Hier wird eine vom Aussterben bedrohte Grosswetterlage vorgestellt: Mit dem Absturz von Rang 11 auf 23 hat keine andere GWL in den letzten 23 Jahren so viele Ränge eingebüsst wie „Hoch Nordmeer-Island, in Mitteleuropa überwiegend antizyklonal“. Einzig im April tritt sie noch fast zuverlässig in der erforderlichen Mindestzahl von drei Tagen auf, so auch 2020, 2021 und 2022.
Beschreibung
Ein abgeschlossenes, blockierendes Hochdruckgebiet liegt über dem Nordmeer und dem Seegebiet zwischen Island und Schottland. Ein Keil erstreckt sich südostwärts nach Mitteleuropa, ohne dass eine Verbindung zum Subtropenhoch besteht. Die westatlantische Frontalzone ist in einen nördlichen, über Grönland hinweg verlaufenden, und einen südlichen, nach Südwesteuropa und dem Mittelmeer gerichteten Zweig aufgespalten. An beiden Flanken des Hochs befinden sich häufig meridionale Höhentröge. Die über Westrussland südwärts wandernden Einzelstörungen streifen höchstens Mitteleuropa. Über dem östlichen und mittleren Mittelmeergebiet herrscht meist tiefer Luftdruck.
Zuordnung
Grosswettertyp (GWT): Nord
Zirkulationsform (ZF): meridional
Klimaregime: NAO- (negative nordatlantische Oszillation)
Verwandte GWL: in antizyklonaler Richtung Nord antizyklonal NA und Hoch Britische Inseln HB; in zyklonaler Richtung Hoch Nordmeer zyklonal HNZ und Nord zyklonal NZ
Statistik
häufigstes Auftreten im Zeitraum 2001-2023: April 3.48 %
häufigstes Auftreten im Zeitraum 1881-2008: Juni 5.60 %
seltenstes Auftreten im Zeitraum 2001-2023: Dezember und Januar je 0.00 %
seltenstes Auftreten im Zeitraum 1881-2008: November 1.61 %
Häufigkeit Gesamtjahr im Zeitraum 2001-2023: 1.21 %, Veränderung gegenüber 1881-2008: -1.87 Prozentpunkte
Rang Häufigkeit aller GWL: 1881-2008 Rang 11, 2001-2023 Rang 23 (Rangverschiebung: -12)
längste ununterbrochene GWL HNA: 14 Tage vom 19. Juni bis 2. Juli 1986
häufigste Nachfolge-GWL 1881-1997: 1.: West zyklonal WZ 13.0 % und Hoch Mitteleuropa HM je 11.7 % / 3.: Hoch Nordmeer zyklonal HNZ und Nord zyklonal NZ je 8.9 %
häufigste Nachfolge-GWL 1971-2022: 1.: Hochdruckbrücke Mitteleuropa BM und Unbestimmt U/Ü je 10.8 % / 3.: Nord zyklonal NZ 9.2 %
seltenste Nachfolge-GWL 1881-1997: 1.: Süd zyklonal SZ und Hoch Fennoskandien zyklonal HFZ 0.6 % (= je 2 Fälle)
folgt auf GWL 1971-2022: 1.: West antizyklonal WA 9.1 % / 2.: Hoch Britische Inseln HB und Hoch Nordmeer-Fennoskandien antizyklonal HNFA je 7.6 %
Wie die meisten Nordlagen tritt auch HNA im Frühling regelmässig auf, einen kleinen zweiten sekundären Cluster gibt es im Spätsommer bzw. Frühherbst. Gegenüber dem langjährigen Vorkommen hat diese Wetterlage in allen Monaten ausser im März stark abgenommen, im Dezember und Januar ist sie in den letzten 23 Jahren gar nie mehr aufgetreten. Am auffälligsten ist der Rückgang im Juni, was dessen Wandlung von einem Frühlings- in einen vollwertigen Sommermonat in letzter Zeit mitgestaltet hat.
Nur vom 16. bis 22. April weist HNA noch ein regelmässiges Vorkommen auf, sowie Ende Mai etwa alle 10 Jahre. Auffällig ist auch das fast völlige Verschwinden aus dem Juni und Juli, nur noch Ende Juni ist eine gewisse Hartnäckigkeit zu erkennen – zu dieser Zeit sind die Luftmassen aus Norden unter Hochdruckeinfluss aber nicht mehr kalt, sondern gemässigt.
Ab Beginn der statistischen Erfassung 1881 bis etwa in die 1940-er Jahre waren 12 bis 16 Tage pro Jahr mit HNA normal. Der allmähliche Absturz erfolgte zur Mitte des letzten Jahrhunderts und hat sich dann für eine Weile zwischen 6 und 10 Tagen pro Jahr eingependelt. Seit dem Milleniumswechsel ist das Niveau noch mal gesunken. Gab es zuvor noch eine Häufung dieser Wetterlage in Jahren mit stärkerer negativer NAO (z.B. Mitte bis Ende der 90er Jahre), hilft in letzter Zeit auch das nicht mehr. Ist diese Wetterlage etwa im Aussterben begriffen?
Witterung
Zu allen Jahreszeiten weitgehend trockene Witterung mit Ausnahme von Sommergewittern im Bergland. Grosser Tagesgang der Temperatur im Sommerhalbjahr.
Frühling und Herbst: Tagesminimum der Lufttemperatur unternormal, Tagesmaximum im Westen übernormal; Niederschlag unternormal
Sommer: von Ost nach West Tendenz von kälter zu wärmer als normal; Niederschlag unternormal
Winter: kälter als normal; Niederschlag unternormal
Typische Beispiele
Frühling (Klick ins Bild öffnet grössere Ansicht):
Prägend sind das blockierende warme Höhenhoch über dem Nordmeer sowie das darunter liegende Bodenhoch mit Kerndruck über 1030 hPa, was für Ende Mai beachtlich ist. Typisch für den Frühling sind die zahlreichen Kaltlufttropfen und CutOff-Tiefs, die westlich und östlich des Hochs nach Süden durchbrechen (= Omegahoch-Lage). So gelangt kühlere Luft aus Nordosten in den Alpenraum, die Labiltät durch Höhenkaltluft fördert Schauer und Gewitter.
Sommer:
Im Hochsommer ist das Hoch weniger stark ausgeprägt, steuert aber auch hier die atlantischen Störungen weit nördlich nach Osten. Da jetzt weniger Kaltluftmasse vorhanden ist, sind Durchbrüche südlich des Hochs seltener und nur schwach ausgeprägt. Diese Lage sorgt im Sommer für angenehme, trockene Wärme in Mitteleuropa. Da die Alpen am Rand des Hochs liegen, kommt es hier tagesgangbedingt zu lokalen Gewittern.
Markante Wettererscheinungen, Unwetterpotenzial
In weiten Teilen Mitteleuropas bleibt es bei dieser Lage ruhig. Die östlichen Regionen werden allerdings von den Kaltluftausbrüchen über Osteuropa gestreift, was bevorzugt in den Ostalpen mitunter kräftige Gewitter zur Folge hat, insbesondere im Frühsommer. Bei den nur noch sehr selten auftretenden HNA-Lagen im Winter sind im östlichen Mitteleuropa mit schneidendem Nordwind auch Schneefälle und Schneeverwehungen möglich.
Auswirkungen auf den Vogelzug
Wie bei den meisten antizyklonalen Nord- und Ostlagen wird HNA im frühen Herbstzug noch überdurchschnittlich genutzt, besonders auffällig durch Brach- und Baumpieper. Ab Ende September nimmt die Hochnebelanfälligkeit deutlich zu und mit schlechterer Sicht sinkt auch die Nutzung dieser Wetterlage durch die Zugvögel. Beim Frühjahrszug ist der Gegenwind hinderlich, sodass auch bei sonst günstiger Witterung die Lage nur schwach genutzt wird, am ehesten dann noch bodennah.
Grundlagen:
Katalog der Großwetterlagen Europas (1881-2009) nach Paul Hess und Helmut Brezowsky
Statistik der Grosswetterlagen aufgeschlüsselt nach Monat und Gesamtjahr im Zeitraum 2001-2020
Wulf Gatter: Vogelzug und Vogelbestände in Mitteleuropa, erschienen im Aula-Verlag, 2000
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