Seit über hundert Jahren klebt sie auf dem 28. Rang von 30 fest, die “Nordlage, in Mitteleuropa überwiegend antizyklonal”. Der durchschnittliche Anteil von weniger als 1 % entspricht knapp einer GWL von drei Tagen Dauer jährlich. Typische antizyklonale Nordlagen zu finden ist schwierig, viel zu oft ähneln sie der viel häufigeren GWL Hoch Britische Inseln, die Abgrenzung der beiden Grosswetterlagen ist schwierig. Ein Porträt.
Beschreibung
Am Boden liegt in Nord-Süd-Erstreckung ein oft abgeschlossenes Hoch über den Britischen Inseln, der Nordsee und dem Nordmeer, in manchen Fällen auch eine meridional verlaufende Brücke zwischen einem Hoch westlich der Iberischen Halbinsel und einem Polarhoch. Ein umfangreiches Tiefdrucksystem (auch Trog) schliesst sich über dem östlichen Europa an. In der Höhe befindet sich ein ausgeprägter Hochkeil über den Britischen Inseln. Teiltiefs wandern an der Ostflanke des Hochs süd- bis südostwärts und streifen das östliche Mitteleuropa, während der westliche Teil Europas unter Hochdruckeinfluss steht.
Zuordnung
Grosswettertyp (GWT): Nord
Zirkulationsform (ZF): meridional
Klimaregime: ATR (atlantischer Rücken)
Verwandte GWL: in antizyklonaler Richtung Hoch Britische Inseln HB und Nordwest antizyklonal NWA; in zyklonaler Richtung Nord zyklonal NZ und Trog Mitteleuropa TRM
Statistik
häufigstes Auftreten im Zeitraum 2001-2023: Dezember 1.68 %
häufigstes Auftreten im Zeitraum 1881-2008: Juni 2.16 %, Mai 2.14 %
seltenstes Auftreten im Zeitraum 2001-2023: Mai, Oktober und November je 0.00 %
seltenstes Auftreten im Zeitraum 1881-2008: Oktober 0.08 %
Häufigkeit Gesamtjahr im Zeitraum 2001-2023: 0.71 %, Veränderung gegenüber 1881-2008: -0.21 Prozentpunkte
Rang Häufigkeit aller GWL: 1881-2008 Rang 28, 2001-2023 Rang 28 (Rangverschiebung: 0)
längste ununterbrochene GWL NA: 12 Tage vom 16. bis 27. Juni 1949
häufigste Nachfolge-GWL 1881-1997: 1.: West zyklonal WZ und Hoch Mitteleuropa HM je 12.5 %, 3. West antizyklonal WA 10.3 %
häufigste Nachfolge-GWL 1971-2022: 1.: Nordwest zyklonal NWZ und Unbestimmt U/Ü je 11.8 % / 3.: West antizyklonal WA und Hoch Mitteleuropa HM je 8.8 %
seltenste Nachfolge-GWL 1881-1997: Südost antizyklonal SEA, Süd antizyklonal SA, Süd zyklonal SZ und Hoch Nordmeer zyklonal HNZ je 0.0 %
folgt auf GLW 1971-2022: 1.: Nordwest zyklonal NWZ und Hochdruckbrücke Mitteleuropa BM je 11.8 % / 3.: diverse (WA, WZ, WS, TRW) je 8.8 %
Im Gesamtzeitraum ist Nord antizyklonal hauptsächlich eine Erscheinung des Frühlings und Sommers, fast inexistent ist sie im Spätherbst. Die Zufälligkeit der Verteilung bei sehr seltenen Wetterlagen wird deutlich durch das völlige Fehlen in den letzten 23 Jahren im bisher starken Mai. Eine Trendaussage zu allfälligen Verschiebungen zwischen den Jahreszeiten bzw. Monaten in neuester Zeit ist nicht möglich. Einzig ob die Häufung im Dezember und Januar sich fortsetzt, ist in den nächsten Jahren einer genaueren Beobachtung wert.
Die tagesgenaue Statistik einer extrem seltenen Wetterlage ist etwa so prickelnd wie ein leeres Glas Mineralwasser. Der Vollständigkeit halber sei sie hier trotzdem gezeigt.
Die antizyklonale Nordlage ist seit über hundert Jahren auf sehr tiefem Niveau langfristig stabil mit einem mittleren Auftreten von etwa drei Tagen pro Jahr. Die grösste Baisse hatte sie in den 1980ern und den frühen 1990er-Jahren, seither hat sie sich wieder auf das übliche Niveau erholt. Etwas stärker vertreten war sie zum Ende des 19. Jahrhunderts mit etwa fünf Tagen pro Jahr. Generell verdeutlicht sich hier die Schwäche des Klassifizierungssystems: Die Nordlagen sind viel zu stark aufgegliedert, die Unterschiede zu Hoch Britische Inseln HB sind marginal, zumindest was die Auswirkungen auf die Witterung in Mitteleuropa betrifft.
Witterung
Generell kühl bis kalt und vor allem im Westen trocken, nach Osten hin gelegentliche Niederschläge. Oft starkes Gefälle der Temperatur von West nach Ost.
Frühling: kälter als Normal, Niederschlag normal mit Tendenz zu unternormal im Westen
Sommer, Herbst und Winter: kälter als normal; Niederschlag unternormal
Typische Beispiele
Winter (Klick ins Bild öffnet grössere Ansicht):
Hier wird verdeutlicht, weshalb antizyklonale Nordlagen so selten sind: Berücksichtigt man einzig das Bodendruckfeld mit dem fetten Hoch mit einem Kerndruck von über 1040 hPa über Deutschland, müsste man Hochdruckbrücke Mitteleuropa BM klassifizieren. Dagegen spricht der extrem starke Höhenwind und der von Nord nach Süd gerichtete Jetstream direkt über Deutschland und die Alpen hinweg. Entsprechend untypisch für eine Hochdrucklage war denn auch der Sturm in den Alpen. Berücksichtigt man einzig die Höhenkarten, müsste man also Nord zyklonal NZ klassifizieren. NA ist somit ein Kompromiss und entspricht nicht dem Lehrbuch, wonach das Hoch etwas weiter westlich liegen müsste. In einem solchen Fall käme aber höchstwahrscheinlich Trog Mitteleuropa TRM zum Handkuss. Diese Wetterlage war der Türöffner für den regional kältesten Wintermonat des letzten Jahrzehnts, die eingeflossene Kaltluft liess sich erst zum Monatsende wieder vertreiben.
Sommer:
Auch hier sitzt das Bodenhoch eigentlich zu weit östlich, rein nach dem Bodendruckfeld müsste man eine Ostlage klassifizieren. Erst der Blick auf die Höhenkarten deckt die Nordlage auf. Das Höhenwindfeld ist über Mitteleuropa zyklonal gekrümmt, da braucht es wiederum das Bodenhoch für die Einordnung in eine antizyklonale Lage. Man darf auch hier konstatieren: Ohne solche Kompromisse wäre die antizyklonale Nordlage noch seltener als ohnehin schon. Hier wird schön das für diese Wetterlage typische West-Ost-Gefälle bei der Temperatur sichtbar: Das (nord-)östliche Mitteleuropa erlebt klare Nächte mit Bodenfrost in Muldenlagen, mancherorts werden am 2. Tiefstrekorde für den Monat Juli erreicht. Selbentags klettern die Temperaturen im Südwesten Deutschlands und in der Nordwestschweiz über die Hitzemarke von 30 Grad.
Markante Wettererscheinungen, Unwetterpotenzial
Zu allen Jahreszeiten ist die antizyklonale Nordlage vor allem im östlichen Mitteleuropa für rekordverdächtig tiefe Temperaturen gut, im Sommer beschränkt sich dies aber vor allem auf die Tagesminima. Gefürchtet ist diese Wetterlage wegen schädlichen Spätfrösten im Frühling. Wie das obige Beispiel von Anfang Januar 2017 zeigt, kann eine spezielle Konstellation mit extremem Druckgradienten (in diesem Fall auf der Rückseite eines nach Südosteuropa abziehenden Sturmtiefs) im Alpenraum eine Nordsturmlage verursachen. Manchmal greift in der Folge auch stürmischer Nordföhn in die südlichen Alpentäler durch. Trotz der oft scharfen Luftmassengrenze ist eine solche wegen des hohen Bodendrucks selten wetteraktiv, nennenswerte Niederschläge fallen meist nur im Nordstau der Ostalpen und der östlichen Mittelgebirge.
Auswirkungen auf den Vogelzug
Die antizyklonale Nordlage ist während des Herbstzugs derart selten, dass keine seriösen Auswertungen dazu möglich sind. Der Frühjahrszug ist statistisch nicht untersucht. Die allgemein guten Wetterbedingungen lassen aber vermuten, dass diese Lage von Südwestziehern im westlichen Mitteleuropa gut genutzt werden kann, allenfalls unter Berücksichtigung einer schwachwindigeren Höhenlage je nach Konstellation. Am Alpenostrand ist der Gegenwind stärker, für Südostzieher ist diese Lage auf dem Heimzug im Frühling also eher ungünstig.
Grundlagen:
Katalog der Großwetterlagen Europas (1881-2009) nach Paul Hess und Helmut Brezowsky
Statistik der Grosswetterlagen aufgeschlüsselt nach Monat und Gesamtjahr im Zeitraum 2001-2020
Wulf Gatter: Vogelzug und Vogelbestände in Mitteleuropa, erschienen im Aula-Verlag, 2000
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