Charakteristisch für einen Herbstmonat ist das Gefälle der Durchschnittstemperatur vom Anfang bis zum Ende des Monats. Beim Oktober beträgt dieses in Mitteleuropa rund fünf Grad. Der Oktober 2022 wollte davon nichts wissen und machte es genau umgekehrt: Die letzten Tage waren ungefähr fünf Grad wärmer als die ersten – ausserhalb der Föhngebiete wohlverstanden. In gut durchlüfteten, etwas erhöhten Lagen abseits der Alpen wurden gegen Ende des Monats mehrere Tropennächte gemessen, die Tagestiefsttemperatur lag also nicht unter 20 Grad. Nur ein Beispiel: Auf dem 1134 m hohen Hörnli (Zürcher Oberland) lag die Tagesmitteltemperatur am 29. Oktober 13.9 Grad über der Tages-Klimanorm 1991-2020, der Tageshöchstwert bei 23.6 °C. Auch wenn das Wort „pulverisieren“ für Wetterrekorde in letzter Zeit etwas inflationär gebraucht wird: Hier trifft es den Nagel auf den Kopf.

Drei Jahreszeiten gleichzeitig im Berner Oberland am 23.10.2022: Die Bäume haben sich herbstlich verfärbt, die Wiesen sind so sattgrün wie seit Anfang April nicht mehr und aus Westen naht eine Gewitterfront, auf die so mancher Sommermonat neidisch wäre
Die fotometeo.ch/orniwetter.info-Langfristprognose für den Oktober, erstellt am 30. September, lautete wie folgt:
Der ausgewählte Lauf ist der aktuellste und zeigt eine starke Hochdruckanomalie über ganz West-, Mittel- und Südeuropa. Die Gegenspieler sitzen im Raum Grönland-Island mit Austrogungen bis zu den Azoren sowie über Nordosteuropa – ein Muster das uns aus dem diesjährigen Frühling und Sommer bestens bekannt ist. Es würde nicht erstaunen, wenn sich das nach den spätsommerlichen Kapriolen wieder einrenkt, denn die globale Wirkungskette von La Niña ist nach wie vor intakt und begünstigt Hochdruckrücken entweder auf dem östlichen Nordatlantik oder über Westeuropa. Wir in Mitteleuropa liegen dann mal direkt drunter oder mal wieder am kühlen Ostrand unter der Nordwest- bis Nordlage. Kennen wir alles zur Genüge…
Der Unterschied zum Frühling und Sommer liegt allerdings darin, dass die tiefer stehende Sonne die eingeflossene kühle Luftmasse im Hochdruckgebiet nicht innert kürzester Frist mal eben aufzuheizen vermag – in den Niederungen bleibt dann gerne mal ein Kaltluftpolster zurück, je weiter der Oktober fortschreitet. Trotzdem soll es nach den aktuellen Berechnungen in Mitteleuropa verbreitet zu einem Plus von einem Grad oder auch etwas mehr zur neuen Klimanorm reichen. Einzig im nördlichen Alpenvorland wird ein kleines Minus gerechnet, was die Theorie der einleitend erwähnten zunehmenden Inversionslagen stützt. Wer es gerne etwas deutlicher zu kühl mag, muss nach Südosteuropa reisen.
Da weite Teile West- und Südeuropas häufig unter Hochdruckeinfluss stehen, wird der Oktober hier folgerichtig deutlich zu trocken gerechnet. Eine markante Wetterscheide bilden die Alpen, auf der Alpensüdseite sollen mangels Südlagen (für Oktober sehr ungewöhnlich) kaum Niederschläge fallen. Die durchschnittlichen Werte nördlich der Alpen kommen zu einem Grossteil bereits in den ersten drei Tagen des Monats zusammen – stimmt die Monatsprognose, ist danach nicht mehr viel zu erwarten. Einen sehr nassen Monat soll es hingegen in weiten Teilen Osteuropas und an der südlichen Küste Norwegens geben und mit gewissen Einschränkungen noch in Schottland, was perfekt die zu erwartende Lage der feuchten Westwindzone in diesem Monat nachzeichnet.
Vergleich der Prognose (oben) mit der Analyse (unten) der Abweichungen des Bodendrucks gegenüber dem langjährigen Mittel:
Die grossräumige Zirkulationsform wurde vom Modell gut erfasst, das Trog-Rücken-Muster lag dann aber in der Realität etwas nach Osten verschoben. Kleine Ursache, grosse Wirkung: Statt sauberer Hochdrucklagen mit gelegentlichen Einflüssen aus nördlicher Richtung herrschten in West- und Mitteleuropa Südwest- und Westlagen vor, unterbrochen von Süd- und Südostlagen. Wobei Westlagen die erste und Südwest- bis Südlagen die zweite Monatshälfte dominierten, von daher stammt auch der untypisch inverse Temperaturverlauf dieses Herbstmonats.
Die Abweichung der Monatsmitteltemperatur 2 Meter über Boden zur Klimanormperiode 1991-2020 (oben Prognose, unten Analyse):
Die grösste Abweichung zur Klimanorm findet man ausgerechnet im nördlichen Alpenvorland, wobei hier die erhöhten Lagen wohl etwas zu stark in die Statistik eingeflossen sind. Bei den Flachlandstationen liegt die Abweichung meist zwischen 3.5 und 4.2 Grad, auch das ist allerdings ein deutlich neuer Rekord seit Beginn der modernen Wettermessungen Mitte des 19. Jahrhunderts. Hier wird wieder mal beispielhaft vordemonstriert, dass sich Langfristprognosen nicht für die Vorhersage von Rekorden eignen. Im Norden Deutschlands reichte der Oktober 2022 hingegen nicht ganz an die warmen Exemplare 2001 und 2006 heran, je nach Region landete er auf Rang 2 oder 3. Was dieser Monat einmal mehr zeigt: Die prognostizierten negativen Abweichungen werden in der Realität meist kleiner bzw. weniger kalt, selbst wenn sie regional gut getroffen sind wie in Südosteuropa und Anatolien. Extrem ist die Fehlprognose für Grönland, hier war der schlussendlich nördlicher gelegene Tiefdruckgürtel ursächlich (West- statt Nordostströmung).
Abweichung des Monatsniederschlags gegenüber der Klimanorm 1991-2020 (oben Prognose, unten Analyse):
Analog zur verschobenen Druckverteilung lagen auch die Schwerpunkte der Niederschlagsabweichungen etwas östlicher als prognostiziert, am besten wurde dabei der trockene zentrale Mittelmeerraum erfasst. Die prognostizierte Trockenheit wurde hingegen nicht im gesamten Alpenraum wirksam. Die Verteilung dort und in Deutschland ist viel komplexer als es die obige Karte zeigt, weshalb sich wie immer ein Blick in die detaillierten Karten der Landeswetterdienste lohnt: Schweiz, Österreich, Deutschland.
Und so sieht also ein Monat ohne jeglichen Einfluss polarer Luftmassen und Wetterlagen aus dem Nordsektor aus:
West war dann doch etwas ausdauernder als ursprünglich angenommen, wobei da auch etliche Tage mit Vorderseite und somit südwestlicher Anströmung enthalten sind. 23 Tage waren eher antizyklonal geprägt, wobei dennoch immer ein gewisser Gradient aus West bis Süd vorhanden war, sodass die Grundschicht nie richtig zur Ruhe kommen und auskühlen konnte – sehr untypisch vor allem für die zweite Oktoberhälfte. Die Folge: Tropennächte statt erste Nachtfröste.
Die Langfristprognose für den November findet man auf unserer Partnerseite orniwetter.info, sie wird zu Beginn des nächsten Monats in diesem Blog verifiziert.
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