Wer in diesem Herbst aufmerksam durch die Wälder Mitteleuropas streift, stellt eine Unmenge an Bucheckern fest, aber auch Eicheln liegen massenhaft herum. Wir haben ein sogenanntes Vollmastjahr, in dem die Bäume eine riesige Menge an Früchten und Samen produziert haben. Die Auswirkungen auf die Tierwelt und insbesondere die Vögel sind interessant und es stellt sich die Frage, ob wir im kommenden Winter mit einer Invasion riesiger Bergfinken-Schwärme rechnen können.
Der aussergewöhnlich warme Frühling hat hervorragende Entwicklungs-bedingungen für die Bäume geschaffen. Wer die unter der Last ihrer Früchte beinahe zusammenbrechenden Obstbäume gesehen hat, muss sich über ähnliche Erträge in den Wäldern nicht wundern: Vor allem Buchen und Eichen haben eine Unmenge an Früchten produziert, man spricht in einem solchen Fall von einem Vollmastjahr. Das Phänomen ist in diesem Jahr nicht nur ein regionales, aus vielen Teilen Mitteleuropas treffen ähnliche Beobachtungen ein. Die Tiere des Waldes können somit im kommenden Winter aus dem Vollen schöpfen, insbesondere Nager und Vögel, aber auch die Wildschweine schlagen sich derzeit die Bäuche voll oder legen sich Vorräte an.
Nun kommt unter Naturfreunden die Frage auf, ob solch paradiesische Zustände in den Wäldern Mitteleuropas im kommenden Winter auch Vögel aus dem hohen Norden in Scharen anlocken wird. So einfach lässt sich der Zusammenhang allerdings nicht feststellen, denn wer sagt den Vögeln Sibiriens, dass hier Nahrung im Überfluss herumliegt? Damit eine Invasion stattfindet, muss erst mal ein Nahrungsmangel in den nördlichen und östlichen Wäldern auftreten, der die Vögel zum Wegziehen bewegt. Am Beispiel des Eichelhähers lässt sich dies sehr gut erklären: Im Herbst 2010 gab es im Herbst eine Eichelhäher-Invasion aus Nordrussland nach Mitteleuropa, weil dort durch den extremen Hitzesommer und die verbreiteten Waldbrände Nahrungsknappheit aufgetreten ist. Und obwohl jetzt in Mitteleuropa tonnenweise Eicheln in den Wäldern herumliegen, ist noch keine nennenswerte Zunahme an Eichelhähern auszumachen. Das lässt darauf schliessen, dass im Norden die Nahrungsgrundlage heuer deutlich besser ist als im Vorjahr.
Damit also riesige Bergfinkenschwärme nach Mitteleuropa ziehen, wie dies im Winter 2008/09 der Fall war, muss in den Wäldern Nordeuropas und Sibiriens erst mal viel Schnee fallen, so dass die Bucheckern dort für die Vögel nicht mehr zugänglich sind. Dann möchte man gerne wissen, wo sich die Schwärme niederlassen werden: Genau das kann man aber aufgrund der flächigen Verbreitung der heurigen Buchenmast unmöglich vorhersagen. Möglicherweise werden die Schwärme schon im nordöstlichen Teil Mitteleuropas satt, es sei denn, die Witterungsverhältnisse dort zwingen die Vögel im Lauf des Winters weiter nach Südwesten. Es bleibt also abzuwarten, wie sich der kommende Winter entwickelt, erst kurzfristig lassen sich mögliche Wahrscheinlichkeiten einer Invasion abschätzen. Die Langfristmodelle des amerikanischen Wetterdienstes lassen jedoch nicht allzu grosse Hoffnung aufkommen: Demnach soll der Winter in Mitteleuropa nach einem markanten Einbruch in der zweiten Novemberhälfte sowohl von den Temperaturen, als auch von den Niederschlägen her recht durchschnittlich verlaufen.