Schon fast ausgestorben geglaubt, feiert die „Nordostlage, in Mitteleuropa überwiegend zyklonal“ in den letzten Jahren ein fulminantes Comeback. Seit 2008 vergeht kaum ein Jahr, in dem sie nicht irgendwann ihr Unwesen treibt. Tritt sie zur richtigen Zeit auf, kommen zumindest Winterfans auf ihre Kosten, was allerdings selten der Fall ist. Ansonsten wird sie eher als lästig bis unnötig empfunden.

Im Sommer 2021 gaben sich sämtliche Grusel-Wetterlagen die Klinke in die Hand, da wollte auch NEZ nicht aussen vor bleiben (Orientierungshilfe: roter Punkt = Basel)
Beschreibung
Ein Hochdrucksystem erstreckt sich von den Azoren nach Skandinavien. Über Mitteleuropa lässt eine zyklonale Einbuchtung das Vorhandensein von Kaltluft in der Höhe (Kaltlufttropfen oder Trog mit Achsenrichtung Nordost-Südwest) erkennen. Dabei gleitet häufig Warmluft von Russland her westwärts auf die mitteleuropäische Kaltluft. Auch der mittlere und der östliche Teil des Mittelmeeres stehen unter zyklonalem Einfluss.
Zuordnung
Grosswettertyp (GWT): Ost
Zirkulationsform (ZF): meridional
Klimaregime: meist Block, bei etwas westlicherer Lage des Hochs auch ATR (atlantischer Rücken)
Verwandte GWL: in antizyklonaler Richtung Nordost antizyklonal NEA; in zyklonaler Richtung Tief Mitteleuropa TM
Statistik
häufigstes Auftreten im Zeitraum 2001-2024 (nach FM): September 2.64 %, Mai 2.55 %, April 2.50 %
häufigstes Auftreten im Zeitraum 1881-2008 (nach DWD): April 3.23 %, Mai 3.12 %
seltenstes Auftreten im Zeitraum 2001-2024 (nach FM): Januar und Juli 0.40 %, Februar 0.44 %
seltenstes Auftreten im Zeitraum 1881-2008 (nach DWD): November 0.70 %
Häufigkeit Gesamtjahr im Zeitraum 2001-2024: 1.35 %, Veränderung gegenüber 1881-2008: -0.56 Prozentpunkte
Rang Häufigkeit aller GWL: 1881-2008 Rang 21, 2001-2024 Rang 24 (Rangverschiebung: 0)
längste ununterbrochene GWL NEZ: nach DWD 10 Tage vom 1. bis 10. September 1938 und vom 7. bis 16. April 1891; nach FM 10 Tage vom 8. bis 17. Mai 1996 und vom 16. bis 25. September 2008
häufigste Nachfolge-GWL 1881-1997 (nach DWD): 1.: Hochdruckbr. Mitteleuropa BM 10.5 % / 2.: Hoch Fennoskandien antizykl. HFA 10.0 % / 3.: Hoch Mitteleuropa 8.4 %
seltenste Nachfolge-GWL 1881-1997 (nach DWD): 1.: Nord antizyklonal NA und Hoch Nordmeer-Island zyklonal HNZ je 0.0 %
Die zyklonale Nordostlage war seit jeher ein typisches Phänomen des Sommerhalbjahres, insbesondere des Frühlings. In den letzten 24 Jahren hat sie in allen Monaten abgenommen mit Ausnahme von September und Oktober, wo sie leicht zunehmend ist. Von November bis Februar und ebenfalls im Juli ist sie eine echte Rarität. Die Wunschwetterlage von Fans maximal spannenden Winter-Hudelwetters tritt also genau dann extrem selten auf. Sie kann aber auch im Frühjahr brutal zuschlagen, wie Mitte März 2013.
Die langfristige Entwicklung von NEZ ist interessant: Zum Ende des 19. Jahrhunderts lag das durchschnittliche Auftreten bei zehn Tagen pro Jahr und pendelte sich dann lange bei sieben Tagen pro Jahr ein. Der Absturz in die Bedeutungslosigkeit erfolge in den 1980er-Jahren. Nach einem kurzen Aufbäumen Mitte der 90er mit anschliessender langer Abstinenz ist sie seit 2008 wieder klar zunehmend. Sie profitiert wie kaum eine andere Wetterlage extrem von Phasen mit negativer nordatlantischer Oszillation.
Witterung
Generell regional komplexes Witterungsbild ähnlich zu Tief Mitteleuropa, abhängig von Grösse und Lage des Tiefs. Schwierig zu prognositizieren.
Frühling: kälter als normal ausser Tagesminimum der Lufttemperatur; Niederschlag von West nach Ost Tendenz von unternormal zu übernormal
Sommer: kälter als normal; Niederschlag ausser Westeuropa übernormal
Herbst: im östlichen Mitteleuropa Tendenz zu wärmer als normal; Niederschlag von West nach Ost Tendenz von unternormal zu übernormal
Winter: kälter als normal ausser Tagesminimum; Niederschlag mit Tendenz zu unternormal bis auf das südöstliche Mitteleuropa
Typische Beispiele
Frühling (Klick ins Bild öffnet grössere Ansicht):
Die sich von Südwest nach Nordost erstreckende Hochdruckbrücke mit einem Kerndruck von über 1030 hPa bei Schottland blockiert die atlantische Westdrift wie schon im gesamten Frühling 2018 nachhaltig. Dadurch kann sich der Kontinent unter der starken Maisonne ungestört erhitzen, während von Norden her abgetropfte Höhentiefs die Atmosphäre labilisieren. Die Druckverteilung am Boden ist eher flach, das Frontensystem chaotisch und die Tiefs eiern führungslos umher. Die Folge ist ausgeprägtes Tagesgangwetter mit Schauern und Gewittern vornehmlich über den Reliefs, oft täglich an derselben Stelle mit grossen Niederschlagsmengen, während viele flache Gebiete unter Trockenheit leiden.
Herbst:
Diese Konstellation zeigt die nahe Verwandschaft zu Tief Mitteleuropa, das Tief wird allerdings durch das starke Südwest-Nordost ausgerichtete Hoch etwas nach Osten abgedrängt. Die feuchte Nordostströmung staut sich an der Nordseite der Ostalpen und sorgt dort für kräftigen Dauerregen bzw. in höheren Lagen für frühen Dauerschneefall, ebenso an den Mittelgebirgen Ost-Mitteleuropas (Oktober-Niederschlag um 300 % z.B. am Harz und 345 % in St. Pölten). Die nordatlantische Westzirkulation ist massiv gestört und wird es noch den ganzen Herbst über bleiben.
Markante Wettererscheinungen, Unwetterpotenzial
Aufgrund der unterschiedlichen Ausprägung und Lage des Tiefs können verschiedene Regionen Mitteleuropas von Unwettern betroffen sein. Besonders die Nordseiten der Gebirge sind anfällig für gewittrig durchsetzten Dauerregen und Überflutungen vom Frühsommer bis in den Herbst. Bei feucht-warmen Nordostlagen im Sommer nehmen die über den Gebirgen entstandenen Gewitter aussergewöhnliche Zugbahnen, z.B. vom Schwarzwald in den Oberrheingraben. In den Voralpen entstehende Gewitter bleiben am Gebirge gefangen bzw. verstärken sich im Stau zusätzlich, was zu lokalen Überflutungen führt. Ein typisches Beispiel für lokale Unwetter bei Nordostlagen ist Thun, wo die Winde aus dem Aaretal und vom See her konvergieren und eng begrenzt Stadtteile durch stationäre Gewitter unter Wasser gesetzt werden. Zu den sehr seltenen, aber eindrucksvollen Ereignissen gehören Blizzard-artige Kaltlufteinbrüche im Winter, zum Beispiel am 13. Dezember 2001 (für die Suche nach anderen Stationen rechts oben Ortsname eintippen).
Auswirkungen auf den Vogelzug
Die zyklonale Nordostlage wird am Herbstzug generell schlecht genutzt. Ausnahme sind typische nordische Winterflüchtlinge, die durch Nordostlagen im Spätherbst herangespült werden können: So etwa Bergfink, Gimpel, Rot- und Misteldrossel sowie Mäusebussard. Im Frühling ist diese Wetterlage ein typischer Auslöser für Zugstau, bzw. eine tödliche Falle (z.B. Mitte März 2013, als nach einer sehr warmen Phase in der Woche zuvor zahlreiche zurückgekehrte Kurzstreckenzieher durch den heftigen Wintereinbruch überrascht wurden).
Grundlagen:
Katalog der Großwetterlagen Europas (1881-2009) nach Paul Hess und Helmut Brezowsky
Statistik der Grosswetterlagen aufgeschlüsselt nach Monat und Gesamtjahr im Zeitraum 2001-2024
Wulf Gatter: Vogelzug und Vogelbestände in Mitteleuropa, erschienen im Aula-Verlag, 2000
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