Wir sind es uns fast schon nicht mehr gewohnt: In den letzten sieben Jahren gab es nur noch einen Juni mit Schafskälte (2020), entsprechend landeten sechs Monatsmittel deutlich im Plus zum langjährigen Mittel, und vier dieser Junis waren hinter dem haushohen Rekordhalter 2003 die wärmsten in der 160-jährigen Messreihe der Schweiz. Oder anders gesagt: Für einen normal temperierten Juni braucht es fast zwingend die Schafskälte, sonst mutiert er zum Hochsommermonat. Davon waren wir 2024 weit entfernt, Schafskälte gab es zum klassischen Zeitpunkt zwischen dem 10. und 15., aber auch schon zum Monatswechsel Mai/Juni und wenn man es unbedingt auch noch dazu zählen will noch mal um den 22. herum. Dass der Juni 2024 trotzdem leicht im Plus von ungefähr 0.4 Grad zur neuen Klimanorm 1991-2020 landet, zeigt wie sehr sich der erste Sommermonat gewandelt hat: Von 1951 bis 1999 gab es nur einen Juni (1976), der wärmer war als 2024, seit 2000 aber deren 13. Und angesichts der zahlreichen Unwetterschäden kaum zu glauben, aber auch beim Niederschlag landet der Juni 2024 über die gesamte Schweiz gemittelt ziemlich genau in der Norm. Verantwortlich für die Hochwasserereignisse war hauptsächlich das viele zusätzliche Schmelzwasser und die übersättigten Böden aus den niederschlagsreichen Vormonaten.

Früher fast ausschliesslich ein Frühlingsphänomen, sind dichte Saharastaubwolken mittlerweile rund ums Jahr präsent (östl. Bern, 29.06.2024)
Die fotometeo.ch/orniwetter.info-Langfristprognose für den Juni, erstellt am 01.06.2024, lautete wie folgt:
Unser Favorit lässt den seit mehreren Wochen dominanten Hochdruckblock über Westrussland noch eine Weile stehen und baut gleichzeitig südlich von Grönland einen neuen auf, der allmählich einen Keil in Richtung Iberische Halbinsel schickt. Durch eine Schwachstelle zwischen diesen beiden Hochdruckblöcken ist über Mitteleuropa der Weg frei für abtropfende Tiefs, die vom zentralen Trog über dem Nordmeer in Richtung Mittelmeer ausbrechen. Je nach Zugbahn und Positionierung sind somit häufige Grosswetterlagen Trog Westeuropa, Tief Britische Inseln und Südostlagen, oder aber Trog Mitteleuropa, Tief Mitteleuropa und Nordwestlagen. Hinter einem abtropfenden Tief kann sich jeweils für ein paar Tage eine Hochdruckbrücke über Mitteleuropa oder eine antizyklonale Westlage bilden. Für Abwechslung dürfte also gesorgt sein, eine beständige Hochdrucklage oder eine trockene Ostlage ist unter diesen Voraussetzungen eher unwahrscheinlich.
Die Druckkonstellation wird auch bei der Luftmassentemperatur abgebildet: Aussergewöhnlich warm wird bzw. bleibt es in Osteuropa und in weiten Teilen Skandinaviens, während sich eine Kälteanomalie rund um Island einnistet. Von dort aus zielt eine Zunge leicht unterdurchschnittlicher Temperaturen über die Britischen Inseln und die Alpen hinweg ins zentrale Mittelmeer, wobei die Erfahrung der letzten Jahre zeigt, dass daraus meist durchschnittlich temperierte Monate oder solche in einem leichten Plus zum langjährigen Mittel resultieren. Entscheidend wird hier wohl sein, ob eher die nassen oder die sonnigen Phasen die Oberhand gewinnen.
Im gewählten Modelllauf wirkt sich der nach Westeuropa gerichtete Hochdruckkeil abtrocknend bis zu den West- und Zentralalpen aus, während die Ostalpen mit leicht überdurchschnittlichen Niederschlägen zu rechnen haben. Sowieso besteht über Mitteleuropa ein starkes Gefälle von Ost nach West in Sachen Niederschlag, was schlussendlich darauf zurückzuführen ist, dass die warmen Vorderseiten der Tröge und CutOff-Tiefs weitaus mehr Feuchtigkeit transportieren können als die kühlen Rückseiten. Wie aber bereits einleitend geschrieben, wird das mit der regionalen Verteilung eine ziemliche Lotterie, einzelne Gewittertreffer können da schon den Unterschied machen, ob der Monat zu nass oder zu trocken bilanziert.
Vergleich der Prognose (oben) mit der Analyse (unten) der Abweichungen des Geopotenzials in rund 5500 m Höhe gegenüber dem langjährigen Mittel:
Zwei kräftige Hochs im Westen und Osten, die etwas zu nördlich prognostiziert wurden und ein persistentes Tief genau dort, wo man es erwartet hatte: Im Grossen und Ganzen lag der gewählte Modelllauf richtig. Für Mitteleuropa prägend waren aber die Durchbrüche von Trögen und abtropfenden Tiefs, die insgesamt etwas westlicher stattfanden als erwartet: Die sekundäre Tiefdruckanomalie lag nicht über Italien, sondern über der Iberischen Halbinsel. Die Folge davon waren zwar kurze, aber prägende Südlagen (Tief Britische Inseln und Trog Westeuropa, auch West zyklonal und Winkelwest mit ihren Austrogungen nach Spanien am 9. und 29. Juni kann man dazu zählen, hier wurde einfach das Kriterium von mindestens drei Tagen für eine Grosswetterlage nicht erfüllt). Entsprechend hatten wir auch in diesem Monat schon wieder drei (!) Saharastaub-Ereignisse (siehe Titelbild). Dass die Tröge immer genau über Westeuropa runterkommen, ist kein Zufall: Über der Wassertemperatur-Anomalie von bis zu drei Grad über dem langjährigen Mittel nordwestlich der Azoren fühlt sich das Hoch dort pudelwohl, daher ist auch kaum eine Änderung in nächster Zeit zu erwarten:
Dies ist ein sich selbst verstärkendes System: Durch die persistenten Hochs über dem westlichen Nordatlantik wie auch über Südosteuropa wird das Wasser dort durch hohe Sonneneinstrahlung weiter aufgewärmt, was wiederum die Hochdruckgebiete stützt – entweder so lange, bis ein viel stärkerer Impuls von irgendwoher die nordhemisphärische Zirkulation verändert oder im Herbst die Abkühlung der nördlichen Landmassen neue Verhältnisse bei den grossräumigen Temperaturgegensätzen schafft. Die Karten für eine Umstellung noch im Hochsommer stehen also schlecht. Zudem wird die Warmwasser-Anomalie des tropischen bis subtropischen Atlantiks eine ausserordentliche Hurrikan-Saison hervorbringen, den ersten Beweis dafür hat „Beryl“ als stärkster Sturm zu diesem frühen Zeitpunkt in den letzten Tagen bereits geliefert.
Die Abweichung der Monatsmitteltemperatur in rund 1500 m Höhe zur Klimanormperiode 1991-2020 (oben Prognose, unten Analyse):
Mit den westlicher abtropfenden Tiefs gelangten auch kühlere Luftmassen über die Iberische Halbinsel zu den Kanaren, wo eigentlich ein zu warmer Juni erwartet wurde. Dafür ist die Lage über dem östlichen Mittelmeer völlig eskaliert: Auch am Boden betrug die Abweichung in der westlichen Türkei mehr als +5 Grad zur Norm 1991-2020. Über Mitteleuropa wurde das Gefälle von Ost nach West hingegen sehr gut getroffen, etwas wärmer als erwartet wurde es von Südosten her bis nach Bayern, wo die heissen Vorderseiten am stärksten wirken konnten (36.4 °C in der Wiener Innenstadt am letzten Tag des Monats).
Abweichung des Monatsniederschlags gegenüber der Klimanorm 1991-2020 (oben Prognose, unten Analyse):
Das nach Süden verschobene Osteuropahoch wirkte sich auch auf die Niederschlagsverteilung aus: In Südosteuropa war der Juni entgegen der Prognose extrem trocken, während in Westrussland deutlich mehr Niederschlag fiel als erwartet. Auch Südwesteuropa wurde aufgrund der dort abtropfenden Tiefs viel nasser als prognostiziert. Das weisse Loch über den Alpen muss man gedanklich ausblenden, vermutlich sind die Klimadaten von Innsbruck falsch in der NOAA-Datenbank hinterlegt, deshalb wird dort und in Bayern auch Monat für Monat „zu trocken“ gerechnet. Für die korrekten Daten und regionalen Feinheiten konsultiere man die Karten der Landeswetterdienste: Schweiz, Österreich, Deutschland.
So kommt ein durchschnittlicher Juni sowohl bei Temperatur wie Niederschlag also zustande: Man nehme gerade mal drei trockene Tage, einer davon heiss, lasse es an den 27 übrigen Tagen immer irgendwo übertrieben heftig schütten, während andere Gebiete trocken bleiben, mische sieben richtig kühle Tage und acht schwül-warme dazu und fertig ist das neue „Normal“. Der Giftcocktail wird auch bei den Grosswettertypen deutlich: Zwischen viel Süd und viel Nordwest auch noch viel West (allesamt zyklonal geprägt), ein von Ende Mai in den 1. Juni überlappendes Tief Mitteleuropa und gerade mal drei antizyklonale Tage, vertreten durch eine für die Alpen etwas zu nördlich liegende Mitteleuropa-Brücke. Kann nix G’scheites werden, ab auf die Müllhalde damit und ganz tief verbuddeln…
Die Langfristprognose für den Juli findet man auf unserer Partnerseite orniwetter.info, sie wird zu Beginn des nächsten Monats in diesem Blog verifiziert.
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