Für die meisten Regionen Mitteleuropas kann man den Juli 2022 kurz und knapp zusammenfassen: Sehr sonnig, sehr trocken, sehr warm. In allen drei Kategorien wurden je nach Region neue Rekorde erreicht oder die Statistik kommt zumindest den langjährigen Spitzenplätzen sehr nahe. Auffällig dabei ist vor allem der neue Rekord der gemessenen Sonnenscheindauer im südwestlichen Mitteleuropa, wo Messreihen seit Ende des 19. Jahrhunders existieren (Basel, Genf). Nicht unerwähnt bleiben soll, dass erstmals an einer genormten Wetterstation in Hamburg über 40 Grad gemessen wurden (DWD-Station Hamburg-Neuwiedenthal, 40.1 °C am 20. Juli). Etwas beruhigend mag hingegen sein, dass ansonsten auch in Zeiten medial gepushter Hitzefantasien von aus dem Ruder laufenden Modellen die 40-Grad-Marke im deutschprachigen Raum eine Hürde darstellt.
Die fotometeo.ch/orniwetter.info-Langfristprognose für den Juli, erstellt am 1. Juli, lautete wie folgt:
Der von uns bevorzugte Lauf zeigt eine umfangreiche positive Druckanomalie über ganz Nord- und Mitteleuropa. Dabei bilden sich drei Pole aus: Einer über Weissrussland, einer über dem äussersten Norden Skandinaviens und einer über der Nordsee, wobei letzterer der stärkste sein soll. Dies deutet darauf hin, dass vom nach etwas nach Nordosten verschobenen Azorenhoch Ausläufer abkalben und sich für ein paar Tage irgendwo zwischen Mittel- und Nordeuropa einnisten. Es gibt die gleichen zwei Schwächezonen im Geopotenzial wie im Juni: Eine über Osteuropa und eine vor den Küsten Westeuropas. Dies ist ein Hinweis, dass gelegentlich Tröge in diesen Regionen durchbrechen und CutOff-Tiefs produzieren können. Jene im Osten würden mit nördlicher Strömung in Mitteleuropa vorübergehend kühlere Phasen bringen (eine davon zeichnet sich um den 5. Juli ab), die anderen im Westen wären für Hitzewellen verantwortlich, die aber vermutlich nicht die Frequenz des Vormonats erreichen werden, möglicherweise aber sehr wohl die Intensität. Zusammengefasst: Wir werden auch in diesem Monat wieder die Vielseitigkeit von Grosswettertypen sehen: West bis Nordwest (im ersten Monatsdrittel), Hoch bzw. Brücke Mitteleuropa (wahrscheinlich im mittleren Drittel) und Süd und/oder Ost (vermutlich im letzten Drittel).
Bei der Temperaturabweichung sind vor allem zwei Zonen auffällig: Die sehr warmen über Südwesteuropa und im Hohen Norden. Die negativen Abweichungen über Südosteuropa und vor allem jene im Bereich Nord- bis Ostsee sind schwach ausgeprägt, wobei ich bei Letzterer meine Zweifel habe, ob sie beim gerechneten Hochdruckeinfluss überhaupt zustande kommt. Für die Abweichung am Boden bedeutet dies zur Referenzperiode 1981-2010 etwa +0.5 Grad im nördlichen und +1.5 Grad im südlichen Mitteleuropa. Abweichungen von +3 Grad und mehr sollen grossflächig im Nordmeer erreicht werden, punktuell sind sie auch in Südwesteuropa möglich.
Vor allem in einem breiten Streifen von Nordfrankreich bis zur Ostsee soll der Juli deutlich zu trocken werden, aber auch weiter südlich bis zu den Alpen rechnen wir mit unterdurchschnittlichen Niederschlägen. Wobei ein grosser Teil davon bereits am 1. Juli fällt, für den Rest des Monats bleibt nach dieser Prognose also nicht viel übrig. Weniger Sorgen um Trockenheit muss man sich wahrscheinlich in den Südalpen machen. Die hohen Abweichungen in Südeuropa können wegen der tiefen Klimanorm (Mittelmeerklima = sommertrocken) durch ein einziges kräftiges Gewitter zustande kommen, die Karte ist also keineswegs so zu interpretieren, dass der Juli dort verregnet wird.
Vergleich der Prognose (oben) mit der Analyse (unten) der Abweichungen des Drucks in ca. 5500 m Höhe gegenüber dem langjährigen Mittel:
Betreffend die Zirkulationsform war die Prognose nicht gut, die negative Abweichung von Grönland bis Skandinavien wurde nicht erkannt. Dadurch verharrte das verschobene Azorenhoch meist westlich von Europa und dehnte sich nur vorübergehend bis nach Mitteleuropa aus. Die beiden ausgeprägten und relativ stationären Druckzentren sorgten für eine weit nördlich, aber recht permanent ziehende West- bis Nordwestströmung. Die überwiegenden GWL waren denn auch West antizyklonal und Nordwest antizyklonal. Man war also besser beraten, auf die Siebenschläfer-Regel zu vertrauen als auf das Langfristmodell. Und so erstaunt es dann wenig, dass die aktuelle August-Prognose fast genau so aussieht wie die Juli-Analyse.
Die Abweichung der Monatsmitteltemperatur ca. 1500 Meter über Boden zur Klimanormperiode 1981-2010 (oben Prognose, unten Analyse). Achtung, die NOAA hat ihre Analysen auf die Normperiode 1991-2020 umgestellt. Für Mitteleuropa bedeutet dies, dass bei den Juli-Abweichungen zu 1981-2010 ungefähr ein halbes Grad draufgeschlagen werden muss:
Mit der West- bis Nordwestströmung wurden kühle atlantische Luftmassen von Island über Südskandinavien zum Schwarzen Meer geführt und streiften dabei auch öfters Norddeutschland. Diese negative Abweichung wurde so vom Modell nicht erkannt. Gut getroffen wurde jedoch die Heissluftblase über Südwesteuropa, wenn auch diese weitaus grösser und wärmer war als modelliert. Die im Modell gerechnete, als Folge eines Hochs zustande gekommene positive Anomalie über dem Nordmeer wurde vom Tief nach Osten abgedrängt.
Die gemessenen (NEU!) Abweichungen zur Klimanormperiode 1991-2020 der Monatsmitteltemperatur 2 Meter über Boden:
Über drei Grad Abweichung zur neuen (!) Klimanorm 1991-2020 in Südwesteuropa sind in einem Sommermonat sehr aussergewöhnlich. Diese enorme Abweichung reicht – anders als auf der groben Karte dargestellt – bis in die Südwest- und Südschweiz hinein. In diesen Regionen war der Juli 2022 der zweitwärmste hinter 2015, lokal sogar der wärmste seit Messbeginn (Grächen im Oberwallis, Messreihe seit 1864). Weiter nordöstlich wurde das Mittel vor allem durch viele kühle, weil in der trockenen Luft klaren Nächte, gedrückt.
Abweichung des Monatsniederschlags gegenüber der Klimanorm 1981-2010 (oben Prognose, unten Analyse):
Durch das nicht ganz so weit nach Norden ausgreifende Hoch wie prognostiziert, verschoben sich auch die trockenen Zonen etwas nach Süden. Sie wurden nur punktuell durch einzelne Gewittertreffer reduziert. Besonders auffällig ist der nasse Fleck in Norditalien, der auf ein einziges heftiges Gewitter am 26. Juli zurückzuführen ist. Dass solch enorme Regenmengen in kürzester Zeit nichts zur Linderung der Dürre beitragen, sondern im Gegenteil noch mehr Schäden verursachen, liegt auf der Hand. Auch in Mitteleuropa wurden die für Juli üblichen Niederschlagsmengen nur vereinzelt und punktuell erreicht. Für die lokalen Unterschiede in Sachen Niederschlag verweisen wir wie üblich auf die detaillierten Karten der Landeswetterdienste: Schweiz, Österreich, Deutschland.
Wie bereits erwähnt wurden zwei Drittel des Monats durch West- bis Nordwestlagen dominiert:
Auch in diesem Monat schaffte es ein zu kühler Quoten-Tag in die Statistik, und zwar gleich zu Beginn. Danach folgten nur noch heisse und “normale” Tage, welche aber durch hohe Tagesmaxima und eher kühle Nächte charakterisiert waren und somit fast durchgehend etwas über der aktuellen Klimanorm lagen. An den zehn nassen Tagen wurden naturgemäss in einem Sommermonat nicht alle Regionen gleichzeitig und gleich ergiebig beglückt, meist beschränkten sich die Gewitter und Regengüsse auf das Bergland und die direkt angrenzenden Gebiete.
Die Langfristprognose für den August findet man auf unserer Partnerseite orniwetter.info, sie wird zu Beginn des nächsten Monats in diesem Blog verifiziert.
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