Man wollte sie bereits für tot erklären: Von 2007 bis 2017 trat “Hoch Nordmeer-Fennoskandien, in Mitteleuropa überwiegend antizyklonal” genau einmal mit der erforderlichen Mindestdauer von drei Tagen auf. Seit 2018 ist sie in jedem Frühjahr wieder mindestens einmal vertreten, auf den zweitletzten Rang aller 30 GWL ist sie trotzdem abgestürzt. Ein Porträt.
Beschreibung
Eine langgestreckte, manchmal brückenartige Hochdruckzone reicht vom Raum Island bis nach Nordrussland und in ihrem südlichen Teil bis in das nördliche Mitteleuropa. Da gleichzeitig über dem Mittelmeer tieferer Luftdruck vorherrscht, entsteht eine durchgehende, meist aber nur schwache Ostströmung von Westrussland über Mitteleuropa bis zu den Britischen Inseln oder darüber hinaus. Nördlich des Hochdrucksystems herrscht vielfach eine intensive Westströmung von Nordgrönland zum Eismeer.
Zuordnung
Grosswettertyp (GWT): Ost
Zirkulationsform (ZF): meridional
Klimaregime: meist NAO- (negative nordatlantische Oszillation) oder Block, wenn der Hochdruck nicht ganz bis Island reicht
Verwandte GWL: in antizyklonaler Richtung Hoch Fennoskandien antizyklonal HFA; in zyklonaler Richtung Hoch Nordmeer-Fennoskandien zyklonal HNFZ
Statistik
häufigstes Auftreten im Zeitraum 2001-2023: April 3.04 %
häufigstes Auftreten im Zeitraum 1881-2008: Mai 4.79 %
seltenstes Auftreten im Zeitraum 2001-2023: Juli bis September sowie November bis Januar je 0.00 %
seltenstes Auftreten im Zeitraum 1881-2008: November 0.57 %, Dezember 0.60 %
Häufigkeit Gesamtjahr im Zeitraum 2001-2023: 0.68 %, Veränderung gegenüber 1881-2008: -0.73 Prozentpunkte
Rang Häufigkeit aller GWL: 1881-2008 Rang 25, 2001-2023 Rang 29 (Rangverschiebung: -4)
längste ununterbrochene GWL HNFA: 16 Tage vom 26. April bis 11. Mai 1918
häufigste Nachfolge-GWL 1881-1997: 1.: Hoch Nordmeer antizykl. HNA 15.6 %, 2. Hoch Nordmeer-Fennoskandien zykl. HNFZ 10.1 %, 3. Hoch Nordmeer zykl. HNZ 9.1 %
häufigste Nachfolge-GWL 1971-2022: 1.: Hoch Nordmeer-Fennoskandien zykl. HNFZ 14.6 % / 2.: Hoch Nordmeer zykl. HNZ 12.2 % / 3.: Trog Westeuropa TRW 9.8 %
seltenste Nachfolge-GWL 1881-1997: Südwest antizyklonal SWA, Süd zyklonal SZ und Hoch Fennoskandien zyklonal HFZ je 0.0 %
folgt auf GWL 1971-2022: 1.: Hochdruckbrücke Mitteleuropa BM 12.2 % / 2.: Hoch Fennoskandien antizyklonal HFA 9.8 % / 3.: Hoch Britische Inseln HB 7.3 %
HNFA war schon immer eine typische Frühlingserscheinung, in den anderen Jahreszeiten trat sie äusserst selten auf. In den letzten 20 Jahren hat sich ein sekundäres Maximum im Oktober ausgebildet. Dazu haben allerdings zwei Ereignisse ausgereicht (einmal 7, einmal 5 Tage in den Oktobern 2003 und 2005, seither gab es wieder kein Vorkommen mehr im Herbst). Auch hier zeigt sich also die Zufälligkeit bei Verschiebungen von extrem seltenen Wetterlagen, deren Aussagekraft somit beschränkt ist.
Für eine extrem seltene Wetterlage ist das neuerdings geballte Auftreten in der ersten Maihälfte sowie Mitte Oktober bemerkenswert, die übrigen Fälle verteilen sich eher zufällig. Der starke Anstieg im April in der oberen Grafik ist auch auf einen weiteren Fall 2022 zurückzuführen, der in dieser tagesgenauen Statistik noch nicht enthalten ist.
Massgeblich für den Absturz im Ranking der letzten 23 Jahre war die nahezu völlig ereignislose Phase 2007-2017, während die Spitzenjahre noch die Statistik des letzten Jahrhunderts aufmöbelten. Dieses länger andauernde Hoch der 1990er Jahre ist allerdings einmalig in der Statistik seit 1881, zuvor bewegte sich das durchschnittliche Vorkommen dieser Wetterlage recht stabil zwischen vier und sechs Tagen pro Jahr. Eine Prognose für die nächsten Jahre ist aufgrund der starken Schwankungen schwierig.
Witterung
Im Winterhalbjahr kalt, im Sommerhalbjahr warm, dabei im nördlichen Mitteleuropa überwiegend trocken. Der Alpenraum kann von Tiefs über dem Mittelmeer beeinflusst sein.
Frühling: wärmer als normal ausser Tagesminima (Spätfröste!), Niederschlag unternormal
Sommer: wärmer als normal; Niederschlag unternormal mit Ausnahme des Westens und des Alpenraums, hier unstrukturiert durch Gewitter
Herbst und Winter: kälter als normal, Niederschlag unternormal mit Ausnahme des Alpenraums
Typische Beispiele
Frühling (Klick ins Bild öffnet grössere Ansicht):
Für den Frühling typische meridionale Zirkulationsform mit regem Austausch polarer und subtropischer Luftmassen zwischen Nord und Süd. Der kräftige atlantische Jetstream wird blockiert und muss in der Folge vor den Westküsten Europas nach Norden ausweichen, die Front streift nur kurz das westliche Mitteleuropa. Charakteristisch für April sind die aus Nordost am Südrand des Skandihochs ziehenden Kaltlufttropfen. Bei deren stärkerem Einfluss auf Mitteleuropa wird die Lage als zyklonal klassifiziert: Mit ein Grund, weshalb die zyklonale Variante häufiger ist als die antizyklonale. In diesem Fall sehen wir gerade den Übergang von zyklonal zu antizyklonal, das Hoch lässt den Kaltlufttropfen über dem Baltikum auflaufen.
Herbst:
Die letzten Beispiele stammen aus dem Oktober der Jahre 2003 und 2005, zu diesem Zeitpunkt stehen nicht alle Analysekarten zur Verfügung. Hoffen wir auf ein Ereignis in naher Zukunft, damit diese Lücke geschlossen werden kann…
Markante Wettererscheinungen, Unwetterpotenzial
Da bei dieser Wetterlage im Winterhalbjahr polare bis arktische Luftmassen kontinentaler Herkunft in Mitteleuropa unter Hochdruckeinfluss geraten und zur Ruhe kommen, sind strenge Fröste vorprogrammiert. Auch im Frühling sind dadurch noch schädliche Fröste bis in den Mai hinein möglich. Im Sommerhalbjahr ist starker Tagesgang der Temperatur charakteristisch. Der Alpenraum steht oft unter Einfluss von Mittelmeertiefs, das bedeutet im Sommer Gewitter mit aussergewöhnlichen Zugbahnen aus Ost bis Südost, im Winter Schneefall entlang der häufig sich bildenden Luftmassengrenze in Alpennähe (warm-feuchte Mittelmeerluft gleitet auf die nördlich der Alpen lagernde Kaltluft auf).
Auswirkungen auf den Vogelzug
Das extrem seltene Auftreten dieser Wetterlage lässt keine belastbaren Statstiken zum Vogelzug zu.
Grundlagen:
Katalog der Großwetterlagen Europas (1881-2009) nach Paul Hess und Helmut Brezowsky
Statistik der Grosswetterlagen aufgeschlüsselt nach Monat und Gesamtjahr im Zeitraum 2001-2020
Wulf Gatter: Vogelzug und Vogelbestände in Mitteleuropa, erschienen im Aula-Verlag, 2000
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