Die Häufigkeit von Grosswetterlagen hat sich in den letzten 20 Jahren teils stark verändert. Die grösste Gewinnerin ist die Hochdruckbrücke Mitteleuropa: Vor hundert Jahren führte sie noch fast ein Nischendasein, inzwischen ist sie die zweithäufigste Wetterlage. Ein Porträt.
Beschreibung
Zwischen einem nördlich bis nordöstlich der Azoren liegenden Subtropenhoch und einem osteuropäischen Hoch besteht über Mitteleuropa hinweg eine brückenförmige Verbindung. In manchen Fällen erstreckt sich eine lange West-Ost ausgerichtete Hochdruckzone im selben Raum. Nördlich der Hochdruckbrücke verläuft eine von West nach Ost gerichtete Frontalzone, in der Tiefdruckgebiete ostwärts wandern und mit ihren Kaltfronten zeitweise die Brücke durchbrechen. Über dem Mittelmeer herrscht vom Boden bis in die Höhe tiefer Luftdruck, meist als Folge abgetropfter Tiefs vorangegangener Troglagen. Bisweilen liegt die Achse der Brücke nördlich von 50° N, sodass über ganz Mitteleuropa eine nordöstliche bis östliche Strömung zu beobachten ist.
Zuordnung
Grosswettertyp (GWT): Hoch (Mitteleuropa)
Zirkulationsform (ZF): gemischt
Klimaregime: NAO+ (positive nordatlantische Oszillation) bei südlicher, Block bei nördlicher Position der Brücke. Manchmal zu Beginn einer BM-Lage ATR (atlantischer Rücken), wenn Vorgänger-GWL Trog Mitteleuropa war
Verwandte GWL: in zyklonaler Richtung West antizyklonal WA, in antizyklonaler Richtung Hoch Mitteleuropa HM
Statistik
häufigstes Auftreten im Zeitraum 2001-2023: März 14.73 %, September 14.35 %
häufigstes Auftreten im Zeitraum 1881-2008: November und September 9.67 %, August 9.63 %, Dezember 9.38 %
seltenstes Auftreten im Zeitraum 2001-2023: Dezember 6.17 %
seltenstes Auftreten im Zeitraum 1881-2008: Mai 5.49 %, März 5.90 %
Häufigkeit Gesamtjahr im Zeitraum 2001-2023: 11.77 %, Veränderung gegenüber 1881-2008: +3.05 Prozentpunkte
Rang Häufigkeit aller GWL: 1881-2008 Rang 3, 2001-2020 Rang 2 (Rangverschiebung: +1)
längste ununterbrochene GWL BM: 17 Tage vom 14. bis 30. Oktober 1978
häufigste Nachfolge-GWL 1881-1997: 1.: West zyklonal WZ 20.7 % / 2.: Hoch Mitteleuropa HM 9.4 % / 3.: Nordwest antizyklonal NWA 8.7 %
häufigste Nachfolge-GWL 1971-2022: 1.: West zyklonal WZ 15.7 % / 2.: Nordwest zyklonal NWZ 9.8 % / 3.: Trog Westeuropa TRW 7.8 %
seltenste Nachfolge-GWL im Zeitraum 1881-1997: Nord antizyklonal NA, Hoch Nordmeer-Island zyklonal HNZ (GWT Nord), HNFZ (GWT Ost), Süd zyklonal SZ je 0.3 %
folgt auf GWL 1971-2022: 1.: West zyklonal WZ 14.2 % / 2.: Trog Westeuropa TRW 11.6 % / 3.: Trog Mitteleuropa TRM 9.1 %
Die Hochdruckbrücke Mitteleuropa hat ihr statistisch häufigstes Auftreten im Frühling und Herbst. Das war aber nicht immer so: Im Herbst war sie schon immer häufig, hingegen hat sie im Frühling erst in den letzten 20 Jahren stark zugenommen. Einziger Monat mit einer Abnahme ist der Dezember, wo BM heute am seltensten im Jahresverlauf erscheint, im vergangenen Jahrhundert lag der Dezember noch auf Rang 3. Genau andersrum verhält es sich im März: Im letzten Jahrhundert noch an vorletzter Stelle, nimmt er nun den Spitzenrang unter den Monaten ein. Da es sich um eine recht häufige Wetterlage handelt, sind solche Verschiebungen anders als bei selten auftretenden GWL nicht zufällig, allerdings auch recht komplex zu entschlüsseln. Mitunter lässt sich die Zunahme von BM mit der gleichzeitig starken Zunahme von Trog Westeuropa TRW und starken Abnahme von West zyklonal WZ erklären, was in besonderem Mass auf den Juli zutrifft. Zogen früher die Tiefdruckgebiete im Hochsommer meist glatt von West nach Ost, trogen sie heute über Westeuropa aus und tropfen in der Folge ins Mittelmeer ab, dahinter bildet sich dann eine meist fragile Brücke zwischen dem Azorenhoch und dem blockierenden Osteuropahoch: Dies oft in einer Dauerschleife, wie wir in den vergangenen Sommern häufig erleben durften.
Stellt man die Verteilung tagesgenau dar, so fällt auf, dass diese Wetterlage innerhalb der starken Monate nicht homogen verteilt ist, sondern sich häufig Spitzen bilden. Besonders ausgeprägt sind diese um den Monatswechsel August/September sowie Mitte November, wo einzelne Kalendertage in der neuen Klimaperiode in fast jedem dritten Jahr eine BM aufweisen. Die in der Monatsstatistik bereits erwähnte Zunahme im Frühling fällt auch hier ins Auge, hier wurde insbesondere die zuvor vorhandene Lücke zwischen Anfang März und Anfang April geschlossen. Offenbar hat BM auch einen wesentlichen Beitrag zum “End-April-Warming” (EAW) beigetragen, eine Singularität, die seit dem Milleniumswechsel aufgetreten ist.
Die Schwankungen im Auftreten von Hochdruckbrücke Mitteleuropa sind extrem, die Werte liegen zwischen 6 Tagen im Jahr 1972 und 100 Tagen im Jahr 1991. Interessant ist der Umstand, dass die Schwankungen ungefähr in einem 20-jährigen Zyklus auftreten, mit je einem Jahrzehnt dauernden Wellenberg und Wellental. Der Trend zu leichter Abnahme im abgebildeten Zeitraum ist nur darin begründet, dass die GWL von 1986 bis 1991 extrem häufig war. Um die Zunahme gegenüber dem Zeitraum 1881-2008 zu erklären, muss man dessen gesamten Verlauf darstellen, was der Kollege Christoph Geißler dankenswerterweise getan hat. Seine Grafik zeigt allerdings das 30-jährige gleitende Mittel, richtig interpretiert muss der starke Anstieg also tatsächlich erst in den 1980er-Jahren stattgefunden haben (der Datenpunkt 1962 zeigt das Mittel der Jahre 1962-1991). Zuvor dümpelte die GLW BM lange um einen Schnitt von 25 Tagen pro Jahr herum, Ende des 19. Jahrhunderts war sie sogar noch seltener. Spannend ist jetzt die Frage, ob sich die jüngste Wellenbewegung fortsetzt und was der Grund dafür sein könnte.
Witterung
Allgemeine Charakteristik: Oft, aber nicht immer ganz stabiles Hochdruckwetter. Da die Brücke anfällig ist für Frontdurchbrüche aus Nordwesten, können innerhalb einer GWL BM auch nasse Tage auftreten. Besonders tückisch ist BM im Sommer, wenn die Stabilität nicht ausreicht, um Tagesgangwetter mit Schauern und Gewittern über den Bergen zu unterdrücken. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn im Alpenvorland Restfeuchte einer vorangegangenen Trog- oder Tiefdrucklage vorhanden ist und in der Höhe ein Trogresiduum (Höhenkaltluft) für Labilität sorgt. Im Winterhalbjahr bringen Hochdrucklagen Inversionen mit Nebel oder Hochnebel. Die Hartnäckigkeit und die Höhe des Hochnebels ist abhängig von der Lage der Hochdruckbrücke: Je nördlicher die Achse, umso stärker der (Nord-)Ostwind und umso höher der Hochnebel im Alpenvorland.
Frühling und Frühherbst: meist wärmer als normal, aber mit kühlen bis frostigen Nächten (starker Tagesgang der Temperatur). Niederschlag unternormal.
Sommer: meist wärmer als normal. Niederschlag meist unternormal, vor allem im Flachland. Im Bergland anfällig für Schauer und Gewitter mit lokal stark variierenden Niederschlagssummen.
Spätherbst und Winter: im Flachland kälter als normal, in der Höhe meist wärmer als normal (Inversionslage). Niederschlag unternormal.
Typische Beispiele
Frühsommer (Klick ins Bild öffnet grössere Ansicht):
In den letzten Sommern immer häufiger anzutreffende Situation: Gezeigt wird hier der erste als BM klassifizierte Tag, vorangehende GWL war Trog Westeuropa TRW. Über dem Nordatlantik herrscht eine stramme Westlage, der Jetstream knickt aber über England scharf nach Süden weg und findet über Algerien Kontakt zum Subtropenjet, um über dem östlichen Mitteleuropa wieder nach Norden zurückzufinden. Als Folge findet über Frankreich ein Abschnürprozess statt, es bildet sich ein sogenanntes CutOff-Tief, das ins westliche Mittelmeer abtropft. Ohne diesen Abtropfprozess wäre durch die Ostverlagerung eine GWL Trog Mitteleuropa TRM draus geworden. In der Höhe ist das Trogresiduum noch zu erkennen, am Boden hat sich aber bereits eine Hochdruckbrücke gebildet. Die windschwächste Zone in allen Höhenlagen befindet sich genau über den Alpen, dort liegen aber auch die feuchten Reste einer alternden Kaltfront. Durch die starke Sonneneinstrahlung bildeten sich rasch Quellwolken und in der Folge Gewitter mit lokal teils extremen Regenmengen in kurzer Zeit, so etwa im Jura. Erst in den folgenden Tagen beruhigte sich das Wetter allmählich.
Spätherbst:
Auch hier steht man vor der oft gestellten Frage: Wann hört die Troglage auf und wann fängt die Hochdruckbrücke an? Allein aufgrund der Höhenkarte würde man auf Trog Mitteleuropa TRM tippen, dies war auch die GWL an den drei Tagen zuvor. Da bei der GWL-Klassifizierung der Bodendruck stärker gewichtet wird, sehen wir hier den ersten Tag der GWL BM. Das CutOff-Tief zieht in diesem Fall nach Südwesten und sorgt für heftige Unwetter im westlichen Mittelmeer. Auf der Alpennordseite kommt hingegen vorübergehend Bise mit Hochnebel auf, bis das Mittelmeertief weit genug entfernt ist, die Bise abflaut und der Nebel auf den Boden absinkt: In der Höhe stellt sich ein typischer Martinisommer ein – T-Shirt-Wetter auf 800 m am 11.11.2021.
Markante Wettererscheinungen, Unwetterpotenzial
Während BM in den anderen Jahreszeiten für ruhiges Wetter sorgt, ist sie im Sommer für die meisten Unwetter auf der Alpennordseite verantwortlich. Der Grund liegt in der oft noch von einem vorhergehenden Trog vorhandenen Höhenkaltluft. Da unter der Hochdruckbrücke meist keine steuernden Winde mehr vorhanden sind, verlagern sich Schauer und Gewitter oft kaum von der Stelle und leeren ihre gesamte Ladung auf eng begrenztem Raum ab, oftmals über Stunden. Folge sind Überschwemmungen, Flash-Floods und Anhäufungen von dichtem, kleinkörnigem Hagel. Besonders anfällig dafür sind die Voralpen und der Jura, manchmal aber auch die Mittelgebirge weiter nördlich.
Auswirkungen auf den Vogelzug
Die Hochdruckbrücke Mitteleuropa wird vor allem von Langstreckenziehern genutzt, die im August und September ziehen – dasselbe gilt vermutlich auch für den weniger gut erforschten Frühjahrszug. In diesen Monaten begünstigt die starke Sonneinstrahlung gute Thermik, die von Gleitern wie den Greifvögeln und Störchen genutzt wird, aber auch die Rauchschwalbe zieht besonders gerne mit der Hochdruckbrücke. Der erste Tag einer BM-Phase kann ein Spitzenzugtag sein, wenn die Vorgänger-GWL eine Zugstau verursachende zyklonale Lage war. Im späteren Herbst nimmt die Nutzung dieser Wetterlage ab, wahrscheinlich aufgrund abnehmender Thermik und zunehmenden Inversionslagen mit Hochnebel.
Grundlagen:
Katalog der Großwetterlagen Europas (1881-2009) nach Paul Hess und Helmut Brezowsky
Statistik der Grosswetterlagen aufgeschlüsselt nach Monat und Gesamtjahr im Zeitraum 2001-2020
Wulf Gatter: Vogelzug und Vogelbestände in Mitteleuropa, erschienen im Aula-Verlag, 2000
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Microwave am 7. August 2022 um 19:38 Uhr
Hoi Federwolke, danke für dieses Porträt. 2 Fragen habe ich: 1: Werum gibt es immer wieder diese Austrogungen so dass die Tiefs nicht glatt durchziehen? Also aus welchem Grund gibt es da immer (häufiger?) eine Blockade bei Osteuropa?? 2: Es ist geschrieben als Beispiel vom Frühsommer, aber die Karten sind vom 6. November angeblich? Kann man dort noch die passenden Karten zufügen? Grüsse – Microwave =)
Fabienne Muriset am 7. August 2022 um 20:41 Uhr
Hoi Microwave. Besten Dank für den Hinweis, da ist mir tatsächlich zweimal dieselbe Karte reingerutscht, das ist jetzt korrigiert. Zum Glück gibt es tatsächlich jemanden, der sich die Beträge genau anschaut 😉
Hauptursache der Zunahme von Austrogungen sind bei den Porträts der Troglagen erklärt. Diese signifikante Zunahme bei gleichzeitig starker Abnahme der Westlagen – vor allem WZ – kann nur mit einer permanenten Schwächung des Jetstreams erklärt werden, der dadurch häufiger mäandert. Dass er dies genau über West- und Mitteleuropa tut, muss mit der begünstigenden Wirkung des Temperaturunterschiedes zwischen Meer und Landmasse zu tun haben, während die Kontinentalmasse im Osten stabile Hochs begünstigt. Diese gab es über Russland schon immer, jetzt sind sie aber häufiger über Osteuropa zu finden. Sie sind also nicht Ursache, sondern Folge der Austrogungen weiter westlich, welche die Warmluftzufuhr nach Osteuropa weiter verstärken. Man kann auch von einem System positiver Rückkoppelung sprechen.
Grüsslis, Fabienne