Bereits vier Wochen nach dem Gordon Bennett Race darf ich die Fans des Ballonsports und andere Wetterverrückte zum nächsten Abenteuer einladen: Willkommen zur Berichterstattung zur 25. America’s Challenge! Dieses Gasballon-Langdistanzrennen findet im Rahmen der alljährlich in Albuquerque (New Mexico) durchgeführten Balloon Fiesta statt. Es ist mir eine besondere Ehre, erstmals auch an diesem Rennen ein Ballon-Team meteorologisch betreuen zu dürfen – auch für mich eine besondere Challenge!
Der besondere Reiz dieses Rennens liegt im extrem weiten Areal, das die gesamte USA und Kanada umfasst. Anders als bei Langdistanz-Rennen in Europa bestimmen hier in den überwiegend nördlich bis östlich verlaufenden Routen nicht politische Grenzen das Ende eines Rennens, sondern einzig und allein der Kontinentalrand, und der ist sehr weit weg. Abgesehen von den praktisch unerreichbaren Gebieten in der Arktis (theoretisch könnte man auf dem Kanadischen Archipel landen, das wären bis zu 5500 Kilometer vom Startplatz entfernt) sind folgende Distanzen möglich:
– nach Südosten: 1366 km zur texanisch-mexikanischen Grenze am Golf; 1783 km am äussersten Punkt des Mississippi-Deltas; 2750 km bis zur Südostküste Floridas
– nach Osten: 2817 km zu den Hatteras Islands in North Carolina; 3093 km bis zur östlichsten Spitze von Long Island, New York
– nach Nordosten: 2890 km bis zur Hudson Bay; 4070 km bis Nova Scottia; 4618 km bis St. John’s auf Neufundland
– nur schon auf dem direktesten Weg nach Norden sind es bis zur kanadischen Grenze 1533 km. Zum Vergleich: Das diesjährige Gordon Bennett Race wurde mit einer Distanz von 1572 km gewonnen. Die längste je an einer America’s Challenge zurückgelegte Strecke wurde 2017 vom Schweizer Team Nicolas Tièche / Laurent Sciboz mit einer Landung im 3670 km entfernten Labrador City realisiert, was auch heute noch gültiger Weltrekord ist. Sie benötigten dazu gerade mal etwas mehr als 59 Stunden (!). Den zweiten Rang erreichte damals mit 3526 km das Team Zapart/Cayton, das auch für das diesjährige Rennen angemeldet ist.
Womit wir bei den Teams wären: Anders als beim Gordon Bennett Race, das eine Weltmeisterschaft ist und somit ein Wettbewerb zwischen Nationen, sind an der America’s Challenge binationale Teams erlaubt. So hat sich unser Schweizer Pilot Balthasar Wicki den frisch gebackenen Weltmeister Benni Eimers als Co-Pilot geschnappt, der somit gegen den anderen frischgebackenen Weltmeister, seinen Vater Willi Eimers antritt, der ebenfalls am Rennen teilnimmt. Nebst den Lokalmatadoren sind auch die anderen europäischen Teams grösstenteils erfahrene Füchse. Es tut der Spannung und dem Renommee also keinen Abbruch, dass nur acht Teams an den Start gehen.
Alle wichtigen Infos zum Rennen und das Live-Tracking findet man auf https://balloonfiesta.com/Americas-Challenge
Das Team auf Facebook: https://www.facebook.com/SUIAC22
Das Verfolgerteam am Boden berichtet hier: https://woidl.wordpress.com/
Übrigens: Unserem Team wurde der erste Startplatz zugelost – also auch im Westen nichts Neues… Wir tragen es mit Würde 😆
Wenden wir uns dem Wetter zu, dem eigentlichen Thema dieses Blogs. Glücklicherweise sind die physikalischen Gesetze auf der ganzen Welt gültig, somit wird das Wetter in Nordamerika nicht neu erfunden: Sogar die Hochs und Tiefs drehen gleich herum wie jene in Europa. Die Herausforderung für europäische Meteorologen liegt einerseits in der speziellen Topografie: In Europa stellt sich kein grösseres Gebirge dem nordhemisphärischen Westwindgürtel quer in den Weg. Was die Rocky Mountains mit der Windströmung so alles anstellen, darauf werde ich wahrscheinlich im Lauf der Berichterstattung noch Gelegenheit haben, näher einzugehen. Andererseits in der üppigen Auswahl an mir bisher weitgehend unbekannten Wettermodellen. Da gilt es noch herauszufinden, welche für Wind- und Niederschlagsmodellierung die zuverlässigsten sind – das muss übrigens nicht zwingend dasselbe Modell in sich vereinen. Herausfordernd sind die Modellkarten amerikanischer Anbieter mit nicht-metrischen Einheiten. Dass die Luftfahrt weltweit an den historisch bedingten Füssen und Knöpfen festhält: geschenkt! Mit einfachen Faustregeln kann man diese Einheiten grob umrechnen (Fuss geteilt durch 3 = Meter; Knoten mal zwei minus 10 % = km/h). Definitiv hört der Spass bei mir aber bei Grad Fahrenheit und inches (für den Luftdruck) auf. (Off Topic: Wie lange reichen 66 Kubikfuss weiss-nicht-mit-wie-viel-Pfund pro Quadratzoll-in-Flaschen-verdichteter Sauerstoff für zwei Personen? Wir haben zum Glück einen Mathematiker und Physikprofessor im Team, der sich um solche Fragen kümmert…) Ein grosser Vorteil ist hingegen das Nowcasting: Die Wetterdaten und Radarprodukte stammen für die gesamte USA und Kanada jeweils aus einer Hand und sind alle frei zugänglich, was im politischen Flickenteppich Europa wahrscheinlich noch für lange Zeit ein Wunschtraum bleibt.
Verschaffen wir uns zunächst einen Überblick zur Ausgangslage heute:
Auf den ersten Blick sehen wir, dass die Polarfront mit dem darüberliegenden Jet der Jahreszeit gemäss über der Nordhälfte Kanadas liegt. Von der Polarfront abgekoppelt hat sich ein riesiger Kaltlufttropfen, der den gesamten Nordosten der USA in Beschlag nimmt und uns mit seiner Labilität in den nächsten Tagen auf Trab halten wird. Zwischen ihm und dem Hochdruckrücken über dem Mittleren Westen sind kräftige Südwinde zu finden, die durch den Leitplankeneffekt an der Ostseite der Rocky Mountains zusätzlich verstärkt werden. Es ist kein Geheimnis, dass dies der Schlüssel sein wird, um das Rennen zu gewinnen. An der Ostküste pflügt sich der Rest des Hurricanes „Ian“ nach Norden. Er wird auf unser Rennen aber sehr wahrscheinlich keinen Einfluss nehmen, denn er wird in den nächsten Tagen von der Polarfront in Empfang genommen und dann zügig auf den Atlantik spediert.
Eine weitere Spezialität dieses Rennens ist der hoch gelegene Startort Albuquerque auf 1540 m über Meer gelegen, was ziemlich genau der durchschnittlichen 850-hPa-Fläche entspricht. Diese liegt also am Boden auf und wird deshalb von hoch auflösenden Modellen nicht dargestellt und verfälscht auch die Trajektorienberechnungen, die erst ab 2000 Meter aufwärts brauchbar werden. Zudem haben wir es heute mit einer sehr warmen Luftmasse zu tun:
26 Grad sind eine Ansage – so hoch liegt der Rekord in Mitteleuropa im Hochsommer. Die Luft am Startort ist also nicht nur der Höhe wegen dünn, sondern auch wegen der Wärme, das Gas im Ballon hat somit weniger Auftrieb. Man muss also mehr Ballast abwerfen, um an Höhe zu gewinnen, als wir dies von Rennen in Europa gewohnt sind. Nun haben wir aber das Problem, dass wir nach Osten in die starke Südströmung kommen müssen (und um gleichzeitig Distanz zu den Gewittern zu halten). Genau im Osten von Albuquerque erstreckt sich aber ein bis zu 3255 Meter hoher Gebirgszug. Will man nicht zu viel Ballast gleich am Anfang verbraten, muss man den irgendwie umschiffen – und dabei aufpassen nicht nach Norden in die Rockies hineinzugeraten, denn dort werden die Berge noch höher, die Gewittergefahr noch grösser und damit die Aufgabe nicht leichter. Unsere Hauptsorge gilt aber vorerst dem Wetter tagsüber zum Auffüllen der Ballone und bis zum Start. Das Startzeitfenster ist 18 bis 24 Uhr Lokalzeit (Mountain Daylight Time, in der Folge nur noch MDT genannt) und wurde schon mal wegen der heiklen Wetterbedingungen auf den spätestmöglichen Zeitpunkt festgesetzt. Ob es gelingt, dahinter setze ich noch ein dickes Fragezeichen, wenn ich mir die modellierten Niederschläge (wie sich gestern gezeigt hat, sind diese durchaus gewittrig) ansehe:
Dargestellt ist hier die 6-stündige Niederschlagsmenge von Mittag bis abends 18 Uhr MDT (= UTC minus 6 Stunden), in den darauf folgenden 6 Stunden werden die Signale nur geringfügig weniger. Andere Modelle rechnen wesentlich moderater, allerdings hat sich gestern gezeigt, dass das hier gezeigte Modell bezüglich Stärke und Ausdehnung der Gewitter am besten lag. Auch wenn die Schauer und Gewitter Albuquerque nicht direkt betreffen sollten, so besteht bei solchen Lagen doch auch immer ein Risiko für stärkere Böen, weshalb der Start auf kurz vor Mitternacht und das Auffüllen der Ballone in die Abendstunden verlegt wurde. Auf der nächsten Karte ist der Wind in rund 3000 Meter Seehöhe zum vermutlichen Startzeitpunkt dargestellt:
Es ist klar, wohin man muss, will man möglichst rasch vorankommen. Mit den braunen Dreiecken habe ich die Gebirgszüge dargestellt. Rot ist die Linie, die man durch das Tal des Rio Grande nimmt und dann über einen etwa 2500 m hohen Pass in die Plains rüber wechseln kann. Allerdings kommt man da wegen den Gewittern in Teufels Küche. Ideal wäre die grüne Linie. Da den entsprechenden Westwind zu finden, ist nun meine Aufgabe. Und wenn’s den nur in grosser Höhe gibt? Fortsetzung folgt…
Update Samstagabend 20:00 MESZ
Erst Mittag in Albuquerque und rundherum gewittert es bereits. Ist alles stark an die Orographie gebunden, aber dass es früher losgeht als von den meisten Modellen berechnet, sollte zu denken geben:
Live: https://map.blitzortung.org/#6.42/35.775/-106.688
Radarkomposit USA: https://radar.weather.gov/#/
Das Warten auf die Nachricht, ob und wann heute gestartet wird, ist zermürbend. Man weiss nicht, wann man essen und schlafen soll – nun ja, der Rhytmus ist ohnehin bereits durcheinander. Derweil kämpfen die Teams vor Ort mit ganz anderen Problemen. Wem „nur“ ein Koffer bei der Einreise abhanden gekommen ist, darf sich noch glücklich schätzen. Andere warten noch auf ihre Fracht mit dem Ballon oder gar auf den Co-Piloten, der von den Grenzbehörden der USA nicht reingelassen wird.
Soeben (20:40 MESZ) Nachricht erhalten: Start wird um 24 Stunden verschoben!
Weitere Neuigkeit: Kanada ist nun doch nicht für das Rennen geöffnet wegen Einreisebestimmungen und anderem Kram. Wäre wohl zu viel verlangt gewesen, dies vorher zu klären… Nun also erst mal das Adrenalin runterfahren, Schlaf suchen und dann schauen wir uns morgen die Geschichte von neuem an.
Update Sonntagmorgen 10:45 MESZ
Leider gehört es auch zu den Aufgaben einer Meteorologin, die Spassbremse spielen zu müssen. Nach dem gestrigen Entscheid, nicht zu starten (der durchaus nachvollziehbar und richtig war!), stand für mich fest: Ausser Spesen nichts gewesen. Bereits in einem Vorgespräch mit unserem Piloten vor einigen Tagen sagte ich: Der beste Tag für den Start ist der Samstag, danach verschlechtert sich das Wetter zusehends. Bis heute gibt es für mich keinen Grund, von dieser Meinung abzuweichen. Schauen wir uns die Niederschlagsmodellierung für heute Nachmittag MDT desjenigen hoch aufgelösten Modells an, das bisher den besten Riecher hatte:
Dieselbe Prozedur wie gestern, nur noch etwas intensiver. Gewittergefahr rund um Albuquerque mit entsprechenden Böen bis 60 km/h, was ein Aufrüsten der Ballone verunmöglicht:
Dargestellt sind hier die Böen am Nachmittag 17:00 MDT, orange bis rot = 50-60 km/h. Und dabei handelt es sich noch um ein Modell, das die konvektive Aktivität in den letzten zwei Tagen eher unterschätzt hatte. Ich will auch nicht lange um den Brei herumreden, die Aussichten für Montag sehen nicht besser aus:
Am Boden eine Tiefdruckrinne, die extrem warme und feuchte Luft aus dem Golf von Kalifornien ansaugt, darüber der Rand des Kaltlufttropfens, das ist einfach eine ungute Mischung für Gasballonfahrten. Die Differenz zwischen 850 und 500 hPa beträgt etwa 31 Grad, das ist hochgradig labil und so wahnsinnig tief steht die Sonne auf 35 °N Anfang Oktober auch noch nicht: Das sind Verhältnisse wie bei einer Südwest- bis Südlage (Trog Westeuropa) bei uns im Hochsommer. Der einzige Unterschied besteht darin, dass dort die Halbwüste nicht noch mit Bodenfeuchte zusätzliches Futter für die Gewitter bereitstellt.
Folgende Animation zeigt die Luftmassenprognose und die Strömung in rund 1500 m über Meereshöhe der nächsten 48 Stunden. Die Bundesländergrenzen sind schlecht zu erkennen, daher kurz eine Orientierungshilfe: In der linken unteren Ecke befindet sich der Golf von Kalifornien, am Südrand der Karte ist also noch der Norden Mexikos zu sehen. Geht man am linken Bildrand nach Norden, ist der erste erkennbare Staat Arizona, derjenige östlich davon New Mexico. Schön zu erkennen die trockenere Luft weiter östlich unter dem Hochdruckgebiet der Great Plains. Kurz vor dem oberen Bildrand befindet sich die Grenze zu Kanada:
Man sieht also: Der Nachschub feucht-warmer und gewitteranfälliger Luftmassen reisst nicht ab. Mich würde es daher sehr überraschen, wenn dieses Rennen überhaupt noch gestartet werden kann (der vorgesehene letzte Starttermin wäre MontagDienstagabend MDT, also bei uns DienstagMittwochmorgen, wenn ich richtig informiert bin). Wir bleiben selbstverständlich dran und informieren hier über die weiteren Entscheidungen der Rennleitung. Das nächste Pilot-Briefing ist für heute Abend 20:00 MESZ angesetzt.
Nachtrag Sonntagnachmittag 14:00 MESZ: Wir haben das mit möglichen Startterminen noch genauer abgeklärt: Ein Start mit (verkürztem) Rennen wäre theoretisch bis Mittwoch 23:59 MDT möglich. Theoretisch deshalb, weil sich die Wetterlage bis dahin nicht grossartig ändert gemäss den Modellen, die bis zu diesem Zeitraum rechnen. Luftmasse bleibt dieselbe, allenfalls wird der Einfluss des Kaltlufttropfens im Norden etwas schwächer. Etwas weniger Gewittergefahr, eher noch schauerartig verstärkter Regen, aber eben nach wie vor auch mit böigem Wind verbunden.
Kurz-Update Sonntagabend 18:00 MESZ:
Das Pilot-Briefing von heute wurde auf 15:00 MDT verschoben, neue Infos gibt es hier also wahrscheinlich erst um Mitternacht MESZ. Was das bedeutet, kann man sich in etwa ausmalen, die treue Leserschaft wird ebenso wenig überrascht sein wie ich 😉
Update Sonntagabend 24:00 MESZ
Wie erwartet: kein Start heute. Folgende Grafik auf Basis des Niederschlagsradars von 15:45 MDT zeigt die Ausweglosigkeit:
Da sich Hoch und Tief kaum von der Stelle bewegen, verändern sich auch die Strömungen nicht. Konvergenz genau in unserer Startschneise bzw. Luftmassengrenze leicht östlich, zu erkennen am Niederschlagsband, das sich nach Nordosten zieht. Die rückseitige Kaltluft des Tiefs wird nördlich von New Mexico durchschwenken, Albuquerque verbleibt die ganze Woche in der schwül-warmen und gewitteranfälligen Luft.
Guten Morgen. Wir beginnen den Tag mit einem kleinen Rückblick: Blitzortung der letzten 24 Stunden
Was sehen wir hier? Die Blitzdichte ist dort am höchsten, wo Berge die Hebung von Luftmassen verstärken, also über den Rocky Mountains. Die hellgelben Punkte sind die jüngsten Blitze, dort gewittert es also auch jetzt in der Nacht weiter. Im Norden (Grob im Quadrat Montana-Wyoming-South-/North-Dakota) befindet sich der Kaltlufttropfen in den höheren Luftschichten. Dort ist die Luft so labil, dass es die Hebung durch Gebirge nicht braucht, um Gewitter auszulösen – sie entstehen also auch entlang der Luftmassengrenze über den Plains. Wir sind froh, dass unsere Leute am Samstagabend nicht gestartet sind und in diese Zone hineingefahren wären. Für unser Rennen zwar nicht relavant, aber für die interessierte Leserschaft: Die Gewitter über dem Meer sind durch tropische Stürme verursacht: Hurricane „Orlene“ an der Pazifikküste Mexikos und zerstreute Reste des Ex-Hurricanes „Ian“ über dem Atlantik.
Nun wenden wir uns den kurzfristigen Aussichten zu, also Tag 3 von 5 möglichen Starts, dem Montag. Wir nehmen wieder das in den letzten Tagen so zuverlässige Modell, zeigen aber diesmal der Einfachheit halber gleich die 12-Stunden-Summe von Mittag bis Mitternacht MDT:
Albuquerque mitten in der Suppe, gut erkennbar die bereits in einer Grafik weiter oben gezeigte Konvergenzzone östlich des Startplatzes, da ändert sich also heute gegenüber gestern nicht viel. Auch wenn Albuquerque nicht direkt getroffen wird, so ist auch heute immer wieder mit starken Böen aus den Gewittern in der Umgebung zu rechnen. Zudem kann man nicht gänzlich ausschliessen, dass ein sich von den Bergen im Südwesten lösendes Gewitter doch mal länger überlebt. Auch wenn die Rennleitung natürlich Optimismus vesprühen muss, um die Spannung aufrecht zu erhalten: Meine Aufgabe ist eine andere, und das heisst leider auch reinen Wein einschenken zu müssen. Ich sehe keine Option, die Ballone heute aufzurüsten und in der nächsten Nacht zu starten. Und ich kann es gleich vorweg nehmen: Der Dienstag sieht aus heutiger Sicht auch nicht besser aus, aber um den kümmern wir uns dann morgen mit den aktuellsten Modellläufen.
Da wir inzwischen wissen, dass auch noch am Mittwoch gestartet werden kann und manche die Hoffnung hegen: Ja, es kommt etwas Bewegung in die Wetterküche – aber nicht so, wir uns das wünschen. Zuerst die Übersicht der Grosswetterlage. Entscheidend für die Labilität ist die Temperatur in der Höhe, hier gezeigt in ungefähr 5500 m:
Der Haupt-Kaltlufttropfen (ich habe ihn in der Karte mit HKLT gekennzeichnet) wird von der Frontalzone (schwarze Pfeile) eingefangen und verlagert sich so zunächst noch sehr langsam, dann zunehmend schneller nach Osten und liegt zum spätestmöglichen Startzeitpunkt am Donnerstagmorgen MESZ über Wisconsin. Gut, könnte man meinen, der behelligt uns nicht mehr. Blöd nur, dass sich vorher ein in den groben Karten kaum sichtbarer Tropfen abspaltet und nach Süden zieht (blauer Pfeil). Als Folge davon sinkt die Temperatur in der Höhe über Albuquerque von heute bis Mittwoch um etwa zwei Grad. Das alleine wäre nicht schlimm, da auch die Temperatur am Boden sinkt, und zwar sogar noch etwas mehr. Die Labilität nimmt also ab, was die Gewitterbildung ein wenig (!) dämpft. Das Problem ist allerdings, dass sich mit diesem Abtropfprozess auch ein so genanntes CutOff-Tief bildet. Man findet es in den Windkarten in 3000 Meter Höhe, der Wind dreht ja im Gegenuhrzeigersinn um das Tief:
Nein, mit einem Tief zu kuscheln – auch wenn es nur ein kleines ist – kommt selten gut. Auch wenn am Boden aus Norden etwas kühlere Luft einfliesst: Sie schiebt sich nur unter die bisher dort lagernde Warmluft und hebt diese an: Es kommt zu grossflächigeren Niederschlägen, in die immer noch Gewitter eingelagert sein können. Nun kann man sich noch an den Strohhalm klammern, dass CutOff-Tiefs oft eigensinnig agieren und eine etwas andere Zugbahn einschlagen als von den Modellen gerechnet. Also schauen wir mal, was uns die Karten morgen auftischen werden.
Das Pilot-Briefing heute soll um 22:00 MESZ stattfinden, ich informiere hier sobald die Ergebnisse vorliegen.
Kurz-Update Montagabend, 23:00 MESZ
Wie erwartet sind die Wetterbedingungen tagsüber zu ruppig, um die Ballone aufzurüsten, rund um Albuquerque sind Gewitter im Gang und der Wind ist zu böig. Es wird nun überlegt, ob man die ruhigeren Nachtstunden zum Befüllen der Ballone nutzen und zwischen 03:00 und 04:00 MDT starten kann. Ich erarbeite mir jetzt mal anhand der aktuellsten Modelle ein Bild der Lage und informiere anschliessend unsere Crew, ob ich einen Start unter diesen Bedingungen für verantwortbar halte. Mit dieser Info geht das Team dann in das definitive Pilot-Briefing, wo entschieden wird, ob diese Startoption genutzt werden soll oder nicht. Der genaue Zeitpunkt für dieses Briefing ist noch nicht festgelegt, es soll zwischen 04:00 und 07:00 MESZ stattfinden. Entweder werde ich frühmorgens telefonisch aufgeweckt, dass es jetzt losgehen soll oder ich lese später in der Mail, dass die Aufregung vergeblich war. Fragt sich nur, ob ich unter solchen Bedingungen auch tatsächlich schlafen kann. Den Piloten wird’s wohl nicht anders ergehen, was für eine verrückte Organisation…
Update Dienstagmorgen 01:00 MESZ
So präsentieren sich die Startbedingungen um 04:00 MDT:
Prognosesounding für den Startplatz für Dienstag 10z = 04:00 MDT. Die rote Linie zeigt den Temperaturverlauf mit zunehmender Höhe (Höhenskala links in Kilometer über Grund), die grüne Linie den Taupunkt. Dort, wo sich die grüne und die rote Linie berühren, ist die Luft gesättigt. Somit kann man abschätzen, wie mächtig die Wolkenschicht ist, also mindestens 2000 m, eher 2500 m. Die Basis befindet sich ziemlich genau bei 700 hPa = 3000 Meter über Meer, d.h. man hat vom Boden bis zur Wolkenbasis nur knapp 1500 m freie Sicht. Rechts sieht man die Windfiedern in den unterschiedlichen Höhen. Ganze Fieder = 10 Knoten, halbe Fieder 5 Knoten. Unterhalb der Wolken also so gut wie kein Wind. Das mit der Wolkenmächtigkeit ist auch rein zufällig über dem Startplatz, denn die Wolkenschicht ist nicht homogen:
Diese Darstellung (rotes Kreuz = Startplatz) zeigt die prognostizierte Temperatur der Wolkenoberfläche. Je kälter diese, umso höher ist die sogenannte Cloud-Top. Man erkennt rund um Albuquerque konvektive Einlagerungen. Eine Temperatur von -50 °C (rot) können wir dem Sounding oben ablesen, ergibt eine ungefähre Cloud-Top von 9000 m über Grund, -40 °C (blau) sind immer noch 8000 m. Entsprechend rechnet das Modell auch Niederschlagssignale. Bei solcher Mächtigkeit der Wolken ist mit Blitzen zu rechnen. Nun ist das nicht irgend ein Modell, das auf der Nudelsuppe dahergeschwommen ist, sondern das höchst aufgelöste und speziell für konvektive Ereignisse entwickelte Modell der NOAA. Für mich und auch für meinen Auftraggeber ist klar: Das sind viel zu gefährliche Voraussetzungen für einen Start. Selbst wenn die Konvektion übertrieben dargestellt sein sollte, so ist es völliger Irrsinn, 2000 Meter durch dichte Wolken hindurch aufsteigen zu wollen oder in der Wolkenschicht drin zu fahren, um in die schnellen Winde in 4000-5000 m zu gelangen. Diese Höhe muss man auch erreichen, um die Bergkette östlich von Albuquerque zu überwinden. Das wäre ein Blindflug und völlig gegen die Aviatik-Regeln. Für uns ist klar, dass ein Start unter diesen Bedingungen nicht zu verantworten wäre. Ganz abgesehen davon, dass die Modelle völlig unterschiedliche Windtrajektorien rechnen. Hier mal für die ersten 8 Stunden ab Start, also bis 12 Uhr Mittags MDT (Klick ins Bild öffnet grössere Ansicht):
Das amerikanische Modell NAM zeigt die schnellsten Winde nach Nordosten (pink 5500 m.ü.M., gräulich 4200 m, gelb 3000 m). Unterlegt sind die modellierten Niederschläge und die Bodenwinde 3 Stunden nach dem Start. Die nach Südosten führenden Modelle sind GFS und ICON, und laut ECMWF würde man auch in der Höhe kaum vorwärts kommen. Die Winde unterhalb der Wolkenbasis sind unprognostizierbar, meist schwach und von der Richtung her zufällig. Also auch ein Rennen unterhalb der Wolkenbasis, falls keine Gewittergefahr herrschen sollte, wäre völlig sinnbefreit. Zumal etwa zwei Stunden nach Sonnenaufgang die Suppe ohnehin aufgeköchelt wird und es mit Schauern und Gewittern spätestens dann wieder losgeht. Das Rennen könnte also höchstens 6 Stunden dauern, denn man hat in dieser kurzen Zeit keine Chance, aus der bereits mehrfach weiter oben gezeigten Konvergenzzone rauszufahren.
Mein Fazit: Rennstart in der kommenden Nacht ist eine Schnapsidee. Ich hoffe, die Rennleitung lässt sich davon abbringen. Auf diesem Kanal erfahrt ihr im Lauf des Morgens, wie diese Geschichte weitergeht – stay tuned!
Kurz-Update Dienstagmorgen 05:45 MESZ
Es schüttet und blitzt in Albuquerque
Quelle: https://radar.weather.gov
Quelle: https://map.blitzortung.org/#8.14/35.075/-106.61
Die Vernunft hat gesiegt: The briefing scheduled for Monday 8PM is canceled. No flight tonight. Next briefing is scheduled for 1400 Tuesday at Balloon Fiesta Office.
Jetzt kann ich wieder ruhiger schlafen…
Update Dienstagnachmittag 14:45 MESZ
Täglich grüsst das Murmeltier. Aussichten für heute:
Achtung, das sind inches! Also stellenweise bis zu 45 mm Regen in 12 Stunden, dazu ordentliche Blitzaktivität wieder am Nachmittag und Abend. Damit ist eigentlich schon alles gesagt. Vermutlich lässt sich die Rennleitung aber auch heute wieder etwas einfallen, um uns auf Trab und bei Laune zu halten. Andernfalls werde ich mir in der kommenden Nacht etwas aus den Fingern saugen, damit der treuen Leserschaft nicht langweilig wird 😉
Update Dienstagabend 23:00 MESZ
Wenig überraschend wird auch heute kein Start erfolgen. Die Situation ist unverändert mit vielen Schauern und Gewittern rund um den Startplatz:
Allmählich scheint auch vor Ort die Erkenntnis zu reifen, dass dies nichts mehr wird. Aber natürlich stirbt die Hoffnung immer ganz zuletzt, und das ist morgen beim Briefing um 20:00 MESZ. Werde selbst am Morgen noch mal eine Einschätzung abgeben. Bis dahin: Schlaft gut (in Europa) und geniesst trotz allem den Tag (in New Mexico).
Update Mittwochmorgen 09:30 MESZ
Kurz nach Mitternacht in Albuquerque: Es regnet verbreitet schauerartig, aber nur noch mit wenigen eingelagerten Gewittern. Die Blitzaktivität ist wie schon in den vergangenen Nächten reduziert, aber nicht gänzlich zum Erliegen gekommen. Wir erinnern uns an das weiter oben prognostizierte Höhentief. Dieses wird nun in der Bewegung der Niederschlagssignale sichtbar, Albuquerque mitten im Suppentopf:
Live: https://radar.weather.gov
Dieses System bewegt sich im Lauf des Tages kaum von der Stelle, entsprechend sieht auch die Niederschlagsprognose für Mittag bis Mitternacht MDT aus:
Man muss kein Spezialist sein um sofort zu erkennen, dass bei solchen Verhältnissen nicht ansatzweise an einen Rennstart heute Abend zu denken ist. Wir warten auf jeden Fall noch das Pilot-Briefing ab, das für 20:00 MESZ angesetzt ist, informieren an dieser Stelle und ziehen dann Bilanz – die eine oder andere interessante Erkenntnis könnte man durchaus auch in diesem Blog noch aufarbeiten. Eine erste kurze Analyse bezüglich der Gründe für die aktuelle Wetterlage kann ich aber jetzt schon anbieten:
Hier sehen wir die aktuelle Verteilung der steuernden Druckgebiete in der Höhe (dünne schwarze Linien in Dekameter, d.h. die 500-hPa Druckfläche befindet sich z.B. über Südflorida in 5850 Meter Höhe). Farbig unterlegt ist die Abweichung zur langjährigen Norm zu diesem Zeitpunkt. Rot signalisiert, dass die Druckfläche höher liegt als normal, blau tiefer als normal. Was bedeutet dies nun konkret? Der subtropische Hochdruckgürtel und die Polarfront liegen deutlich nördlicher als normal. In der eigentlichen Subtropenhochzone hingegen befinden sich entweder ehemalige tropische Systeme (ex-Hurricane Ian an der US-Ostküste) oder von der Frontalzone abgetropfte Tiefs, die nun führungslos herumirren – darunter eben auch das erwähnte CutOff nun über New Mexico. Es ist dies die amerikanische Version eines Phänomens, das wir auch in Europa seit einigen Jahren verstärkt beobachten können: Der Westwindgürtel ist aufgrund der deutlichen Erwärmung der Arktis nach Norden verschoben und zeitweise so sehr geschwächt, dass er kaum noch Einfluss auf unser Wetter nimmt. Die abgetropften Tiefs klemmen irgendwo zwischen den ebenfalls nach Norden verschobenen Subtropenhochs fest, all diese Wettersysteme bewegen sich kaum noch von der Stelle. Man hat abwechslungsweise wochenlang Hitze und Trockenheit oder Kälte und Dauerregen bis hin zu Überflutungen. Diese Phänomene kann man in der gesamten gemässigten Klimazone der Nordhemisphäre beobachten – nun ist also auch unser Gasballon-Rennen einem solchen zum Opfer gefallen…
Update Mittwochabend 21:30 MESZ
Nun ist es definitiv: The race is cancelled! Alles andere wäre auch eine faustdicke Überraschung gewesen – eigentlich schon seit Sonntagmorgen. Vielleicht kann man sich damit trösten, dass das Wetter auch in den nächsten Tagen nicht besser wird, also immerhin kein ätschbätsch am Tag danach ist eitel Sonnenschein. Nein, das Tief dort dreht und dreht sich, bis es sich auffüllt, mehr oder weniger an der Stelle. Eine zögerliche Wetterbesserung ist somit erst im Lauf der nächsten Woche zu erwarten. Die grösste Herausforderung liegt jetzt noch darin, den Ballon trocken und sauber für die lange Heimreise nach Zürich zu verpacken. Dazu wären ein paar trockene Stunden noch praktisch, vielleicht am Donnerstag im Lauf des Vormittags, bevor die labile Suppe wieder hochgekocht wird.
Die treue Leserschaft, die es bis hier mit mir ausgehalten hat, möchte ich aber nicht einfach so ziehen lassen. Eingangs, als es noch Hoffnung auf einen Start am Samstagabend gab, wurde ja der Low-Level-Jet (LLJ) am Ostrand der Rockies erwähnt, den man erwischen muss um möglichst rasch viel Strecke nach Norden zu machen und dort in die Westwinde aufzusteigen. Wenn ich mich schon so intensiv mit diesem Phänomen beschäftigt habe und dieses Wissen nun nicht in der Praxis beweisen kann, so soll doch immerhin das Publikum erfahren, was es damit auf sich hat. Dazu habe ich die Modellkarten und Prognose-Soundings vom letzten Sonntag aufbereitet (Klick ins Bild öffnet grössere Ansicht):
Hier ist der Wind in rund 1600 m Höhe zu Mittag Ortszeit dargestellt. Rechts sieht man das Hoch über Iowa, um das sich der Wind im Uhrzeigersinn dreht. Die Rockies (grau) stellen ein unüberwindbares Hindernis dar, sodass ein Leitplankeneffekt entsteht und der nach Norden umgelenkte Wind verstärkt wird. Wir kennen diesen Effekt z.B. auch am Alpennordrand bei Westwind. Rechts angefügt habe ich das Prognose-Sounding für den rot markierten Punkt in der Karte (nordwestliche Ecke von Kansas). Die rote Temperaturlinie steigt von 82 °F (= 28 °C) gleichmässig nach links oben an, d.h. die Temperatur sinkt mit der Höhe trockenadiabatisch um 1 Grad pro 100 Meter. Der Taupunkt (grüne Linie) berührt die Temperaturkurve nirgends, es ist also durch alle Höhenschichten wolkenlos. Die Windfiedern rechts zeigen, dass die stärksten Winde in 2-3 km über Boden zu finden sind, das sind 3000-4000 Meter über Seehöhe.
Ganz anders präsentiert sich die Situation in der darauf folgenden Nacht: Der Wind in rund 1600 m Höhe ist markant stärker als am Mittag, ohne dass sich das Hoch im Osten wesentlich verändert hätte. Zwischen 3 und 4.5 km über Grund ist die Luft gesättigt, das sind abgeschwemmte mittelhohe Wolken vom so oft besprochenen Kaltlufttropfen weiter westlich. Den stärksten Wind findet man nun in der untersten 1000 Meter über Boden. Diese Veränderung ist nicht zufällig an diesem Tag so (der zufällig anwesende Kaltlufttropfen über den Rockies spielt keinen wesentlichen Einfluss), sondern diesen Tagesgang findet bei dieser Wetterlage regelmässig statt. Der Wind in rund 1500 m über Meereshöhe ist jede Nacht etwa doppelt so stark wie tagsüber. Mich lassen solchen solche Dinge nicht in Ruhe: Ich kann nicht damit zufrieden sein dass ich die Existenz eines Wetterphänomens kenne, sondern möchte immer gleich wissen warum es sich so verhält. Nach etlicher Konsultation verschiedener Modellkarten und Soundings in der Region und Wetterdaten von den Bodenstationen bin ich zu der Erklärung gekommen, die ich in den folgenden Grafiken versucht habe darzustellen (natürlich stark vereinfacht, ist ja keine Dissertation 😉 ):
Die im Hochdruckgebiet grossräumig absinkende Luft (Subsidenz) drückt wie ein Deckel von oben, je nach Auskühlung der Bodenschicht bildet sich eine Inversion aus. Der Südwind wird dadurch nicht nur durch die Berge im Osten eingezwängt, sondern zusätzlich auch noch von oben gequetscht. Jeder kennt das Phänomen: Lässt man dem Wind weniger Raum, wird er beschleunigt (Düseneffekt). Tagsüber wird hingegen der Boden durch die Sonneneinstrahlung so stark erwärmt, dass er die darüber liegende Luft aufheizt. Warme Luft dehnt sich aus, wird leichter und steigt auf (Thermik). Ohne den Deckel der Inversion wird die Südströmung in die Höhe gestreckt, sie hat mehr Raum und wird besser verteilt, die Windgeschwindigkeit nimmt in allen Höhenlagen ab. Eine einzige Ausnahme gibt es: Direkt am Boden ist der Wind tagsüber stärker, weil der ruhige Kaltluftsee ausgeräumt wird und der Höhenwind bis ganz unten durchgreifen kann. Können wir alle abseits von Bergen feststellen, dass der Wind meist bei Sonnenuntergang einschläft und im Lauf des Morgens wieder anzieht. Für den Ballonfahrer bedeutet dies, dass er nachts mit 70 bis 100 km/h nach Norden vorankommen kann, wenn er nur etwa 500 m über Boden fährt. Tagsüber muss er hingegen halb so schnell etwas höher fahren, nur schon um etwas Abstand zu der in Bodennähe ruppigen Thermik zu gewinnen. Der LLJ ist übrigens auch jahreszeitlichen Schwankungen unterworfen, wie die Windrosen einer Flugplatz-Wetterstation in der Nordwestecke von Kansas zeigen:
Originalquelle und grössere Ansicht gibt es hier.
Am stärksten und häufigsten weht der LLJ im Frühling und Herbst, im Sommer ist er etwas schwächer aufgrund der kürzeren Nächte und somit auch längeren Zeitspanne mit Thermik. Im Winter verschwindet er fast ganz, dann übernehmen die kalten Fallwinde aus den Rocky Mountains (Nordwest- und in diesem lokalen Fall aufgrund der Talausrichtung auch Südwest).
Nun, ich hoffe natürlich, dass wir irgendwann die Auswirkungen des LLJ auch in der Praxis mitverfolgen dürfen – schade dass es in diesem Jahr nicht geklappt hat. Ich werde mich in ein paar Tagen noch mal mit einer persönlichen Bilanz melden, bis dahin wünsche ich allen erst mal gute Erholung und bedanke mich für die Aufmerksamkeit und den Support.
Samstag, 08.10.2022 – persönliches Fazit
Ausser Spesen nix gewesen? Keineswegs! Natürlich ist es sehr schade, dass der enorme Aufwand der Vorbereitungen nicht mit der eigentlichen Fahrt gekrönt wurde und das theoretisch erarbeitete Wissen nicht in die Praxis umgesetzt werden konnte. Für mich steht die Erkenntnis im Vordergrund, dass man sich in zwei Wochen intensiver Vorbereitung auch in bisher relativ unbekanntem Terrain meteorologisch zurechtfinden kann. Der in den letzten fünf Jahren aufgebaute internationale Wetterstations-Atlas war dabei eine grosse Hilfe. Wenn die Datenlage so reichhaltig und öffentlich zugänglich ist wie in den USA, ist das problemlos machbar. Voraussetzung ist allerdings, dass man sich dafür die nötigen zeitlichen Ressourcen freischaufeln kann – in einem geregelten Betrieb als Angestellte völlig undenkbar. Hier konnte ich einmal mehr den Vorteil einer unabhängigen Meteorologin ausspielen, die bei rechtzeitiger Planung ihre Kräfte voll auf ein bevorstehenden Ereignis konzentrieren kann. Unerlässlich dafür ist das vollste Vertrauen eines Auftraggebers, der bereit ist diesen Aufwand auch finanziell zu entschädigen – aber auch die vielen kleinen bis mittleren, und auch etliche sehr grosszügige Zuwendungen – tragen dazu bei, dieses Angebot aufrecht zu erhalten und sich im ruhigeren Winterhalbjahr weiterzubilden und Projekte wie eben den Wetterstations-Atlas weiterzuentwickeln. Ganz herzlichen Dank an dieser Stelle an alle, die sich daran beteiligen: Sei es finanziell, durch fachlichen Austausch oder durch handfeste Unterstützung in technischen Belangen wie dem reibungslosen Laufen dieser Internetseite. Hinter diesem „Einfrau-Betrieb“ steckt mehr, als sich viele vorstellen können…
In diesem Sinne freue ich mich darauf, wenn ich die in den letzten Tagen gewonnenen Erfahrungen bald wieder anwenden kann oder vielleicht sogar Gelegenheit bekomme, weitere neue Herausforderungen anzupacken. Die America’s Challenge ist eine zusätzliche Referenz dafür, dass fotometeo Muriset jederzeit zu (fast) allem bereit ist 🙂
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Balthasar Wicki am 2. Oktober 2022 um 21:36 Uhr
Du weisst es, Fabienne, wie dankbar wir hier vor Ort sind, dass Du uns begleitest und unterstützt. Im Moment baut sich die Konvektion massiv auf, mit TC die bis (geschätzt) 6-7000m hochgehen, und die Blitz-APP zeigt erste Blitze schon westlich des Startplatzes. Wir werden sehen, was das Briefing bringen wird. Bis gleich! Herzlichst aus ABQ! Balthasar Wicki
Microwave am 3. Oktober 2022 um 00:37 Uhr
Uiii neiii, schade habt ihr so schlechtes unstabiles Wetter im Moment. Ich wünsche euch gleich noch dass ihr irgendwie starten könnt, und dass es wenigstens ein verkürztes Rennen gibt. Ich lese natürlich wieder mal gespannt mit. Danke speziell auch an dich und deine Helfer, Fabienne, hoffentlich sind eure Mühen nicht völlig für die Füchse. Liebe Grüsse – Microwave
roko am 3. Oktober 2022 um 10:15 Uhr
hallo,
sehr gute arbeit. schaue mir das jetzt öfter an.
wie schon der kölner sagt : et kütt wie et kütt !
in translation : es kommt wie es kommt.
Microwave am 4. Oktober 2022 um 07:44 Uhr
„Mein Fazit: Rennstart in der kommenden Nacht ist eine Schnapsidee.“ … „The briefing scheduled for Monday 8PM is canceled. No flight tonight.“ Nicht schlecht deine seriösen Sicherheitsbeurteilungen, Fabienne. Zum wiederholten Mal in Folge „gewonnen“ =) Weiter so, und viel Durchhaltevermögen bis hoffentlich wirklich dem Start und der Landung! Grüsse – Microwave
Markus Haggeney am 4. Oktober 2022 um 15:07 Uhr
Salut Fabienne, herzlichen Dank für Deine profunden Analysen. Ein Genuss (trotz der negativen Ergebnisse), die Wetterlage so professionell erläutert zu bekommen. Wie immer, Chapeau! Danke.
Microwave am 6. Oktober 2022 um 01:26 Uhr
Hoi Fabienne und Balthasar et al, mein Beileid dass es nicht geklappt hat wegen „technischen“ Gründen =( . Danke dir Fabienne vielmal für die Erklärungen und den Exkurs bezüglich dem LLJ. Ist das eigentlich auch der gleiche LLJ welcher dann im Frühling die Superzellen befeuert? Wenn der dann eben so stark sei? Mindestens soll ein LLJ ja nicht ganz ungefährlich sein bezogen auf Konvektion. Grüsse und euch allen ganz tiefen und erholsamen Schlaf – Microwave
Fabienne Muriset am 8. Oktober 2022 um 09:45 Uhr
Hoi Microwave
Der LLJ sorgt für extreme Richtungsscherung, eine wichtige Zutat bei der Entstehung der Tornados. Weiter möchte ich mich darauf hier nicht einlassen, da ich mich nicht als Tornado-Spezialistin sehe. Davon gibt es weltweit bereits mehr als genug, ich beschäftige mich lieber intensiv mit Teildisziplinen der Meteorologie, die sonst zu kurz kommen 😉
Liebe Grüsse
Fabienne