahrscheinlich einzelne niederschlagsfreie Tage innerhalb eines solchen GWL-Abschnitts, da diese Wetterlage kaum Nebelbildung zulässt und somit bessere Zugbedingungen herrschen als bei hochdruckbestimmtem Wetter. Auf dem Frühjahrszug herrschen hingegen bei WS derart garstige Bedingungen (tagelange Niederschläge, oft noch als Schnee bis in tiefe Lagen), dass hier der Vogelzug vermutlich mehr oder weniger ganz um Erliegen kommt.
Grundlagen:
Katalog der Großwetterlagen Europas (1881-2009) nach Paul Hess und Helmut Brezowsky
Statistik der Grosswetterlagen aufgeschlüsselt nach Monat und Gesamtjahr im Zeitraum 2001-2020
Wulf Gatter: Vogelzug und Vogelbestände in Mitteleuropa, erschienen im Aula-Verlag, 2000
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Bannmüller Michael am 23. September 2024 um 12:37 Uhr
Der Laie dankt sehr herzlich für die Synthese von Prognose und Auto-didaktischem Angebot zu individueller Weiterbildung; die Großwetterlagen-Porträts und der Wetterlagenkalender sind genial !
Liebe Grüße Bannmüller M.