Eine interessante langfristige Entwicklung hat die Grosswetterlage “Nordwest, in Mitteleuropa überwiegend antizyklonal” hinter sich. Nach einem markanten Schwächeanfall in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts ist sie nun wieder im Aufwind. Ein Porträt.
Beschreibung
Zwischen einem nach Nordosten verschobenen, aber nicht blockierenden Subtropenhoch mit Kern am Westrand Europas und tiefem Luftdruck über dem Nordmeer und Fennoskandien verläuft eine Frontalzone mit leicht antizyklonaler Krümmung vom nördlichen Nordatlantik nördlich der Britischen Inseln und der Nordsee in südöstlicher Richtung nach Westrussland. In ihr wandern Randtiefs vom Nordatlantik südlich Island vorbei, über Skandinavien hinweg in Richtung Ukraine und Schwarzes Meer. Ihre Fronten streifen nur zeitweilig das östliche Mitteleuropa.
Zuordnung
Grosswettertyp (GWT): Nordwest
Zirkulationsform (ZF): gemischt
Klimaregime: je nach Ausdehnung des Hochs ATR (atlantischer Rücken) oder NAO+ (positive nordatlantische Oszillation)
Verwandte GWL: in antizyklonaler Richtung Hoch Britische Inseln HB, in zyklonaler Richtung Nordwest zyklonal NWZ
Statistik
häufigstes Auftreten im Zeitraum 2001-2023: Juli 5.89 %, April 5.80 %
häufigstes Auftreten im Zeitraum 1881-2008: Juli 7.33 %
seltenstes Auftreten im Zeitraum 2001-2023: Februar 2.00 %
seltenstes Auftreten im Zeitraum 1881-2008: Oktober 1.99 %
Häufigkeit Gesamtjahr im Zeitraum 2001-2023: 4.12 %, Veränderung gegenüber 1881-2008: +0.38 Prozentpunkte
Rang Häufigkeit aller GWL: 1881-2008 Rang 7, 2001-2023 Rang 10 (Rangverschiebung: -3)
längste ununterbrochene GWL NWA: 18 Tage vom 29. Juli bis 15. August 1919
häufigste Nachfolge-GWL 1881-1997: 1.: West zyklonal WZ 14.5 % / 2.: Hoch Mitteleuropa HM 13.1 % / 3.: Nordwest zyklonal NWZ 10.1 %
häufigste Nachfolge-GWL 1971-2022: 1.: Nordwest zyklonal NWZ 12.4 % / 2.: West antizyklonal WA und Trog Westeuropa TRW je 9.9 %
seltenste Nachfolge-GWL 1881-1997: Südost zyklonal SEZ und Süd zyklonal SZ je 0.0 %
folgt auf GWL 1971-2022: 1.: Hochdruckbrücke Mitteleuropa BM 17.4 % / 2.: West zyklonal WZ 10.7 % / 3.: Nordwest zyklonal NWZ und West antizyklonal WA je 9.9 %
Die neueste Entwicklung von Nordwest antizyklonal verläuft jahreszeitlich indifferent. Zugenommen hat die Lage im September, Dezember und Januar, sowie im April (hier besonders stark mit mehr als einer Verdoppelung) und Mai. Im Februar und im Sommer ist der Trend hingegen sinkend. Hatte NWA früher im gesamten Sommer den Höhepunkt im Jahresverlauf, ist er da jetzt nur noch auf den Juli beschränkt, zusammen mit April und September.
Nur im Herbst verteilt sich die Zunahme relativ homogen, im Frühling hingegen ist die Zunahme geballt auf zwei Zeiträume konzentriert: Erste Aprilhälfte und vom 19. bis 27. Mai. Interessant ist auch, dass NWA neuerdings zum Altweibersommer Ende September beiträgt: Nicht selten handelt es sich hierbei um Saharaluft, die um das Hoch über Westeuropa herumgeführt wurde.
Die starke Zunahme von Nordwest antizyklonal ist vor allem ein Phänomen des letzten Jahrzehnts, ausser 2015 gab es kein schwaches Jahr mehr und 2017 sogar einen neuen Rekord innerhalb der letzten 50 Jahre. Betrachtet man nur diesen Zeitraum, ist der Anstieg extrem. Man muss aber wissen, dass es vor über 100 Jahren bereits einmal eine Phase gab, wo NWA im Schnitt über 20 Tage pro Jahr auftrat, danach folgte die lange Schwächephase bis zur Jahrtausendwende. Deutlich wird dies in der Grafik von Kollege Christoph Geißler, die das gleitende 30-jährige Mittel seit 1881 zeigt. Der Tiefpunkt wurde demzufolge in den 1970er-Jahren erreicht, also da, wo unsere Statistik beginnt. Interessant wird zu verfolgen sein, ob der aktuelle Anstieg nur ein kurzes Aufflackern oder doch einen nachhaltigeren Trend darstellt.
Witterung
Meist sonnig und trocken, in den nordöstlichen Regionen Mitteleuropas mehr Wolken und gelegentlich Niederschläge.
Frühling, Sommer und Herbst: meist kälter als normal (insbesondere die Tagesminima), Niederschlag unternormal.
Winter: wärmer als normal, Niederschlag vor allem im Westen unternormal
Typische Beispiele
Frühling (Klick ins Bild öffnet grössere Ansicht):
Das nach Westeuropa verschobene Azorenhoch mit Kern über Irland zeigt die nahe Verwandtschaft zur GWL Hoch Britische Inseln HB, das Hoch ist allerdings unrund, sodass an dessen Ostflanke eine stramme Nordwestströmung über das östliche Mitteleuropa zieht. An der Ostseeküste und am Alpenostrand erreicht der Wind in Böen Sturmstärke, zudem fällt in Ostdeutschland unter der Warmfront leichter Regen. Der Temperaturgradient ist von Südwest nach Nordost beträchtlich: An den Folgetagen werden mit der GWL NWA am Oberrhein die ersten Sommertage registriert, während an der Ostsee nicht mal 15 Grad erreicht werden. Diese Erwärmung direkt unter dem Hoch ist typisch und wird durch die Divergenz der Strömung in den unteren Luftschichten auf der Alpennordseite noch verstärkt, so kommen lokal Tagesamplituden von teils über 20 Grad zwischen Tiefst- und Höchstwerten zustande.
Herbst:
Anders als im Frühling sorgt dank weniger kalter Höhenluft dieselbe Wetterlage für deutlich stabilere Verhältnisse und somit weitgehend wolkenlosen Himmel (mal abgesehen vom typischen Nordsee-Stratus bzw. Stratocumuli in Norddeutschland), was einigen Muldenlagen die erste Frostnacht der Saison beschert. Auch der Temperaturgradient ist deutlich geringer: Die Tageshöchstwerte liegen zwischen 13 Grad an der Ostsee und 18 Grad am Oberrhein. Vom starken Wind in der Höhe (der Jetstream verläuft genau über Deutschland und Österreich) merkt man dank des sich nach Osten ausweitenden Bodenhochs schon bald nichts mehr.
Markante Wettererscheinungen, Unwetterpotenzial
Im Winterhalbjahr sorgt der starke Druckunterschied zwischen Alpennord- und -südseite bisweilen für stürmischen Nordföhn, insbesondere wenn der Luftdruck in Frankreich auf etwa 1040 hPa steigt. Dabei können lokal rekordverdächtig hohe Temperaturen erreicht werden. Auch am Alpenostrand kommen durch Kanalisierungeffekte mitunter stürmische Winde zustande, an der Ostseeküste in der Nähe des Tiefs sowieso. Im Herbst kann NWA aufgrund der klaren und windschwachen Nächte den ersten Frost der Saison bringen, auch im Frühling besteht bis Anfang Mai die Gefahr von schädlichen Frösten.
Auswirkungen auf den Vogelzug
Die antizyklonale Nordwestlage ist im westlichen Mitteleuropa bezüglich Vogelzug unauffällig, d.h. sie wird eher unterdurchschnittlich benutzt. Einzig ein paar spät ziehende Drosseln nutzen diese Lage überproportional am Herbstzug, vermutlich weil die Kombination aus relativ schwachem Seitenwind bei gleichzeitig geringer Nebelneigung einen annehmbaren Kompromiss darstellt. Man darf davon ausgehen, dass NWA am Alpenostrand im Herbst besser genutzt, im Frühling hingegen eher gemieden wird.
Grundlagen:
Katalog der Großwetterlagen Europas (1881-2009) nach Paul Hess und Helmut Brezowsky
Statistik der Grosswetterlagen aufgeschlüsselt nach Monat und Gesamtjahr im Zeitraum 2001-2020
Wulf Gatter: Vogelzug und Vogelbestände in Mitteleuropa, erschienen im Aula-Verlag, 2000
Das Projekt “Grosswetterlagen” wurde ermöglicht durch grosszügige Spenden von Privatpersonen während der Einnahmen-Ausfälle durch das übliche Wetterberatungs-Geschäft für kulturelle und sportliche Anlässe als Folge der Corona-Pandemie. Diese Zuwendungen ermöglichten die zeitaufwändige Datenerfassung und das Verfassen der Grafiken und Texte – eine sinnvolle Beschäftigung während der unfreiwillig zur Verfügung stehenden Freizeit. Falls auch Sie dieses Projekt unterstützen möchten, können Sie dies mit einem frei wählbaren Betrag durch die unten stehenden Möglichkeiten tun. Vielen Dank!
Falls Sie kein PayPal-Konto besitzen, können Sie direkt auf eines der angegebenen Konten unter den Kontaktdaten einzahlen.