Mit dem Übergang in ein neues Jahrzehnt tritt auch eine neue Klimareferenzperiode auf den Plan. Dass die Temperatur im Mittel der Jahre 1991-2020 gegenüber der alten Klimanorm 1961-1990 gestiegen ist, kann leicht belegt werden. So stieg die Temperatur im Flächenmittel Deutschlands über das ganze Jahr gesehen um 1.06 Grad. Sind einfach die Luftmassen wärmer geworden oder haben sich auch die Häufigkeiten von Wetterlagen verändert? Im abschliessenden Teil 5 der Serie fassen wir die Statistiken des Gesamtjahres zusammen.
Mit der Klassifizierung von Zirkulationsformen (ZF), Grosswettertypen (GWT) und Grosswetterlagen (GWL) haben wir ein praktisches Instrument, um den Auswirkungen der globalen Erwärmung auf die Witterung in Europa detailliert auf den Grund zu gehen. Seit 2012 führen wir kontinuierlich einen Wetterlagenkalender auf unserer Partnerseite orniwetter.info, die älteren Daten haben wir vom DWD bzw. dem PIK Potsdam übernommen. Unser Augenmerk richtet sich schwerpunktmässig auf die Entwicklung der letzten 20 Jahre gegenüber früheren Mittelwerten.
Obiges Diagramm soll einen ersten Überblick über die Häufigkeit der Zirkulationsformen und Grosswettertypen verschaffen, aufgeschlüsselt auf die einzelnen Monate und das Gesamtjahr. Unten befinden sich die Westlagen (= zonale Zirkulationsform), oben die meridionalen Lagen Süd, Ost und Nord, in der Mitte die gemischte Zirkulationsform bestehend aus Nordwest, Südwest sowie Hoch- und Tiefdrucklagen in Mitteleuropa. Nach wie vor treten Westlagen am häufigsten in den Wintermonaten auf, wobei sie im Dezember, der bisher mit 34.22 % (1881-2008) einsame Spitze war, deutlich nachgelassen haben, hingegen haben Februar und März kräftig zugelegt. Grob gesagt hat sich die winterliche zonale Zirkulation um etwa einen halben Monat nach hinten verschoben. Ein zweites statistisches Maximum der Westlagen ist weiterhin im Hochsommer zu sehen, wenn auch nur noch im August und ebenfalls mit deutlichem Verlust gegenüber dem Mittel des vorigen Jahrhunderts. In den Übergangsjahreszeiten treten Westlagen am seltensten auf. Die meridionale Zirkulationsform hat im Frühling ihr Maximum, die gemischte ZF im Herbst. Besonders auffällig ist die Veränderung im April, wo Westlagen beinahe zu einer Rarität geworden sind, stattdessen Hochdrucklagen extrem zugenommen haben. Im Zeitraum 1881-2008 hatten Hochdrucklagen im April noch ihr Minimum im Jahresverlauf, jetzt liegt der April bei den Hochdrucklagen auf Rang 2 nur knapp hinter dem März. Es gibt bei den einzelnen Grosswetterlagen noch viele interessante Details bezüglich Veränderungen in den letzten zwei Jahrzehnten, die den Rahmen dieses Beitrags bei weitem sprengen würden. Wir werden darauf eingehen, indem wir für alle GWL ein eigenes Porträt mit vielen interessanten Statistiken erstellen, in der Reihenfolge ihrer Häufigkeit. Die Arbeit wird uns also auch im Jahr 2022 nicht ausgehen…
Doch konzentrieren wir uns jetzt auf die Veränderungen in der Gesamtjahres-Statistik, angefangen bei den Grosswettertypen:
Die in allen Jahreszeiten überdurchschnittlich warme Luftmassen liefernden GWT Südwest und Süd haben am stärksten zugenommen. Dies dürfte die Hauptursache dafür sein, dass in Mitteleuropa die Erwärmung stärker voranschreitet als im globalen Mittel, obwohl wir mit dem Atlantik eine Wetterküche haben, die träger auf die Erwärmung reagiert als die Landmasse. Da Ostlagen vor allem im Winter und im März stark abgenommen haben, entfällt zusätzlich ein wichtiger Kältelieferant immer häufiger. Auch die These, dass durch die stärkere Erwärmung der Arktis und damit einem abnehmenden Temperaturgradienten gegenüber den Subtropen Westlagen abnehmen, zeigt sich hier signifikant. Der Jetstram schlingert häufiger, weshalb Südwest- und Nordwestlagen zunehmen. Brechen wir die Veränderung noch auf die Grosswetterlagen herunter, tun sich weitere Erkenntnisse auf:
Nebst Südwest zyklonal (SWZ) haben die beiden Troglagen (West- und Mitteleuropa, TRW und TRM) am stärksten zugelegt. In deren Gefolge logischerweise auch die Hochdruckbrücke Mitteleuropa (BM), denn diese bildet sich bevorzugt hinter einem Tief, das von Trögen ins Mittelmeer abtropft. Dieser Anstieg von BM kann zu einem grossen Teil, wenn auch nicht vollständig, den starken Verlust von Hoch Mitteleuropa (HM) ausgleichen. Grob vereinfacht kann man feststellen, dass ein wesentlicher Anteil Westlagen zu Südwestlagen geworden ist, sowohl bei den zyklonalen wie bei den antizyklonalen Varianten. Aber nicht nur, denn die Südwestlagen haben stärker zugelegt als die Westlagen abgenommen haben. Der Rest mit Veränderungen unterhalb eines Prozentpunkts kann man wahrscheinlich unter statistischem Rauschen verbuchen.
Schauen wir uns noch die Entwicklungen pro Jahrzehnt der letzten 40 Jahre an:
Der Anstieg von Südlagen erfolgt kontinuierlich, jener der Südwest- und Nordwestlagen seit den 90er Jahren ebenfalls und verstärkt. Bei diesen drei Grosswettertypen kann man also davon ausgehen, dass der Trend signifikant mit der Klimaerwärmung zusammenhängt. West hatte in den 80er-Jahren einen Höhepunkt, der in den 90ern auf das Jahrhundertmittel zurückkorrigiert wurde. Nach der Jahrtausendwende ist der Rückgang aber so deutlich, dass man kaum mehr von einem Zufall sprechen kann. Die GWT Nord, Ost und Hoch weisen pro Jahrzehnt Schwankungen auf, die keine Trendaussage erlauben. Man darf auf jeden Fall gespannt sein, wie sich die Sache im laufenden Jahrzehnt weiter entwickelt.
Wer sich näher mit den Entwicklungen der Jahreszeiten und einzelner Monate befassen möchte, dem seien die folgenden Beiträge empfohlen: Winter, Frühling, Sommer, Herbst.
Grundlagen:
Katalog der Großwetterlagen Europas (1881-2009) nach Paul Hess und Helmut Brezowsky
Statistik der Grosswetterlagen aufgeschlüsselt nach Monat und Gesamtjahr im Zeitraum 2001-2020
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