Die Welt spielte verrückt in diesem Monat: Innerhalb weniger Tage war für uns nichts mehr wie gewohnt. Warum also sollte es das Wetter anders machen? Statt wie üblich für einen März, der aufgrund des steigenden Sonnenstandes eigentlich kalt beginnen und mild enden sollte, war es genau umgekehrt. Bis zum 13. März herrschte die seit Anfang Februar permanente zyklonale Westlage und erreichte mit 34 Tagen am Stück die längste ununterbrochene Grosswetterlage seit Einführung dieser Statistik im Jahr 1881. Danach stellte die Zirkulationsform genau wie bereits vor einem Jahr radikal auf das meridionale Muster um: West hatte keine Chance mehr, es folgte ein Wechsel von Hochdruck- und Ostlagen mit mal milderen, mal für die Jahreszeit sehr kalten Luftmassen. Kälterekorde wurden Ende März nur deshalb keine gebrochen, weil von Nordost- bis Mitteleuropa (also auf der Strecke, welche die arktische Luftmasse bis zu uns zurücklegen musste) nach dem rekordmilden Winter keine Schneedecke lag. Dennoch wurden Ende März mancherorts die tiefsten Temperaturen des gesamten vergangenen Winterhalbjahrs gemessen.

Bizarr: Vollfrühling auf 800 m mit gleichzeitig Saharastaub und strengen Nachtfrösten (östlich von Bern, 28. März 2020)
Die fotometeo.ch/orniwetter.info-Langfristprognose für den März, erstellt am 29. Februar, lautete wie folgt:
Wir haben uns aus dem amerikanischen Langfristmodell einen Lauf rausgepickt, der in Sachen Druckverteilung keine extremen Abweichungen im für uns relavanten Gebiet zeigt. Das kann zwei Gründe haben: Entweder kommen die Druckgebiete ungefähr entsprechend der langjährigen Norm zu liegen oder aber das Monatsmittel wird durch völlig unterschiedliche, sich aufhebende Gegensätze verwässert. Wie wir anhand der Temperatur- und Niederschlagskarten sehen werden, liegt in unserem Fall eine Mischung von beidem vor. Doch bleiben wir vorerst noch bei den Druckabweichungen: Unser präferierter Lauf zeigt sowohl zonale wie meridionale Komponenten. Da ist einerseits noch eine leicht negative Druckanomalie über dem europäischen Nordmeer und eine schwache Hochdruckbrücke zwischen dem zentralen Nordatlantik und Osteuropa zu finden; das ist die zonale Komponente, welche die noch dominierenden Westlagen in der ersten Monatshälfte repräsentiert. Andererseits zeigt der Lauf eine mässige negative Druckanomalie östlich der Azoren bis zur Iberischen Halbinsel und eine ebenso gemässigte Hochdruckanomalie über Osteuropa. Das ist die meridionale Komponente, die dafür spricht, dass in der zweiten Märzhälfte ein Trend zu Blockierung und somit Südlagen besteht. Das europäische Modell tendiert auch in diese Richtung, daher haben wir uns in der Vielfalt der zur Auswahl stehenden Möglichkeiten für diese Variante entschieden.
Die Auswirkung dieser Zweiteilung des Monats in Sachen Zirkulationsform wird in der Temperaturkarte deutlich: Im atlantisch geprägten Westeuropa bringen Westlagen nicht mehr ganz so hohe positive Abweichungen wie noch in den Wintermonaten, sehr wohl aber in Osteuropa, wo zu dieser Zeit eigentlich noch viel Schnee liegen müsste – tut er aber nicht. Kommt in der zweiten Märzhälfte noch eine Hochdrucklage über Osteuropa hinzu, erwärmt die bereits recht kräftige Sonne den Boden sehr rasch, was das Temperaturniveau weiter über das übliche Klimamittel hebt: Es würde nicht überraschen, wenn in Osteuropa wie bereits in allen vorhergehenden Monaten die Abweichung höher ausfällt als vom Modell gerechnet. Mitteleuropa liegt irgendwo dazwischen, wir gehen mal grob von zwei Grad über dem langjährigen Mittel aus – nach Osten hin etwas mehr, im Westen etwas weniger.
Auch die Niederschlagsverteilung ist durch die oben geschilderte Zweiteilung des Monats geprägt: Das Westlagen-Muster zeigt sich durch die überdurchschnittlichen Niederschläge in Norwegen, das meridionale Muster durch die Trockenheit in Osteuropa einerseits und einer sehr nassen Iberischen Halbinsel andererseits. Wir rufen es der treuen Leserschaft gerne in Erinnerung und erwähnen es speziell für alle Neulinge: Die Karten gaukeln eine Genauigkeit vor, die so bestimmt nicht eintreffen wird, die Muster sind also eher als grobe Tendenzen zu verstehen. Entsprechend ist auch nicht ganz klar, wie Mitteleuropa schlussendlich bilanzieren wird: Eher unter dem nassen Einfluss aus Westen in der ersten Monatshälfte oder doch eher unter dem trockenen Hochdruckeinfluss in der zweiten Monatshälfte? Vermutlich wird es wie so oft grössere regionale Unterschiede geben.
Vergleich der Prognose (oben) mit der Analyse (unten) der Abweichungen des Bodendrucks gegenüber dem langjährigen Mittel:
Dafür, dass es mitten im Monat einen radikalen Umbruch der Zirkulationsform gab, wurde die Gesamtsituation erstaunlich gut berechnet. Das Grundmuster mit Tiefdruck im hohen Norden sowie im Mittelmeerraum und einer Hochdruckbrücke über das nördliche Mitteleuropa hinweg wurde gut erfasst. Stärker als erwartet gestaltete sich das Hoch über dem zentralen Nordatlantik, was auch eine Verschiebung des Tiefdrucks bei der Iberischen Halbinsel nach Südosten zur Folge hatte. Diese auffälligen Abweichungen hatten jedoch kaum Auswirkungen auf Mitteleuropa: Hier war der zweite Hochdruckkern für uns massgeblicher, und dieser kam nur geringfügig westlicher zu liegen als prognostiziert und war auch von der Stärke her perfekt gerechnet.
Die Abweichung der Monatsmitteltemperatur am Boden zur Klimanormperiode 1981-2010 (oben Prognose, unten Analyse):
Fast schon perfekt kann man die Temperaturprognose bezeichnen, insbesondere was das kontinentale Europa angeht. Südwesteuropa wurde wegen des fehlenden Tiefdrucks vor der portugiesischen Küste etwas kühler als erwartet, die Abweichung hält sich aber im akzeptablen Rahmen. Interessant ist hier zu beobachten, was blockierender Hochdruck zu dieser Jahreszeit bezüglich Temperaturen für Auswirkungen hat: Mangels Austausch der Luftmassen wirkt sich das kühle Meereswasser auf die bodennahen Luftschichten aus (Inversion über dem Meer mit verbreitetem Seenebel), das genaue Gegenteil kann man wie in der Prognose erwähnt über der Landmasse Osteuropas beobachten. Hier war der März bereits der sechste (!) Monat in Folge, der grossflächig eine positive Abweichung von mehr als drei Grad zur Klimanorm 1981-2010 aufwies.
Wenn die Druckverteilung in der Prognose stimmt, passt in der Regel auch die Niederschlagsverteilung ganz gut:
Nasses Nordeuropa und nasse Iberische Halbinsel sowie weitere Teile des Mittelmeerraums, dazwischen eine trockenere Zone von den Britischen Inseln über Mitteleuropa hinweg bis zum Schwarzen Meer: All dies wurde in der Prognose so gezeigt. Einzig auf der Alpensüdseite sowie strichweise hauptsächlich in den deutschen Mittelgebirgen gab es unerwartet etwas mehr Niederschlag als im langjährigen Mittel, die lokalen Details kann man den Auswertungen der nationalen Wetterdienste entnehmen: (Schweiz, Deutschland, Österreich).
Wieder mal ein halbwegs ausgeglichenes Witterungsdiagramm, auf dem alle Witterungstypen vertreten sind: Das gab es schon lange nicht mehr. Allerdings muss man festhalten, dass genau dies den Charakter eines März eigentlich ausmacht: Von spätwinterlich bis frühlingshaft ist alles vertreten. Kurios wird es einzig, wenn wie eingangs erwähnt der Ablauf entgegen dem steigenden Sonnenstand auftritt. Bei den Grosswettertypen wird die Zweiteilung des Monats verdeutlicht: Die ersten 13 Tage West zyklonal (eigentlich ein winterliches Zirkulationsmuster, das jedoch den eigentlichen Frühling brachte, und das bereits seit Ende Januar), danach Hochdrucklagen und Ostlagen im Wechsel (eigentlich ein typisch frühlingshaftes Zirkulationsmuster, das uns jene winterliche Witterung brachte, die man im eigentlichen Winter vermisst hatte). Ja, Meteorologie kann bisweilen verwirrend sein…
Die Langfristprognose für den April findet man auf unserer Partnerseite orniwetter.info, sie wird zu Beginn des nächsten Monats in diesem Blog verifiziert.
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