Der Januar 2021 polarisiert. Für die Bewohner höherer Lagen war es der perfekte Wintermonat mit sehr viel Schnee, wenn auch wenig Sonnenschein. Dort wo allerdings die Mehrheit der Menschen lebt, also im Tiefland, war der vergangene Monat ein nicht enden wollender Spätherbst, extrem trüb und nass mit allenfalls sehr kurzlebiger Schneedecke und nur wenig Frost. Oft entschieden nur wenige Kilometer oder Höhenmeter über Winterwunderland oder Tristesse: So verzeichneten einige Stationen in den Ostalpen Schneerekorde, selbst in den Tallagen (z.B. Chur mit 82 cm Neuschnee innerhalb von drei Tagen). Andersrum gab es im Norden und Westen Deutschlands zahlreiche Stationen ohne einen einzigen Eistag und in Köln sank die Temperatur im ganzen Monat nie tiefer als -1.5 °C. Auch im westlichen Schweizer Mittelland und im Osten Österreichs war winterliche Stimmung eher eine Frage von Stunden als von Tagen. Hingegen rangieren viele Stationen im nördlichen Alpenvorland unter den fünf nassesten Januarmonaten, an einzelnen Stationen wurden gar neue Rekorde in relativ langen Messreihen registriert.

Resultat eines sehr nassen Monats: überschwemmte Wiesen im Worblental östlich von Bern, 31. Januar 2021
Die fotometeo.ch/orniwetter.info-Langfristprognose für den Januar, erstellt am 31. Dezember, lautete wie folgt:
Aus dem alten Jahr nehmen wir noch die blockierte Zirkulation mit: Ein umfangreiches Tiefdrucksystem über ganz West- und Mitteleuropa bewegt sich kaum vom Fleck und füllt sich nur langsam auf. Die gemässigten kalten Luftmassen sorgen für ein sehr trübes und leicht unterkühltes erstes Monatsdrittel, was oberhalb von etwa 500 m ordentliches Winterwetter bedeutet, im Flachland läuft das hingegen eher unter tristem Spätherbst. Da sich der Tiefkern eher leicht westlich von uns befindet, strömen aus südlicher bis südöstlicher Richtung immer feuchte und für ordentlichen Winter zu milde Luftmassen nach Osteuropa. Was wiederum zur Folge hat, dass sich die Feuchtigkeit auf der Alpensüdseite in Form von Schnee bis in tiefe Lagen entlädt. Doch wenden wir uns nun unserer Spekulation für den Gesamtmonat zu: Der von uns präferierte Lauf – der etwa ein Viertel aller Modellläufe repräsentiert – zeigt eine markante Tiefdruckanomalie, die sich von den Azoren bis nach Mitteleuropa erstreckt. Im südlichen Mittelmeerraum ist die Abweichung neutral, im gesamten Norden ist eine positive Druckabweichung auszumachen, die ihre stärkste Ausprägung über Grönland und dem Nordatlantik aufweist. Diese Abweichungen kommen durch die gestörte Zirkulation in der ersten Monatshälfte zustande und würden noch viel stärker ausfallen, würden sie länger anhalten. Doch dem wirkt der Trend zur Zonalisierung (sprich: Die Westwindzirkulation auf dem Atlantik soll sich in der zweiten Monatshälfte erholen) entgegen. Nach diesem Szenario hätten wir es also mit einem zweigeteilten Monat zu tun. Erste Monatshälfte mit Tief oder Trog Mitteleuropa, eventuell (Süd-)Ostlage oder südliche Westlage. Zweite Monatshälfte mit West- und Südwestlagen, möglicherweise auch als Übergangsphase Hochdruckbrücke Mitteleuropa. Wie gesagt schlagen die Modelle Purzelbäume und tischen auch mal ein extrem kräftiges West- oder Mittleuropahoch auf, diese Lösungen sind aber derzeit in der deutlichen Minderheit.
Aus der Temperaturkarte des Gesamtmonats sind diese zwei unterschiedlichen Monatshälften für den Laien nur schwer herauszulesen, da sich die Extreme gegenseitig aufheben. Dort, wo also ein ungefähr durchschnittlicher oder nur leicht zu milder Monat gezeigt wird, kann durchaus die erste Monatshälfte unterkühlt und die zweite mild ausfallen – oder umgekehrt. Die eher negative oder nur leicht positive Abweichung in Westeuropa ist dem ersten Monatsdrittel geschuldet, das unterkühlte Nordeuropa hingegen resultiert auf der dortigen Konzentration der Kälte in der zweiten Monatshälfte. Eindeutig ist die Sache in Südosteuropa: Dort soll es nach aktueller Lage mehr oder weniger den ganzen Monat zu mild bleiben.
Entgegen der landläufigen Meinung muss tiefdruckbestimmtes Wetter wie im ersten Monatsdrittel für Mitteleuropa gezeigt nicht zwingend auch nasses Wetter bedeuten. Die in der Karte berechneten Niederschlagsüberschüsse sollen zum grössten Teil erst in der zweiten Monatshälfte mit dem Wiedererstarken der Westwindzirkulation fallen, was auch bedeutet, dass dies selten in Form von Schnee in den Niederungen der Fall sein wird. Während des tiefdruckbestimmten und kalten ersten Monatsdrittels – wenn also Schnee bis in tiefe Lagen möglich wäre – sind die Niederschlagsmengen eher bescheiden. Wie schon im Dezember wird hingegen die Alpensüdseite erneut im Schnee versinken. Das zu trocken gerechnete Norwegen verdeutlicht, dass Nordeuropa nördlich des Tiefdruckgürtels häufig unter Hochdruckeinfluss und in einer Ostströmung verbleibt.
Vergleich der Prognose (oben) mit der Analyse (unten) der Abweichungen des Bodendrucks gegenüber dem langjährigen Mittel:
Die Zirkulationsform wurde nahezu perfekt gerechnet, auch die Lage und die Beträge der negativen Druckabweichungen wurden sehr gut erfasst. Einzig die Fragmentierung in zwei Tiefdruckzentren war in dieser Stärke nicht im Modell enthalten. Zwischen Island und den Kanarischen Inseln konnte sich häufiger hoher Luftdruck etablieren, was auf die Grosswetterlagen-Verteilung in Mitteleuropa massive Auswirkungen hatte, wie wir noch sehen werden.
Die Abweichung der Monatsmitteltemperatur am Boden zur Klimanormperiode 1981-2010 (oben Prognose, unten Analyse):
Auch die Temperaturverteilung war im groben Raster recht gut getroffen, so konzentrierte sich die Kälte wie modelliert auf Westeuropa und Skandinavien, während vor allem Südosteuropa warm blieb. Im Detail gibt es allerdings schon einige Schwachpunkte: In Westeuropa griff die Kälte deutlich weiter nach Süden aus als berechnet, bzw. kam die von uns erwartete Milderung erst zum Monatsende statt irgendwann kurz nach der Monatsmitte. Die Abweichung in Südosteuropa wurde zu stark modelliert, hier drückte ein scharfer Kälteeinbruch vom 13. bis 19. das Mittel unter die Erwartungen. Die negative Abweichung in der Schweiz wird in der Karte allerdings viel zu stark gewichtet, sie ist vor allem ein Phänomen der Hochlagen – im Mittelland lag das Temperaturmittel verbreitet sogar einige Zehntelgrad über der langjährigen Norm, lokal mehr als ein Grad und in den von Südwestwind beeinflussten Tälern der Nordwestschweiz sogar bis knapp zwei Grad. So wird die regional stark unterschiedliche Wahrnehmung dieses Wintermonats deutlich.
Die Niederschlagsprognose war noch etwas besser als jene für die Temperatur. Der trockene Nordatlantik bis zur norwegischen Küste wurde ebenso gut berechnet wie das viel zu nasse Mittel-, West und Südeuropa. Wie so oft kann die grobe Karte die starken regionalen Unterschiede nicht auflösen, insbeondere der Alpenraum ist oben viel zu trocken dargestellt. Die detaillierten Karten der Landeswetterdienste schaffen Abhilfe: Schweiz, Österreich, Deutschland.
Wie das bunte GWL-Potpourri zeigt, war der Monat viel abwechslungreicher als von vielen wahrgenommen. Am auffälligsten ist der hohe Anteil der Nordwestlagen, die wir in der Prognose gar nicht auf dem Schirm hatten – eine Auswirkung der eingangs erwähnten Fragmentierung der Tiefdruckabweichung durch die Bildung von Hochdruckrücken über dem östlichen Nordatlantik: kleine Abweichung, grosse Wirkung. Die flächig in den tiefen Lagen Mitteleuropas passgenaue Monatsmitteltemperatur zur neuen Klimanorm 1991-2020 zeigt sich in der Verteilung der Witterungstypen: 20 Tage lagen im Normbereich und die kalten und warmen Tage haben sich ungefähr egalisiert. Nur gerade drei Tage konnten einer hochdruckbestimmten Wetterlage zugeordnet werden. Damit fügt sich dieser Januar sehr gut in den Trend des letzten Jahrzehnts ein, wonach zyklonale Wetterlagen im Winter zunehmen, insbesondere die Nordwestlagen. Wahrscheinlich müssen wir mit zunehmend trüben und nassen Wintern mit nur wenigen richtig kalten Tagen leben lernen.
Die Langfristprognose für den Februar findet man auf unserer Partnerseite orniwetter.info, sie wird zu Beginn des nächsten Monats in diesem Blog verifiziert.
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