Mit dem Übergang in ein neues Jahrzehnt tritt auch eine neue Klimareferenzperiode auf den Plan. Dass die Temperatur im Mittel der Jahre 1991-2020 gegenüber der alten Klimanorm 1961-1990 gestiegen ist, kann leicht belegt werden. So stieg die Temperatur im Flächenmittel Deutschlands über das ganze Jahr gesehen um 1.06 Grad. Ist das Wetter einfach wärmer geworden oder haben sich auch die Wetterlagen verändert? Wir gehen dieser Frage im Detail nach und betrachten dabei jede Jahreszeit aufgrund der Komplexität gesondert in einem separaten Beitrag. Teil 4: der Herbst, umfassend die Monate September, Oktober und November.
Der Herbst ist jene Jahreszeit, die sich in den letzten 30 Jahren am wenigsten erwärmt hat, nämlich um 0.56 Grad. Dabei entfallen 0.52 Grad auf den September, 0.35 auf den Oktober und 0.79 auf den November (deutsches Gebietsmittel nach DWD). Allerdings hat der Herbst seine Erwärmungsphase gegenüber den anderen Jahreszeiten schon früh in Angriff genommen: Ein Sprung von +0.6 Grad erfolgte von der Klimanormperiode 1901-1930 zu 1931-1960, bis 1990 stagnierte dann die Herbstmitteltemperatur. Seit 2014 legt aber auch der Herbst wie die anderen Jahreszeiten mächtig zu, insbesondere der November. Monate unter der Klimanorm 1961-1990 kommen nur noch selten vor und wenn, dann meist knapp. Beim Niederschlag gibt es für den Gesamtherbst einen leichten Trend nach oben, der vor allem auf das Konto des Oktobers geht, der mit einem Plus von 13.5 % die grösste Niederschlagszunahme aller Monate des Jahres erfuhr.
Mit der Klassifizierung von Zirkulationsformen (ZF), Grosswettertypen (GWT) und Grosswetterlagen (GWL) haben wir ein praktisches Instrument, um den Auswirkungen der globalen Erwärmung auf die Witterung in Europa detailliert auf den Grund zu gehen. Seit 2012 führen wir kontinuierlich einen Wetterlagenkalender auf unserer Partnerseite orniwetter.info, die älteren Daten haben wir vom DWD bzw. dem PIK Potsdam übernommen. Unser Augenmerk richtet sich schwerpunktmässig auf die Entwicklung der letzten 20 Jahre gegenüber früheren Mittelwerten.
Als erstes betrachten wir die Veränderung der Grosswettertypen der letzten 20 Jahre zum Mittel seit 1881:
Wie in den anderen Jahreszeiten ist auch im Herbst die Zunahme der Grosswettertypen aus dem Sektor Süd bis Südwest auffällig. Extrem ist der Rückgang bei den Westlagen: Die Abnahme von 27.3 % im letzten Jahrhundert auf knapp 18 % in den letzten 20 Jahren bedeutet die Reduzierung um ein Drittel dieses GWT, besonders stark ist der Rückgang im November. Grob gesagt kann man festhalten: Der Herbst ist weniger zonal geworden, der Verlust an Westlagen geht aufs Konto von mehr Südwest- und Nordwestlagen. Ebenfalls deutlich abgenommen haben beständige Hochdrucklagen (Altweibersommer Ende September bis Mitte Oktober), stattdessen gibt es mehr Südlagen, was auf eine Ostverschiebung des Hochdrucks hindeutet. Gehen wir noch etwas tiefer ins Detail und schauen uns die Veränderung der Grosswetterlagen an:
Das Veränderungsmuster ist nicht viel anders als im Sommer und Winter: Zyklonale Südwest- und Südlagen (v.a. Trog Westeuropa) haben stark zugenommen, zyklonale Westlagen stark abgenommen. Das hat zur Folge, dass der typische Herbststurm im neuen Jahrtausend nicht mehr der Weststurm ist, sondern der Föhnsturm. Besonders der November hat diesen Trend stark vorangetrieben und geht in dieselbe Richtung wie der Dezember: Offenbar wirkt sich der Eisflächenverlust in der Arktis dahingehend aus, dass im Herbst und zu Beginn des Winters die Temperaturgegensätze an der Polarfront weniger rasch zunehmen und somit auch die Entwicklung von starken Tiefdruckgebieten auf dem Nordatlantik gebremst wird. Der oben bereits angesprochene Verlust von stabilen Hochs über Mitteleuropa (HM) wird durch die Zunahme der auf Störungsangriffe anfälligeren Brücke Mitteleuropa (BM) nur teilweise kompensiert. Dieser Trend ist auch eine Folge von stärkeren Austrogungen aufgrund des schwächeren Jetstreams: Trog Westeuropa (TRW) und Trog Mitteleuropa (TRM) haben auch im Herbst zugenommen. Die Hochdruckbrücke über Mitteleuropa etabliert sich in der Regel dann, wenn von einem Trog ein Tief ins Mittelmeer abtropft. Fazit: Der Altweibersommer fällt immer häufiger ins Wasser, September und vor allem Oktober werden niederschlagsreicher. Hingegen wird der November durch seine häufigeren Föhnlagen auf Kosten von Westlagen auf der Alpennordseite immer trockener. Andersrum wird der November auf der Alpensüdseite tendenziell nasser, wobei einzelne Jahre (2000, 2002, 2014 und 2019) mit Extremabweichungen von drei- bis fünffachen Niederschlagsmengen zur Norm zu Buche schlagen. Trockene November kommen auf der Alpensüdseite zwar immer noch vor, aber seltener (zuletzt nur 2015 und 2020, während in den 1980er gleich fünf November mit Niederschlagsmengen mit weniger als 50 % vorkamen).
Bei der Entwicklung der Grosswetterlagen fällt auch auf, dass hauptsächlich zyklonale Lagen zu- und antizyklonale Lagen abnehmen:
In den 1980er Jahren war das Verhältnis von antizyklonalen zu zyklonalen Lagen noch fast ausgeglichen, danach ging die Schere auf, was mit dem Trend zu mehr Niederschlägen im Herbst einher geht. Der starke Rückgang zonaler Lagen wird hier deutlich sichtbar, während gemischte und meridionale Lagen keinen festen Trend aufweisen: Sie wechseln sich stetig ab.
Etwas mehr Licht in die Sache kommt dann, wenn man sich innerhalb der Zirkulationsformen die Entwicklung der Grosswettertypen genauer anschaut:
Die Abnahme der Westlagen = zyklonale Zirkulationsform ist hier noch augenfälliger. Die Häufung meridionaler Lagen (Nord, Ost, Süd) in den 1990er Jahren auf Kosten gemischter Lagen (Nordwest, Südwest, Hoch) wird in den 2000er Jahren wieder rückgängig gemacht mit Ausnahme der Südlagen, die ihr hohes Niveau halten konnten. Der neue Herbst ist also zunehmend geprägt von blockierenden Hochs über Osteuropa und Trögen über West- und Mitteleuropa, von denen Tiefs in den Mittelmeerraum abtropfen und der Alpensüdseite starke Niederschläge bringen, während auf der Alpennordseite Föhn herrscht. Dieser Trend ist eindeutiger, je später im Herbst.
Grundlagen:
Katalog der Großwetterlagen Europas (1881-2009) nach Paul Hess und Helmut Brezowsky
Anteile der Grosswetterlagen aufgeschlüsselt nach Monat pro Jahrzehnt seit 1981
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