Ein grauslicher Kaltstart, durchwegs sehr wechselhaft, nur mit einzelnen Hitzetagen ohne Eskalation (Maximum 34.7 °C in Sion am 30. Juli) und bis zum Schluss ohne längere trockene Phase – manche sprechen bereits von einem Retro-Sommer. Und trotzdem landet das Mittel der Stationen Basel, Bern, Zürich, St. Gallen und Altdorf bei exakt 20.0 °C, das sind +1.1 Grad zur Vergleichsperiode 1991-2020. Oder gleich viel wie im Juli 1952, der damals der zweitheisseste in der Messreihe seit 1864 war, gerade mal 0.2 Grad kühler als der bisherige Rekordhalter 1928. Es sollte bis 1983 dauern, bis die Alpennordseite einen noch heisseren Juli erlebte. Seit dem aktuellen Rekordhalter 2006 mit 22.2 °C waren sieben Julimonate wärmer als der heurige, vielleicht meinen deswegen nicht wenige, wir hätten einen kühlen Juli hinter uns. Ja, die Erinnerungen spielen uns gerne einen Streich…
Die fotometeo.ch/orniwetter.info-Langfristprognose für den Juli, erstellt am 01.07.2024, lautete wie folgt:
Die Mittel- und Langfristmodelle schwanken in diesen Tagen hin und her zwischen Westlagen und Troglagen. Diesem Umstand Rechnung tragend, habe ich mich für die Juli-Prognose für einen Lauf entschieden, der diese beiden Grosswettertypen kombiniert: Ein überdurchschnittlich aktiver Tiefdruckgürtel erstreckt sich vom Nordatlantik südlich von Island über Schottland nach Nordskandinavien und sorgt zusammen mit einem leicht überdurchschnittlich starken Azorenhoch für eine gesunde Westdrift. Dem gegenüber steht aber auch eine kräftige (blockierende) Hochdruckanomalie über Westrussland, zu der das Azorenhoch eine Brücke zu schlagen versucht. Diese ist jedoch brüchig, sodass gelegentlich Tröge über West- oder Mitteleuropa entstehen und Tiefs ins Mittelmeer abtropfen können. Diese Abtropfvorgänge wurden jedoch im Verlauf der letzten Woche in den Langfristmodellen allmählich etwas zurückgerechnet, der Trend geht also derzeit eher in Richtung mehr Westlagen. So oder so dürfte für einen abwechslungsreichen Juli gesorgt sein.
Die Tiefdrucktätigkeit bringt häufig maritime, sprich eher kühle Luftmassen nach Nordwesteuropa, wo sich zum langjährigen Mittel ein leicht zu kühler Juli abzeichnet, am stärksten wird die negative Abweichung mit knapp -2 Grad für Südskandinavien gerechnet. Deutlich wärmer – also teilweise mehr als drei Grad über dem langjährigen Schnitt – wird der Juli in Osteuropa. Für den Alpenraum wird keine deutliche Abweichung gerechnet, was also einem durchschnittlichen Juli entspricht bzw. erfahrungsgemäss wie bereits im Juni in ein hauchdünnes Plus zu 1991-2020 münden dürfte. Diese Durchschnittlichkeit wird allerdings durch etliche sehr kühle Tage (schon gesichert gleich Anfang des Monats) und kurze heisse Phasen (ab dem 8./9. Juli jederzeit möglich) zustande kommen.
Grosse Unsicherheit besteht wie in den Sommermonaten wegen der lokalen Abhängigkeit von zufälligen Gewittertreffern üblich beim Niederschlag. In der Fläche dürfte in Mitteleuropa ungefähr die durchschnittliche Regenmenge fallen, die zu erwartenden Troglagen werden es allerdings nicht versäumen, weiterhin für lokale oder auch mal etwas grossräumigere Unwetter zu sorgen, wobei die Alpen nicht zuletzt wegen der immer noch überdurchschnittlichen Schneemengen im Hochgebirge das grösste Risiko tragen. Aber auch vereinzelt ins Mittelmeer abtropfende Tiefs können dort für den Juli ungewöhnliche Gewitterlagen sorgen, die in der Karte gezeigte Verteilung wird aber kaum so genau stimmen.
Vergleich der Prognose (oben) mit der Analyse (unten) der Abweichungen des Geopotenzials in rund 5500 m Höhe gegenüber dem langjährigen Mittel:
Das blockierende Hoch über Osteuropa ist am 20. Juli nach Norden geflutscht und hat daher unerwartet über der Barentssee eine sekundäre Anomalie ausgebildet. Dadurch konnte der nordatlantische Tiefdruckgürtel nicht durchwegs ganz nach Osten durchgreifen (GWL winkelförmige Westlage), was aber auf die Verhältnisse in West- und Mitteleuropa keinen Einfluss hatte. Diese Region lag wie erwartet überwiegend im Westwindgürtel mit kurzer Unterbrechung zwischen dem 8. und 13. Juli. Die Schwachstelle der Hochdruckbrücke lag nicht wie erwartet über Mitteleuropa, sondern bei den Azoren, was dem Alpenraum in der zweiten Monatshälfte etwas mehr Stabilität verlieh: Vom 28. bis 30. Juli konnten wir sogar die erste GWL Hoch Mitteleuropa dieses Jahres feiern. Insgesamt also eine gute Prognoseleistung der Langfristmodelle, vor allem dass der Trend zu weniger Austrogungen in der zweiten Monatshälfte vollständig zum Tragen kam, ist ein grosser Pluspunkt.
Die Abweichung der Monatsmitteltemperatur in rund 1500 m Höhe zur Klimanormperiode 1991-2020 (oben Prognose, unten Analyse):
Die kühle Anomalie lag etwas konzentrierter als erwartet über dem Nordatlantik westlich von Irland, entscheidend für uns war aber die genaue Prognose für Nordwesteuropa. Die Grenze zur warmen Anomalie fiel deutlich schärfer aus als erwartet: Der Alpenraum lag dann doch nicht nur knapp, sondern deutlicher im Plus mit 2 Grad über der Vergleichsperiode 1991-2020 in den Hochlagen und zwischen +1 Grad in den Niederungen der Deutschschweiz und +3 Grad im Südosten Österreichs. Einmal mehr zeigt sich, dass die Langfristmodelle negative Abweichungen eher überschätzen: Jene im Mittelmeerraum war zum Beispiel gar nicht vorhanden, und auch über dem Europäischen Nordmeer war es deutlich wärmer als prognostiziert.
Abweichung des Monatsniederschlags gegenüber der Klimanorm 1991-2020 (oben Prognose, unten Analyse):
Mit der einigermassen korrekten Positionierung des Tiefdruckeinflusses konnte bei der Niederschlagsverteilung nicht allzu viel schief gehen: Die nassesten Regionen lagen wie erwartet in einem Streifen von Island über die Nordsee bis Skandinavien, wenngleich dort die exakte regionale Verteilung etwas anders lag. Die Prognose für den Alpenraum war etwas zu trocken, was aber aus dem Prognosetext auch herauszulesen war, und wie immer zeigt die grobe Karte oben nicht die regionalen Feinheiten, so war etwa der Osten Österreichs deutlich zu trocken. Die detaillierten Karten der Landeswetterdienste klären auf: Schweiz, Österreich, Deutschland.
Die Hälfte des Monats unter Westlagen-Regime, flankiert von den Nachbarn Südwest und Nordwest mit je drei Tagen: Typischer könnte ein Juli gar nicht laufen, daher ist die Bezeichnung “Retro-Sommer” gar nicht so daneben – nur eben dass trotzdem die kontinuierliche Erwärmung fortgesetzt wird. Dies zeigt die Verteilung von 11 zu 3 Tagen zugunsten von “deutlich zu warm” gegenüber “deutlich zu kühl”. Oder anders gesagt: Mit dieser Grosswetterlagen-Verteilung hätten wir vor noch 30 bis 50 Jahren auch im südlichen Mitteleuropa einen richtig kühlen und verregneten Juli gehabt. Man kann sich gar nicht mehr vorstellen, mit welchen Wetterlagen ein Juli heutzutage aufwarten müsste, um z.B. die Verhältnisse von 1977-1981 (Mittel zwischen 14.8 und 16.9 gegenüber 20.0 Grad 2024 in den Niederungen der Deutschschweiz) zu produzieren: Es waren Monate, die teils bis zur Hälfte von zyklonalen Norwest- bis Nordostlagen geprägt waren. Sowas geben die heutigen Verhältnisse mit der viel wärmeren Arktis gar nicht mehr her.
Die Langfristprognose für den August findet man auf unserer Partnerseite orniwetter.info, sie wird zu Beginn des nächsten Monats in diesem Blog verifiziert.
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