Der September – klimatologisch ein Herbstmonat – kann sich nicht so recht entscheiden: Mal tritt er hochsommerlich auf wie im Vorjahr, mal vollherbstlich wie letztmals 2017 (an den kältesten der Messreihe mit 6.2 Grad unter dem heutigen Klimamittel in den Niederungen der Alpennordseite muss sich zum Glück niemand mehr erinnern, weil 112 Jahre zurückliegend). Und dann gibt es noch 2024, der hochsommerlich begann, uns nur wenige Tage angenehmen Spätsommer gönnte und ab dem 11. gefühlt in den Spätherbst abtauchte. Aus dem Mix der Extreme ergibt sich einmal mehr so ein typisches „Normal“: In der Nord- und Ostschweiz, im südlichsten Deutschland und in Westösterreich fast aufs Zehntelgrad genau im Schnitt der letzten 30 Jahre. Beim Niederschlag gibt’s hingegen keine Diskussion: Viel zu nass, gipfelnd in 555 % (!) des Klimamittels an der Donau westlich von Wien. Trockener als normal war’s im Schnitt nur punktuell, etwas flächiger ab Berlin nordwärts. Kein Wunder, kam auch der Sonnenschein im südlichen Mitteleuropa meist deutlich zu kurz, in Norddeutschland hingegen gab’s kaum Klagen mit flächig 20 bis 50 % mehr als erwartet.
Die fotometeo.ch/orniwetter.info-Langfristprognose für den September, erstellt am 01.09.2024, lautete wie folgt:
Die Mehrheit der Modellläufe zeigt eine für die Jahreszeit typische meridionale Zirkulationsform, etwa zu zwei Dritteln mit kräftigem Hoch im Nordosten (Regime Block), zu einem Drittel mit einer High-over-Low-Lage (Regime NAO-), sprich einem Hochdruckband über den gesamten Norden hinweg. Andere Lösungen werden gar nicht präsentiert, folglich habe ich mich für den aktuellsten Lauf entschieden, der die Mehrheit vertritt, aber auch Elemente des schwächeren Clusters beinhaltet: Eine extrem starke positive Abweichung des Geopotenzials über Nordosteuropa mit Zentrum über dem Weissen Meer und einem Ausläufer Richtung Europäisches Nordmeer und einem sekundären Ableger über der Labradorsee – zwischen den beiden Hochdruckanomalien soll eine schwache Brücke über Grönland und Island hinweg bestehen bleiben. West-, Mittel- und Südeuropa liegen mehrheitlich in einer negativen Druckanomalie, wobei deren Zentrum zwischen Irland und Spanien zu liegen kommen soll. Die daraus resultierenden Grosswetterlagen sind vielfältig, wobei der Westsektor weitgehend ausgeschlossen wird. Es dominieren (meist zyklonale) Ost- bis Südlagen und auch für ein Tief Mitteleuropa liegen die Chancen nicht schlecht.
Unter dem Hochdruckblock über Nordwestrussland werden die höchsten positiven Temperaturabweichungen von fünf bis sechs Grad zur Normperiode 1991-2020 gerechnet, immer noch +3 Grad dürften es in weiten Teilen Nord- und Osteuropas werden. Negative Abweichungen werden über dem östlichen Mittelmeer (fraglich bei den hohen Wassertemperaturen) und über Westeuropa gerechnet, minus drei Grad zum aktuellen Klima dürften aber auch hier (deutlich) übertrieben sein. Der Verlauf der neutralen Zone genau durch Deutschland ist wahrscheinlich zu weit östlich gerechnet, es sei denn eine extrem kühle zweite Monatshälfte gleicht die nach den aktuellen Mittelfristmodellen zu erwartende deutlich zu warme erste Hälfte aus – aus meiner Sicht eher unwahrscheinlich, denn woher soll denn die Kaltluft kommen? Realistischer dürfte eine Abweichung zwischen +1 und +2 Grad sein mit einem deutlichen Ost-West-Gefälle.
Woran es aber bei dieser Ausgangslage kaum etwas zu zweifeln geben dürfte, ist ein deutlich zu nasser September in der Kampfzone zwischen kühlerem Westen und sehr warmem Osten. Insbesondere von den Pyrenäen bis zu den Alpen dürften enorme Regenmengen fallen – die regionale Verteilung wiederum ist dann jeweils von der Anströmungsrichtung und eingelagerten konvektiven Zellen abhängig. Das Potenzial für regionale verheerende Unwetter ist jedenfalls gegeben. Auffällig sind auch die modellierten hohen Niederschlagsmengen in der Türkei und in Teilen Nordwestafrikas, was auf das aussergewöhnlich weite Vordringen tropischer Luftmassen nach Norden zurückzuführen ist, wie wir bereits seit einigen Monaten beobachten konnten. Wer hingegen gerne trockenes Spätsommerwetter geniessen möchte, ist an der norwegischen Küste am besten bedient. Die trockenen Flecken, welche das Modell im Mittelmeer zeigt, sind zu sehr mit Unsicherheiten behaftet.
Vergleich der Prognose (oben) mit der Analyse (unten) der Abweichungen des Geopotenzials in rund 5500 m Höhe gegenüber dem langjährigen Mittel:
Was will man noch mehr? Abgesehen vom „Loch“ über dem europäischen Nordmeer passt die Prognose perfekt, die Hochdruckzentren waren nur geringfügig zu südlich gerechnet und der Tiefdruck über Westeuropa eine Spur zu dominant. Dies alles ist jedoch weniger als das sprichwörtliche Haar in der Suppe, vor allem wenn man bedenkt, dass der September einer der schwierigsten Monate und stark meridionale Zirkulationsformen generell fast unprognostizierbar sind.
Die Abweichung der Monatsmitteltemperatur in rund 1500 m Höhe zur Klimanormperiode 1991-2020 (oben Prognose, unten Analyse):
Bei der Temperaturverteilung stimmen dann doch einige Details weniger: Das bereits erwähnte Loch über dem Nordmeer ist zwar das auffälligste, doch auch die negative Temperaturabweichung über Südwesteuropa wurde wie im Prognosetext vermutet zu stark gerechnet: Statt deutlich unter -3 K ging es nur knapp unter -2 K. Auch die negative Temperaturabweichung über dem östlichen Mittelmeer fiel wie erwartet geringer aus. Wenn man über Jahre hinweg mit dem Modell Erfahrung sammelt, erkennt man den Kalt-Bias mit der Zeit ganz gut – wäre schön, wenn die Modellentwickler diesen Mangel mal beheben und ihm die reale Klimaerwärmung einimpfen würden. Der „Hitzepol“ über Nordosteuropa hingegen wurde betragsmässig genau richtig gerechnet, nur die Ausdehnung nach Nordwesten passte nicht. Ebenfalls im Prognosetext hingewiesen wurde auf den Umstand, dass die Null-Linie über Mitteleuropa wahrscheinlich zu weit östlich liegt, dies war vor allem in Richtung Nordsee der Fall.
Abweichung des Monatsniederschlags gegenüber der Klimanorm 1991-2020 (oben Prognose, unten Analyse):
Bei der grossräumig fast perfekt getroffenen Druckverteilung stimmt entsprechend auch die Niederschlagsverteilung. Im Detail ist zu erwähnen, dass sich die Katastrophe statt in den West- und Südalpen diesmal im östlichen Mitteleuropa und in Zentralitalien abspielte. Fast perfekt getroffen wurden die extrem nassen Zonen in der Türkei und in Nordwestafrika sowie westlich der Azoren, wo sie zum Glück keinen Schaden anrichten konnte. Für die sehr interessanten regionalen Details in Mitteleuropa empfehle ich wie immer den Blick in die Karten der Landeswetterzentralen: Schweiz, Österreich, Deutschland.
Mal wieder was ganz Neues gibt’s bei diesen Diagrammen:
Die Hälfte des Monats Ostlagen, ein zusätzliches Viertel Nord, keine einzige Westlage: Noch meridionaler geht fast gar nicht. Die Feuchtigkeit kam zur Hauptsache aus Südwesten und Südosten (der GWT Süd wurde überraschend ausgespart) und zwar derart hochreichend, dass diesmal die Föhneffekte der Alpen kaum spielten. Wenn tropische Luftmassen alle Schichten bis in 12 km Höhe durchfeuchten, dann machen sie sich vor Lachen in die Hose, wenn sie von den Alpen gekitzelt werden. Wenn ihnen dann auch noch bodennah eingeflossene Kaltluft aus Nord bis Nordwest als Steigbügelhalter dient, ist die Katastrophe perfekt. 8 trockene zu 22 nasse Tag sprechen Bände, bei der Temperatur ist die Sache ausgeglichen, auch wenn die beiden Extreme (warm und kalt) mit je 7 bzw. 8 Tagen auch diesmal wieder stark vertreten waren – kurzum: dieser „normal“ temperierte Monat bestand zur Hälfte aus Abweichungen deutlich über bzw. unter der Norm.
Die Langfristprognose für den Oktober findet man auf unserer Partnerseite orniwetter.info, sie wird zu Beginn des nächsten Monats in diesem Blog verifiziert.
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