Mit dem Übergang in ein neues Jahrzehnt tritt auch eine neue Klimareferenzperiode auf den Plan. Dass die Temperatur im Mittel der Jahre 1991-2020 gegenüber der alten Klimanorm 1961-1990 gestiegen ist, kann leicht belegt werden. So stieg die Temperatur im Flächenmittel Deutschlands über das ganze Jahr gesehen um 1.06 Grad. Ist das Wetter einfach wärmer geworden oder haben sich auch die Wetterlagen verändert? Wir gehen dieser Frage im Detail nach und betrachten dabei jede Jahreszeit aufgrund der Komplexität gesondert in einem separaten Beitrag. Teil 2: der Frühling, umfassend die Monate März, April und Mai.
Der Frühling hat sich in den letzten 30 Jahren stärker als das Jahresmittel erwärmt, nämlich um 1.25 Grad. Dabei entfällt der Löwenanteil auf den April, der mit einem Plus von 1.60 Grad die stärkste Erwärmung aller Monate des Jahres aufweist. Der März mit +1.14 Grad und der Mai mit +0.98 Grad liegen hingegen ziemlich genau im Erwärmungstrend des Gesamtjahres. Damit einher geht eine durchschnittliche Vorverschiebung der Vegetationsentwicklung um ungefähr zwei Wochen. Die Volatilität unter den Jahren ist allerdings gross. Märzwinter treten zwar seltener auf, haben aber immer noch eine gewisse Schärfe, wie die Exemplare 2018 und vor allem 2013 gezeigt haben. Noch in den 1980er-Jahren waren sie allerdings eher die Regel als die Ausnahme. Zählte man im letzten Jahrhundert den März gefühlt noch ganz klar zum Winter (nicht zuletzt auch wegen des astronomischen Frühlingsbeginns am 20./21. März), ist er heute schon klarer ein Frühlingsmonat mit dem früher typischen Aprilwetter. Der April wiederum ist der neue Wonnemonat geworden. Und der Mai? Der ist heute ein überaus launischer Geselle, kann aber vor allem in der zweiten Monatshälfte immer häufiger mit hochsommerlichen Temperaturen aufwarten.
Mit der Klassifizierung von Zirkulationsformen (ZF), Grosswettertypen (GWT) und Grosswetterlagen (GWL) haben wir ein praktisches Instrument, um den Auswirkungen der globalen Erwärmung auf die Witterung in Europa detailliert auf den Grund zu gehen. Seit 2012 führen wir kontinuierlich einen Wetterlagenkalender auf unserer Partnerseite orniwetter.info, die älteren Daten haben wir vom DWD bzw. dem PIK Potsdam übernommen. Unser Augenmerk richtet sich schwerpunktmässig auf die Entwicklung der letzten 20 Jahre gegenüber früheren Mittelwerten.
Als erstes betrachten wir die Veränderung der Grosswettertypen der letzten 20 Jahre zum Mittel seit 1881:
Aufgrund der stark unterschiedlichen Trends in den einzelnen Monaten sind diese zusätzlich zum gesamtjahreszeitlichen Trend separat dargestellt. Über den gesamten Frühling (schwarz) gesehen haben Hochdrucklagen am stärksten zugenommen, gefolgt von Südwest- und Südlagen. Die Zunahme von Hochdrucklagen beschränkt sich allerdings nur auf März und April, jener der Südwest- und Südlagen fast ausschliesslich auf April und Mai. Ostlagen haben in allen Monaten abgenommen. Stark unterschiedlich ist die Entwicklung bei den Westlagen: Sie nahmen im März zu, im April hingegen stark und im Mai leicht ab. Das unterstreicht den Trend, den wir bei der Auswertung des Winters gesehen haben: Die Winterzirkulation mit ausgeprägter Westdrift (nicht gleichzusetzen mit winterlichen Temperaturen!) verschiebt sich immer weiter nach hinten, im Gleichschritt mit der verzögerten Ausdehnung des Arktis-Eises. Das wird auch durch die Tatsache unterstützt, dass in den letzten 20 Jahren 60 % der Tage mit Westlagen in der ersten Märzhälfte zu finden sind, 2019 und 2020 wurden sogar die gesamten ersten Märzhälften (18 bzw. 13 Tage) durch Westlagen eingenommen. Nicht in die Irre führen lassen sollte man sich durch die deutliche Abnahme von Nordlagen im Mai: Dass Kälteeinbrüche (im Volksglauben “Eisheilige” genannt) nicht mehr vorkommen, wäre ein Trugschluss. Zwar gingen Nordlagen im Mai um knapp fünf Prozentpunkte zurück, weisen aber immer noch einen Anteil von 16.45 % auf, was im Schnitt fünf Tagen entspricht (die allerdings an kein bestimmtes Datum gebunden sind, sie treten zufällig irgendwann im Mai auf). Im April sind es übrigens immer noch 22.5 % Nordlagen, was die Gefahr von Frostschäden bei immer früherer Vegetationsentwicklung verdeutlicht. Der Austausch der Luftmassen zwischen Nord und Süd durch meridionale Lagen im Frühling ist ein Naturgesetz, das auch durch eine allmähliche Erwärmung des Klimas nicht ausser Kraft gesetzt wird. Gehen wir noch etwas tiefer ins Detail und schauen uns für denselben Zeitraum die Veränderung der Grosswetterlagen an:
Fast schon verrückt mutet an, dass die beiden Grosswetterlagen BM und HM, die dem am stärksten gewachsenen Grosswettertyp “Hoch” zugehören, an den extremen Polen der Entwicklung stehen. Das kugelrunde Hoch über Mitteleuropa (HM) hat am stärksten eingebüsst, während die zonal ausgerichtete Hochdruckbrücke (BM) am stärksten zulegen konnte. Der Trend aus dem Winter, dass Troglagen (über Westeuropa = TRW, über Mitteleuropa = TRM) zunehmen, setzt sich auch im Frühling fort. Als Folge solcher Tröge tropfen gerne Tiefs zum Mittelmeer ab und dahinter schliesst sich über Mitteleuropa eine Hochdruckbrücke zwischen dem Trogresiduum über Nordeuropa und dem Mittelmeertief, womit der Kreis geschlossen wäre: Eine Zunahme von Hochdruckbrücken als Folge von mehr Troglagen ist nur logisch. In die gleiche Kategorie gehört die Zunahme von Südost zyklonal (SEZ): Meist geht diese Lage aus einem Trog Westeuropa hervor, nur dass das Cut-Off-Tief nicht zum Mittelmeer weiterzieht, sondern im Bereich Spanien-Südfrankreich-Westalpen liegen bleibt. Ebenfalls ein Trend aus dem Winter setzt sich hier fort, wenn auch etwas weniger deutlich: Hochs über Nordeuropa (= Ostlagen) nehmen ab, während Hochs über dem Ostatlantik (HB, NWA) zunehmen.
Über das Ganze gesehen betreffen die Veränderungen nur Details. Im nordhemisphärischen Kontext sind die Verhältnisse im Frühling über die letzten 40 Jahre recht stabil geblieben:
Meridionale Lagen, die im Frühling ihr statistisches Maximum im Jahresverlauf aufweisen, bleiben mit Abstand die häufigste Zirkulationsform. Die Schwankungen zwischen den Jahrzehnten bleiben innerhalb von 5 %, das ist verglichen mit jenen im Winter, die teils über 10 % gehen, sehr wenig. Schon interessanter sind die Verschiebungen innerhalb der Zirkulationsformen:
Hier wird klar, dass die weiter oben erwähnte Zunahme von Hochdrucklagen vor allem auf einen Höhenflug im ersten Jahrzehnt der 2000er zurückzuführen ist, in neuester Zeit haben sie wieder deutlich abgenommen. Südlagen hatten eine auffällige Häufung in den 1980er-Jahren (vor allem in den Monaten April und Mai), mittlerweile sind sie wieder auf dem Durchschnittsniveau des gesamten vergangenen Jahrhunderts angekommen. Spannend ist die auffällige Parallelentwicklung der GWT-Paare West/Nord und Nordwest/Ost: Das sieht auf den ersten Blick aus, als würde die ganze Strömung um jeweils 45° hin- und hergedreht. Also immer dann, wenn West- und Nordlagen abnehmen, nehmen Nordwest- und Ostlagen zu, – und umgekehrt. Ob das Zufall ist oder ob da zeitliche und räumliche Zusammenhänge bestehen, müsste man mit einer noch detaillierteren Auswertung auf Monatsebene ausforschen. Wie so oft stellen sich also mit einem Erkenntnisgewinn neue spannende Fragen. Vielleicht ergibt sich ja mit dem Ausfall des operativen Geschäfts als Folge der Corona-Massnahmen die Chance, mehr Zeit dafür zu investieren. Stellt sich dann nur die Frage, ob man mit privater Forschung und Blogschreiben für ein Nischenpublikum über die Runden kommen kann… Jedenfalls sei an dieser Stelle mal ganz herzlich all jenen gedankt, die mit ihren freiwilligen Beiträgen dieses Projekt mittragen.
Grundlagen:
Katalog der Großwetterlagen Europas (1881-2009) nach Paul Hess und Helmut Brezowsky
Anteile der Grosswetterlagen aufgeschlüsselt nach Monat pro Jahrzehnt seit 1981
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