Vormals war “Hoch Mitteleuropa” die zweithäufigste Grosswetterlage überhaupt, jetzt befindet sie sich noch auf Rang 9. Vor allem im Spätsommer und Herbst wurde sie fast gänzlich von anderen, verwandten GWL verdrängt. Ein Porträt.
Beschreibung
Über ganz Mitteleuropa liegt ein ausgedehntes Hochdruckgebiet, das in der Höhe mindestens einen stabilen Hochkeil, in manchen Fällen auch einen abgeschlossenen Kern aufweist. Die atlantische Frontalzone verläuft in einem antizyklonal gekrümmten Bogen meist nördlich von 60° N. An der West- und Ostflanke des mitteleuropäischen Hochs befinden sich Tröge über dem Ostatlantik und über Russland (sog. Omega-Lage). Die Luftdruckgradienten sind oft schwach, besonders im Sommer. Manchmal erstreckt sich eine meridional verlaufende Hochdruckzone über Mitteleuropa vom zentralen Mittelmeer bis Skandinavien.
Zuordnung
Grosswettertyp (GWT): Hoch (Mitteleuropa)
Zirkulationsform (ZF): gemischt
Klimaregime: Block
Verwandte GWL: Hochdruckbrücke Mitteleuropa BM, Südwest antizyklonal SWA, Süd antizyklonal SA, Südost antizyklonal SEA
Statistik
häufigstes Auftreten im Zeitraum 2001-2023: Dezember 6.87 %
häufigstes Auftreten im Zeitraum 1881-2008: September 12.11 %
seltenstes Auftreten im Zeitraum 2001-2023: Mai 2.66 %
seltenstes Auftreten im Zeitraum 1881-2008: April 5.65 %
Häufigkeit Gesamtjahr im Zeitraum 2001-2023: 4.35 %, Veränderung gegenüber 1881-2008: -4.54 Prozentpunkte
Rang Häufigkeit aller GWL: 1881-2008 Rang 2, 2001-2023 Rang 9 (Rangverschiebung: -7)
längste ununterbrochene GWL HM: 32 Tage vom 12. Januar bis 12. Februar 1882
häufigste Nachfolge-GWL 1881-1997: 1.: West zyklonal WZ 17.1 % / 2.: West antizyklonal WA 12.4 % / 3.: Hochdruckbrücke Mitteleuropa BM 9.4 %
häufigste Nachfolge-GWL 1971-2022: 1.: West zyklonal WZ 12.4 % / 2.: West antizyklonal WA 10.4 % / 3.: Hochdruckbrücke Mitteleuropa BM 10.0 %
seltenste Nachfolge-GWL 1881-1997: Tief Mitteleuropa TM 0.0 %
folgt auf GWL 1971-2022: 1.: West zyklonal WZ 15.4 % / 2.: West antizyklonal WA und Hochdruckbrücke Mitteleuropa BM je 9.5 % / 4.: Hoch Britische Inseln HB 9.0 %
Hoch Mitteleuropa hat in allen Monaten ausser im April markant abgenommen, es ist die GWL mit der stärksten Abnahme in den letzten 20 Jahren. Eine Besonderheit stellt der September dar, in dem ehemals die GWL HM den Höhepunkt im Jahresverlauf hatte, jetzt tritt sie genau da (zusammen mit anderen Monaten) fast am seltensten auf. Sie wurde in diesem Monat fast vollständig durch die verwandte Hochdruckbrücke Mitteleuropa verdrängt (Anstieg von 9.7 auf 14.4 %). Da die klassische Hochdrucklage über Mitteleuropa gerne im Wechsel mit Westlagen auftritt, diese aber ebenfalls im Rückzug begriffen sind, ist die Abnahme nur eine logische Folge.
Markante Verschiebungen zwischen den Klimaperioden gibt es vor allem innerhalb des Winters, sehr auffällig ist die neue Häufung Mitte Januar. Wer nun damit rechnet, dass die Chancen auf Hoch Mitteleuropa zu dieser Zeit besonders hoch sind, könnte enttäuscht werden: Das letzte Vorkommen war 2012 – gut möglich also, dass es sich hierbei um eine vorübergehende Singularität handelte. Bemerkenswert ist die Zunahme auch im April, die sich hauptsächlich auf die Monatsmitte konzentriert, verursacht durch die Jahre 2007, 2009 und 2011, inzwischen besteht ein Trend zu weiterer Vorverschiebung auf den 8. bis 11. April. Kein Zweifel besteht auch darin, woher der Begriff “Goldener Oktober” stammt. Diese Aufgabe haben allerdings inzwischen andere GWL übernommen, vor allem Hochdruckbrücke Mitteleuropa und Südlagen.
Hoch Mitteleuropa weist eine starke Schwankungsbreite bei der jährlichen Häufigkeit auf. Auffallend ist aber der stark negative, langfristige Trend. Seit Beginn der Statistiken 1881 wies diese GWL eine stabile Häufigkeit von durchschnittlich 40 Tagen pro Jahr auf. Ab den 1950er Jahren setzte ein starker Abwärtstrend ein, der seit den 1990er Jahren auf dem bescheidenen Niveau von etwa 15 Tagen abflacht. Jahre mit mehr als 25 Tagen HM treten heute kaum noch auf. Man darf vermuten, dass es schwerlich noch weiter nach unten gehen kann und es wird spannend zu beobachten sein, ob sich der Trend eventuell sogar wieder leicht umkehrt.
Witterung
Generell sonnig und trocken mit Nebel über den Niederungen im Winter und lokalen, meist kurzlebigen Gewittern über den Bergen im Sommer.
Frühling: wärmer als normal bis auf das Tagesminimum. Niederschlag unternormal.
Sommer und Frühherbst: wärmer als normal. Niederschlag unternormal.
Spätherbst und Winter: Tagesmaximum der Lufttemperatur normal bis übernormal, Tagesminimum unternormal. Niederschlag unternormal.
Typische Beispiele
Winter (Klick ins Bild öffnet grössere Ansicht):
Ein starker, blockierender Höhenrücken wölbt sich vom Mittelmeer bis nach Skandinavien auf. Typisch ist das zum Höhenhoch leicht nach Osten versetzte Bodenhoch mit Kerndruck über 1035 hPa, der sich in der kälteren kontinentalen Luftmasse befindet. Die westlichen Höhenwinde über dem Atlantik knicken nach Süden ab, wo sie sich vor der Iberischen Halbinsel in den Polarfrontjet und den Subtropenjet aufsplitten. Der Polarfrontjet umfliesst West- und Mitteleuropa in einem weiten Bogen nach Norden, um über Osteuropa als Nordströmung wieder zu seiner angestammten Position zurückzufinden. Am Boden ist es unter dem Hoch in Mitteleuropa nahezu windstill, es bildet sich eine ausgeprägte Inversionslage mit Nebel in den Niederungen und extrem guter Fernsicht in der Höhe aus. Bei länger andauernden Hochdrucklagen kann die Nullgradgrenze auch im Winter über 3000 m ansteigen (Erwärmung durch absinkende Luft im Hoch).
Sommer:
Wer erinnert sich nicht an die extreme Hitzewelle Anfang Juli 2015, die durch diese Hochdrucklage eingeleitet wurde…? Ursächlich war ein blockierender Hochdruckrücken vom zentralen Mittelmeer bis nach Skandinavien, an dessen Westflanke heisse Saharaluft weit nach Norden verfrachtet wurde. Unter dem permanenten Hochdruckeinfluss zur Zeit des höchsten Sonnenstandes erhitzt sich die Luft am Boden auf bis zu 40 Grad in Gegenden Westeuropas, wo dies seit Beginn der modernen Wetteraufzeichnungen noch nie der Fall war. Der Höhenwind und die Frontalzone formen rund um das Hoch ein dem griechischen Buchstaben Omega ähnelnde Figur, daher auch die Bezeichnung “Omega-Lage”. Ein im Hochdruckgebiet verstecktes kleines Höhentrögli sorgt für einzelne Gewitterentwicklungen in den Bergen wo Schmelzwasser die Grundschicht anfeuchtet, ansonsten ist die Luft zu trocken.
Markante Wettererscheinungen, Unwetterpotenzial
Das Hoch Mitteleuropa ist selten alleine verantwortlich für markante Trockenheit, kann aber in häufig wiederkehrenden Fällen und in Kombination mit anderen antizyklonalen Lagen eine solche verstärken. Im Sommer ist diese GWL fast ein Garant für Hitzewellen. Wenn zuvor noch eine Luftmasse aus südlichen Richtungen eingeflossen ist, kann sie sogar extrem ausfallen, ansonsten ist es von der Dauer der GWL abhängig, in der sich die Luftmasse unter permanent hoher Sonneneinstrahlung erhitzen kann. Sowohl im Sommer (Ozonbelastung) wie auch im Winter reichern sich aufgrund des kaum stattfindenden Austauschs in bodennahen Luftschichten Schadstoffe an (Smog).
Auswirkungen auf den Vogelzug
Hoch Mitteleuropa wird bis in den September von den meisten Arten überdurchschnittlich genutzt, im Spätherbst wird sie wegen zunehmender Nebelanfälligkeit zunehmend gemieden. Besonders auffällig ist im Spätsommer und Frühherbst der starke Zug von Schafstelzen und Feldlerchen während der GWL HM. Hingegen kaum genutzt wird HM im Spätsommer vom Mauersegler, der ein typischer Schlechtwetterflüchter ist. Das seltene Vorkommen von HM im Frühling lässt für den Frühjahrszug keine belastbaren Schlüsse zu. Man darf aber davon ausgehen, dass die windschwache Lage und im Gegensatz zum Herbst guten Sichtverhältnisse zu einer starken Nutzung beitragen, insbesondere bei den auf Thermik angewiesenen Greifvögeln und Störchen.
Grundlagen:
Katalog der Großwetterlagen Europas (1881-2009) nach Paul Hess und Helmut Brezowsky
Statistik der Grosswetterlagen aufgeschlüsselt nach Monat und Gesamtjahr im Zeitraum 2001-2020
Wulf Gatter: Vogelzug und Vogelbestände in Mitteleuropa, erschienen im Aula-Verlag, 2000
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