Gleich das zweite Mal in Folge macht der April vor, was jedem Oktober gut stehen würde: Er begann sehr warm und endete mit Schnee und Frost. Wobei der inverse Temperaturverlauf in diesem Jahr noch extremer war als 2016, als wir bereits aus dem Staunen nicht herauskamen. Im westlichen und zentralen Alpenraum sowie in Süddeutschland lag die Mitteltemperatur der ersten Monatshälfte etwa drei Grad über der Klimanorm 1981-2010, in der zweiten Monatshälfte um den selben Betrag darunter. Das ergibt einen völlig normalen April – im Schnitt. Wenn da eben der dem Sonnenstand entgegengesetzte Temperaturverlauf nicht wäre. Oder die mancherorts noch nie gemessenen Schneehöhen in einer zweiten Aprilhälfte. Als Beispiel zu erwähnen Lunz am See in Niederösterreich auf 612 m, wo vom 19. auf den 20. April innerhalb 24 Stunden 65 cm Neuschnee fielen. Gemessen wird dort seit 1896. Nein, ein durchschnittlicher April war das nicht, auch wenn uns genau das die statistischen Monatswerte einmal mehr vorgaukeln wollen.
Mit der aussergewöhnlichen Kälte der zweiten Aprilhälfte müssen wir uns noch etwas näher befassen. Die dadurch entstandenen teils massiven Schäden an Obst- und Weinkulturen insbesondere im Westen und Süden Deutschlands, in der Schweiz und Teilen Österreichs werden derzeit kontrovers diskutiert. Die einen finden, ein solcher Kälteeinbruch sei normal und die Schuld an den Schäden liege am besonders warmen März. Andere entgegnen, insbesondere in den tiefer gelegenen Klimagunstlagen hätten die Bäume Mitte bis Ende April auch nach einem weniger warmen März geblüht und daher Schaden genommen. In der Tat müssen Kälteeinbrüche bis ungefähr Mitte Mai (die folkloristischen Eisheiligen lassen grüssen) eingerechnet werden, damit haben unsere Landwirte seit Jahrhunderten leben gelernt. Doch was geschieht, wenn aufgrund des Klimawandels die Frühjahre immer wärmer werden und die Vegetation in extremen Jahren fast einen Monat früher austreibt als noch vor 30 Jahren? Der Kälteeinbruch 2017 kam – in Relation zum Vegetationsstand – zur selben Zeit wie normalerweise einer zu Mitte Mai. Trotzdem sind die Schäden diesmal massiver bis hin zum Totalausfall. Weshalb? Eine Antwort liefert uns die Karte mit den gemessenen Tiefsttemperaturen in 5 cm über Boden vom 20. April 2017 im zentralen Schweizer Mittelland (repräsentativ für weite Teile des südlichen und westlichen Mitteleuropa):
Zwar ist die ursprünglich arktische Luftmasse heute Mitte April etwa dieselbe wie früher Mitte Mai. Doch ein Faktor zieht beim Klimawandel nicht mit: nämlich der Sonnenstand. Polarluft auf dem Weg nach Süden erwärmt sich unter deutlich höherem Sonnenstand im Mai schneller als im April, kommt also bereits um einige Grad wärmer in Mitteleuropa an. Hat sie sich erst mal bei uns gemütlich eingerichtet und gerät unter Hochdruckeinfluss, bleibt ihr zusätzlich in den klaren längeren Aprilnächten ungefähr zwei Stunden mehr Zeit um auszukühlen. Die Differenz macht in Summe schätzungsweise drei bis fünf Grad aus, und diese sind entscheidend, ob an den Kulturen nur leichte oder massive Frostschäden auftreten. Unter diesem Aspekt wäre es nicht weiter erstaunlich, wenn solche Ereignisse in Zukunft häufiger auftreten sollten. Eine mögliche Folge des Klimawandels, die so wahrscheinlich noch kaum jemand ernsthaft in Erwägung gezogen hatte.
Doch wenden wir uns nun den grossräumigen Verhältnissen sowie der Verifikation der Monatsprognose zu. Die orniwetter.info/fotometeo.ch-Prognose für den April, erstellt am 31. März lautete wie folgt:
Das Langfristmodell CFS bietet uns für den April eine reichhaltige Palette verschiedener Szenarien an. Das ist nicht aussergewöhnlich, denn der April weist im langjährigen Mittel den geringsten Anteil an Westlagen auf, nur noch unterboten vom Mai. Die Wassertemperaturen im Nordatlantik sind unauffällig, der Kontinent nahezu gänzlich von der Schneedecke befreit und die Arktis ist so warm wie noch nie in jüngerer Vergangenheit. Eine Ausgangslage, die fast alles offen lässt – mit Ausnahme eines im Schnitt unterkühlten Monats, den man guten Gewissens ausschliessen kann. Was allerdings nicht ausschliesst, dass es für ein paar Tage empfindlich kalt werden kann, wenn wie im Vorjahr alles ganz dumm läuft.
Wir wechseln im Sommerhalbjahr wieder auf die Karten der mittleren Troposphäre, da Inversionen keine wichtige Rolle mehr spielen. Entschieden haben wir uns für jenen Modelllauf, der in 5500 m Höhe eine deutliche Hochdruckanomalie über dem zentralen Nordatlantik zeigt. Sie erstreckt sich brückenartig über den europäischen Kontinent, wo sich im Osten ein zweiter, etwas schwächerer Pol des überdurchschnittlichen Geopotenzials zeigt. Eine gemässigte Tiefdruckanomalie zeigt sich über Nordskandinavien und eine schwächere im Gebiet zwischen Azoren und Kanaren. Diese Konstellation lässt in Mitteleuropa einen hochdruckdominierten Monat erwarten. In der ersten Hälfte ist Hochdruck über dem nahen Atlantik und Westeuropa mit nordwestlicher bis nördlicher Anströmung gesichert, der zweite Hochdruckpol über Osteuropa lässt im weiteren Verlauf auch Südlagen erwarten. Westlagen werden nur kurze Gastspiele haben, ebenso Ostlagen.
Die Temperaturkarte des 850 hPa-Niveaus (entspricht ungefähr 1500 m Höhe) zeigt eine positive Anomalie, die sich recht genau mit dem Hochdruckgürtel deckt. In fast ganz West-, Mittel- und Osteuropa ist ein im Mittel milder April zu erwarten. Die Abweichungen am Boden zum Schnitt 1981-2010 dürften in Mitteleuropa im Bereich zwischen 1.5 und knapp über zwei Grad liegen, überdurchschnittliche Besonnung sei Dank. Etwas unterkühlt wird der April in Skandinavien, im Bereich der Azoren sowie tendenziell im Mittelmeerraum.
Der überwiegende Hochdruck sorgt in weiten Teilen Europas für einen relativ trockenen April. Ausnahmen stellen die Westküste Skandinaviens dar, wo der meist weit im Norden positionierte Westwindgürtel seine Niederschläge hinterlässt, sowie punktuell Gebiete in Südeuropa, die von abtropfenden Tiefdruckgebieten besucht werden. Die leicht erhöhten Werte am östlichen Alpenbogen können ein Hinweis darauf sein, dass sowohl Nordwest-/Nordlagen wie Südlagen für kurze, aber intensive Perioden mit Stauniederschlägen sorgen können.
Vergleich der Prognose (oben) mit der Analyse (unten) der Abweichungen des Höhendruckfelds (5500 m) gegenüber dem langjährigen Mittel:
Die Verteilung der grossräumigen Druckanomalien stimmt sehr gut überein. Hochdruck westlich der Britischen Inseln bis nach Westeuropa reichend, Tiefdruck über Skandinavien und im Bereich der Azoren. Sogar die Beträge der Abweichung stimmen recht gut mit der Prognose überein. Was einzig fehlt, ist der zweite Hochdruckpol über Südosteuropa, und dieser war leider für den Ausgang der Witterung in Mitteleuropa entscheidend.
Die Abweichung der Monatsmitteltemperatur in rund 1500 m Höhe zur Klimanormperiode 1981-2010 (oben Prognose, unten Analyse):
Trotz der recht guten Prognoseleistung bei der Druckverteilung müssen wir bei den resultierenden Temperaturen eine deutliche Differenz über Mittel- und Nordosteuropa konstatieren. Zwar stimmen die Abweichungen mit den positiven Werten vom Mittelatlantik bis Südwesteuropa noch einigermassen, ebenso die kühle Zone vom Nordmeer bis Skandinavien. Der Wärmepol über Südosteuropa ist zwar vorhanden, aber deutlich schwächer als prognostiziert. In Mitteleuropa ist die Fehlleistung der Prognose mit einer Abweichung von -3.0 bis -3.5 Grad am höchsten. Bemerkenswert ist in diesem Fall, dass bis zum 20. April die Prognose noch auf Kurs war, ein viertägiger Kälteeinbruch war in der Prognose eingepreist, vorausgesetzt die Temperaturen erholen sich danach bis zum Monatsende auf jahreszeitübliches Niveau. Genau dies geschah aber nicht, die Kälteperiode zog sich bis zum 29. April. Das ist es, was in der Prognose „wenn es ganz dumm läuft“ gemeint war – nein: Es lief noch wesentlich dümmer als jeder erfahrene Meteorologe erwarten konnte. Man lerne daraus: Schliesse in einem April niemals etwas aus, selbst wenn die erste Monatshälfte extrem warm verläuft. Auf die Temperaturen in 2 m Höhe hatte dies folgende Auswirkungen:
Wir sehen also das, was wir „guten Gewissens ausgeschlossen“ hatten, nämlich einen in weiten Teilen Mitteleuropas gegenüber der Klimanormperiode 1981-2010 unterkühlten April, der kälteste seit 2001. Einzig in der Schweiz und in Südösterreich resultierte ein durchschnittlicher bis (südlich des Alpenhauptkamms) leicht übertemperierter Monat. Nur hier hatte die sehr warme erste Aprilhälfte genug Boden gut gemacht, um das Minus zum Monatsende zu verhindern.
Die Niederschlagsbilanz wiederum fällt entsprechend der guten Leistungen bei der Druckverteilung zufriedenstellend aus:
In Westeuropa setzte sich wie erwartet die Trockenheit der vorangegangenen Monate fort. Ironischweise ragt aber die trockene Zunge ausgerechnet dort nach Deutschland hinein, wo die Prognose von einem leicht zu feuchten Monat ausging. Die überdurchschnittlichen Niederschläge im Ostalpenraum wurden von der Prognose sehr gut erfasst, ebenso jene an der norwegischen Küste, wenngleich diese schlussendlich in der Fläche etwas weniger ergiebig ausfielen als berechnet.
Die Analyse der Witterungstypen zeigt einen sehr ausgeglichenen, ja geradezu nomalen April mit einem Verhältnis von 9:9 warmen und kalten Tagen. Dass diese Gesamtansicht des Monats eine riesige Lüge darstellt wird einem spätestens dann bewusst, wenn man sich den detaillierten Verlauf auf unserem Wetterlagenkalender anschaut: Alle deutlich zu warmen Tage fielen in die erste Aprilhälfte, ebenso wie ausnahmslos alle zu kalten Tage in der zweiten Monatshälfte auftraten. Der April 2017 lag überwiegend unter einer gemischten Zirkulation, davon die ersten 14 Tage durchgehend unter Hochdruckeinfluss. Dominierend mit mehr als der Hälfte des Monats war der Grosswettertyp Nordwest (langjähriges Mittel im April: 7 %). West hatte wie in der Prognose erwartet keine Chance.
Die Langfristprognose für den Mai findet man auf unserer Partnerseite orniwetter.info, sie wird zu Beginn des nächsten Monats in diesem Blog verifiziert.
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